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Der feine Herr Schünemann

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Er ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt, dieser Rechtsprofessor, mit dessen Hilfe Stefan Mappus die eigene Ehre wiederherstellen will. Bernd Schünemann kann nicht nur renommieren mit akademischen Würden sonder Zahl, sondern er blickt auch zurück auf eine ebenso kurze wie deftige politische Vergangenheit.

Fast drei Stunden brauchte der emeritierte Ordinarius für Straf- und Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und -soziologie an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität für seinen denkwürdigen Auftritt im EnBW-Untersuchungsausschuss des Landtags. Die Durchleuchtung des Milliardendeals, eingefädelt vom Ex-Ministerpräsidenten 2010 am Parlament vorbei, geht in die Endrunde. Der bald 70-jährige Offensivspieler wird Mappus aber weiter begleiten in den anstehenden Verfahren, etwa gegen die ehemaligen Rechtsberater der Kanzlei Gleiss Lutz, die ihre Verantwortung für den Ablauf des Geschäfts abwälzen wollen, und im schon bald startenden Ausschuss zum Schwarzen Donnerstag. Das Ziel: dem „wenn auch kurzen Wirken“ seines Mandanten zu einer "fairen historischen Würdigung" zu verhelfen.

Eine Herkulesaufgabe angesichts der unzähligen Details, die zum Rückkauf des Aktienpakets ebenso wie zum Polizeieinsatz am 30. September 2010 schon bekannt sind und immer noch ans Tageslicht kommen. Eben erst machte die "Stuttgarter Zeitung" öffentlich, dass dem ersten Schlossgarten-Untersuchungsausschuss eine entschärfte Mail zuging: "Die Räumung des Schlossgartens wurde der Notiz zufolge als Machtdemonstration des Staates angesehen, ein Abbruch dagegen als Ausweis von Ohnmacht, der unbedingt vermieden werden sollte."

Zugleich sind dem Professor Dr. jur. habil. Dr. jur. h. c. mult. viele Mittel recht, um darzustellen, dass Mappus "als Individuum verletzt ist", dass im oder rund um den Ausschuss anzusiedelnde "Denunzianten den Zweck der Diffamierung" verfolgen. In seiner Stellungnahme, spitzfindig, wortgewaltig, selbstgewiss, drastische Vergleich nicht scheuend, lässt er erkennen, wie wenig er von Politikern hält. Er weiß, wovon er spricht. Denn er war selber einer: der erste Bundesvorsitzende der "Statt Partei", die Anfang der Neunzigerjahre die Etablierten nervös machte. Deren Programmgrundsätze, schreibt der Politologe Frank Decker in seiner Abhandlung "Über das Scheitern des neuen Rechtspopulismus in Deutschland", liefen auf eine Frontalattacke auf den Parteienstaat hinaus. Am vergangenen Freitag im Landtag bekamen dessen Vertreter ihr Fett ab, in einer Art und Weise, die nicht ohne Nachspiel bleiben wird. SPD-Abgeordnete wollen, wenn die Protokolle in einigen Tagen vorliegen, weitere Schritte prüfen.

Zeitreise nach Nordhessen. In Baunatal kam Schünemann vor ziemlich genau zwanzig Jahren ins Vorsitzendenamt. Keine einfache Aufgabe, die bundesweite Ausdehnung einer Protestbewegung zu organisieren, die nur 80 Tage nach ihrer Gründung in die Hamburger Bürgerschaft und dann auch noch gemeinsam mit den Sozialdemokraten in die Stadtregierung einzog. "Weil sie politische Neulinge waren, konnten sie den Parteienstaat leicht als Selbstbedienungsladen anprangern und sich damit als Lobby für jene empfehlen, die von den Altparteien die Nase voll hatten", schrieb die Hamburger "Zeit". Von einer "totalitären Demokratie ohne Respekt vor Freiheit und Eigentum ihrer Bürger" fantasierte das schnell gezimmerte Programm und empfahl die Abkehr davon als "dringende Notwendigkeit". Ehrlichkeit, Offenheit und Dialogbereitschaft bei gegenseitiger Achtung vor dem anderen sollten "Grundlage jeder ernsthaften politischen Arbeit" werden.

Schünemann kam durch eine Zeitungsanzeige zur Politik

So gesehen kann nicht sehr ernsthaft gearbeitet worden sein in Baunatal und in den Wochen danach. Eine knappe Mehrheit wollte bei den Europawahlen im Sommer 1994 antreten, zu einem Wahlkampf sah sich die Basis aber nicht in der Lage. Einerseits, weil die Strukturen in den neuen oder noch gar nicht vorhandenen Landesverbänden fehlten, und andererseits, weil sich die Protagonisten aufs Unschönste beharkten. Und Schönemann machte munter mit. Jener Stil, den er an Mappus' Seite praktiziert, bescherte ihm schon 1994 bundesweite Schlagzeilen. "Der Münchner Strafrechtsprofessor, als politischer Nobody vor sechs Wochen zum Bundesvorsitzenden der Statt Partei gewählt", urteilte der "Spiegel", heize "mit wütenden Reden das Klima an in der Partei". