Die Attacke lässt erahnen, wie hoch es hergehen wird in den nächsten Wochen. Löffler jedenfalls fragt im Hause Stickelberger schon mal vorsorglich die mögliche Einflussnahme "von Ministerien/Abgeordneten im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum Polizeieinsatz am 30. September 2010" ab. Und er will, falls es weitere Schreiben gibt, wissen, "wer der Urheber dieser Vorgänge war" und "wie die Landesregierung deren Inhalt beantwortet hat". Außerdem enthalten die inzwischen 30 000 dem Gremium übergebenen Blatt Papier Brisantes auch für die Mehrheitsfraktionen, ein Brief, wie der von Lösch, da, eine Notiz dort. Mancher Sozialdemokrat wiegt bedächtig sein Haupt angesichts der Fundsachen, ohne – aus Gründen der Verschwiegenheit – Einzelheiten nennen zu können. "Die Schwarzen wollen ein ganz großes Rad drehen", orakelt ein SPD-Abgeordneter, der ebenfalls im Ausschuss sitzt. Regierungsvertreter und -fraktionäre müssten "höllisch aufpassen, um keine Vorlage zu liefern". Erstmals in der Landesgeschichte führt mit Jürgen Filius gar noch ein Grüner die Untersuchungen. Und der hat sich schon auf sehr dünnem Eis bewegt, als er kürzlich im Gespräch mit Kontext "das System Mappus" im Mittelpunkt der Aufklärungsarbeit sah.
Für einen wie Löffler machen den Ulmer Rechtsanwalt solche Aussagen doppelt verdächtig. Ohne Umschweife outet sich der Hobbysaxofonist als einer der letzten Getreuen des achten Ministerpräsidenten. Stoßrichtung seiner Kritik sind durchaus auch eigene Fraktionskollegen, vor allem aber Grüne und Genossen. "Mappus, der politische Nosferatu, soll für alles Böse verantwortlich sein", schreibt Löffler in Anlehnung an den rumänischen Pestbringer, justament so wie bei Degenhardts "Schmuddelkindern" dürfe es keinen Kontakt mit ihm geben. Es werde "nichts unversucht gelassen, die CDU in Sippenhaft zu nehmen und tunlichst lange – zumindest bis zu den nächsten Wahlen – möglichst viel Unrecht zu finden, sei es bei diesem Polizeieinsatz oder beim Kauf der EnBW-Anteile". Er wolle Mappus nicht freisprechen von Fehlern, "aber was die Landesregierung bietet, hat mit sachlicher Kritik wenig gemein".
Der kleinste Fehler wird sofort zur Attacke ausgenutzt
Dabei weckt gerade die Fraktion mit dem C im Namen den Verdacht, sie sei ihrerseits zu vielem bereit, um die Regierungsfraktionen in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Noch einmal Lösch. In einer aufgeheizten Landtagsdebatte über die Verankerung der Akzeptanz sexueller Vielfalt in den Bildungsplänen hatte sich die diplomierte Sozialpädagogin Ende Januar vergaloppiert: "Wer dies als Aufruf zur pädagogischen, moralischen und ideologischen Umerziehung bezeichnet, meine Damen und Herren, wie eben der Initiator dieser Onlinepetition, schürt wissentlich Ängste und Ressentiments gegen Homosexualität und hat in unserer aufgeklärten, toleranten Gesellschaft nichts verloren." Anstatt den Satz so zu verstehen, wie er erkennbar gemeint ist, wittert die Opposition sogleich die Chance, ihn umzudeuten in eine "Geht doch nach drüben!"-Variante an die Adresse Andersdenkender. Der Lärmpegel schwillt an, CDU-Fraktionschef Peter Hauk giftet, der bildungspolitische Sprecher der FDP fordert von Lösch gebieterisch mehr Feingefühl und Sensibilität. Worauf die laut Protokoll diese Erläuterung abgibt: "Herr Kollege Dr. Kern, ich gebe Ihnen recht: Die Aussage, der Initiator der Petition habe in unserer Gesellschaft nichts verloren, ist falsch. Ich habe damit nicht die Person selbst gemeint, sondern die Petition."
