Und Stuttgart 21?
Ich kann das Geschwätz von dem "aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz" am Schwarzen Donnerstag 2010 nicht mehr hören. Er war von Anfang an und von der Zielsetzung her als Gewaltakt seitens der Staatsmacht zur Durchsetzung privater Interessen geplant und wurde unter den beobachtenden Augen einer mit der Regierung verlinkten Polizeiführung und der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart durchgeführt. Und genauso wenig wie das Projekt Stuttgart 21 irgendetwas mit einem Projekt zugunsten der Verkehrsteilnehmer und der Allgemeinheit zu tun hat, sondern eben der Durchsetzung von privaten Interessen und Profiten dient, dient auch die überwiegende Entscheidungspraxis der Behörden wie die der Gerichte in Stadt und Land in diesem Zusammenhang dem Interesse der Allgemeinheit und dem öffentlichen Verkehr, sondern eben der Durchsetzung dieser privaten Interessen der Deutschen Bahn, von Baufirmen, Spekulanten und Banken.
Wenn nun beispielsweise das Eisenbahn-Bundesamt mit seiner neuen Genehmigung zum Grundwassermanagement das stadt- und verkehrszerstörende Projekt Stuttgart 21 mit Argumenten absegnet wie: S 21 diene "der Steigerung der Attraktivität des Schienenverkehrsangebots und zugleich der Erhöhung der städtebaulichen Handlungsoptionen der Landeshauptstadt Stuttgart"; und es liege "daher im öffentlichen Interesse [...], dass die neue Eisenbahninfrastruktur nunmehr errichtet und dann auch in Betrieb genommen werden kann" – so ist dies keine objektive Entscheidung einer Fachbehörde, sondern nichts anderes als politische Justiz.
Und es ist politische Justiz, wenn beispielsweise einem Versammlungsleiter von Großdemonstrationen gegen Stuttgart 21, Gangolf Stocker, vom Oberlandesgericht Stuttgart zur Last gelegt wird, er habe Polizeiauflagen, die angeblich der "Sicherheit und Leichtigkeit des fließenden Verkehrs" dienen sollten, missachtet – während in Wahrheit der Deutschen Bahn und ihren Hintermännern erlaubt wird, über viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg Millionen von Bahnhofsbenutzern Tag für Tag durch das verrückte Labyrinth des Stuttgarter Bahnhofs zu treiben, mit unendlichen Stunden an Zeitverlust.
Es ist auch politische Justiz, wenn die Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl Polizeibeamten wegen ihres auf den Videos festgehaltenen brutalen Einsatzes von Pfefferspray unter anderem gegen Kinder deshalb eingestellt werden mussten, weil diese nicht identifiziert werden konnten – und wenn nun heute der SPD-Innenminister Gall trotzdem die in anderen Bundesländern bereits eingeführte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte blockiert.
Es ist politische Justiz, wenn gegen den früheren Polizeipräsidenten Stumpf vier Jahre nach dem Schwarzen Donnerstag immer noch keine Anklage erhoben ist, obwohl inzwischen feststeht, dass er sich auch während des Einsatzes der Wasserwerfer doch in Begleitung des damaligen Oberstaatsanwalts Häusler auf dem "Feldherrnhügel" im Schlossgarten befunden hat und deshalb mitgekriegt haben muss, was die unter seiner Billigung eingesetzten Wasserwerfer anrichteten.
Und es ist auch politische Justiz, wenn gegen die Verantwortlichen insbesondere bei Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bahn trotz der explodierenden Kosten von S 21 keinerlei strafrechtliche Ermittlungsverfahren etwa wegen Untreue eingeleitet werden – während beispielsweise die Stuttgarter Staatsanwalt im Mai 2012 nichts Besseres zu tun hatte, als gegen eine Drogenabhängige, die im Cannstatter Bahnhof in der Toilette 1½ Rollen Toilettenpapier im Wert von circa 23 Cent mitgenommen hatte, Anklage wegen Diebstahls vor dem Amtsgericht zu erheben und eine saftige Geldstrafe zu beantragen.
Und es ist ebenfalls politische Justiz, dass die politischen und institutionellen Verantwortlichen für den Schwarzen Donnerstag immer noch ungeschoren geblieben sind – während bis heute auch unter der grün-roten Regierung der Rahmenbefehl zur generellen Überwachung der Aktivitäten von S-21-Gegnern aufrechterhalten wird.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Und es geht nicht nur um S 21.
Es ist schlimmste politische Justiz, wenn die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Träger von Buttons mit Bildern von durchgestrichenen oder in den Müll geworfenen Hakenkreuzen über Jahre hinweg durch alle Instanzen verfolgt hat – während sie die Ermittlungsverfahren gegen die letzten noch überlebenden bekannten Mörder des SS-Massakers von Sant'Anna di Stazzema 1944 in Italien über nahezu zehn Jahre in die Länge gezogen und dann eingestellt hat; bis nunmehr erst jüngst das Oberlandesgericht Karlsruhe sie zur Anklageerhebung verpflichten musste.
25 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 27.09.2019Gleich vorweg: Politische Justiz gibt es nicht – sie gab es noch niemals – und sie wird es auch niemals geben!
P O L I T I K => ist lediglich ein Begriff, der sich in der Entwicklung befindet – schon immer in Entwicklung befand.
Politiker/Politikerinnen darf es in…