Natürlich nützt das nichts. Noch am selben Tag stellt die CDU den Debattenbeitrag der Vizepräsidentin auf Youtube – ohne ihre Richtigstellung und wiewohl im Impressum die Landtags "das Herunterladen oder Ausdruck ausschließlich für den persönlichen Gebrauch" gestattet ist. Schnell findet die Rede den Weg durchs Netz. Kaskaden von anonymen Beschimpfungen, viele von Autoren, die sich zum Christentum bekennen, muss die Synodale der Evangelischen Landeskirche Württemberg seither über sich ergehen lassen. "Träume von Umerziehungslagern" zählen noch zu den Unterstellungen der harmlosen Art. "Linksgrün-extremistische Hinterwäldlerideologie" wirft ihr einer vor. Ein anderer diagnostiziert ihr Gutmenschentum als psychische Krankheit. "Wie wollen Sie Herrn Stängle beseitigen, Frau Lösch?", fragt ein Dritter, "Gulag, Kalaschnikow oder die gängige schariagerechte Methode Baukran."
Zitate werden notfalls "passend" umformuliert
Hauk, nach der Erstveröffentlichung der Rede zumindest mitverantwortlich für den Sturm, spitzt in der Debatte am vergangenen Mittwoch noch weiter zu, macht er aus dem "Initiator der Petition" (Löschs O-Ton) kurzerhand Eltern und blendet weiterhin die zweite Wortmeldung aus: "Friedliche, um ihre Kinder besorgte Eltern würde die Landtagsvizepräsidentin am liebsten aus der Gesellschaft verbannen." Die vielen Steine des Anstoßes in dieser Petition wollen die wackeren Christdemokraten ohnehin nicht zur Kenntnis nehmen auf ihrer Jagd nach billigen Punkten. Zur Erinnerung: Selbst in der weichgespülten Fassung, die die Petenten erstellen mussten, weil sie im ersten Anlauf gegen die Fairness-Regeln des Portals verstoßen hatten, werden beispielsweise die "negativen Begleiterscheinungen eines LSBTTIQ-Lebensstils" aufgezählt, wie die höhere Suizidgefährdung unter homosexuellen Jugendlichen, die erhöhte Anfälligkeit für Alkohol und Drogen, die deutlich geringere Lebenserwartung homo- und bisexueller Männer oder das ausgeprägte Risiko psychischer Erkrankungen bei homosexuell lebenden Frauen und Männern.
Für die demnächst beginnenden Zeugenvernehmungen zur möglichen Einflussnahme auf die Ereignisse am 30. September 2010 hat Löffler nur die allerbesten Vorsätze: "Wir lernen aus Fehlern und werden nichts unter den Teppich kehren und nichts beschönigen, aber wir werden auch niemanden vorverurteilen und an den öffentlichen Pranger stellen." Die Einlösung dieser Ankündigung erscheint jedoch unmöglich angesichts des unversöhnlichen Gemütszustands, in den sich selbst altgediente CDU-Abgeordnete gebracht haben.
Am Donnerstag der Vorwoche luden Grüne und Rote in der Mittagspause der Landtagssitzung zu einem Empfang anlässlich des dritten Wiederkehr ihres historischen Wahlerfolgs – Schwarze und Gelbe bleiben dem schmerzlichen Event praktisch geschlossen fern und so die Regierenden unter sich. Auf Bitte einiger Genossen hin gibt SPD-Vormann Claus Schmiedel ein harmloses selbst gedichtetes Spottlied aus der Fasnacht zum Besten, a capella und untadelig tonsicher: "CDU mal hott, mal hüh, weiß nicht ein noch aus, o je." Just in diesem Moment kommt Ex-Umweltminister Ulrich Müller vorbei – die Hand zum Bauch führend, die Wirbelsäule leicht gebeugt, den Mund öffnend, um Brechreiz zu simulieren. Auch der ehemalige Vorsitzende im EnBW-Untersuchungsausschuss, der zurücktreten musste, weil er Mappus heimlich wie unerlaubt vertrauliche Unterlagen übergab, hat ein Motto. Eine persönliche Bibelstelle (Römer 12,21), wie er auf www.abgeordnetenbibel.de erläutert, die ihm in diesem Moment allerdings entfallen sein dürfte: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."
10 Kommentare verfügbar
Wolfgang Hermes
am 11.04.2014Zur Frage, ob der gewalttätige Polizeieinsatz vom 30.9.2010 unter politischem Einfluss erfolgte, äußerte sich Forist „Chefheizer“ auf „Drehscheibe online“ unlängst recht freimütig wie folgt…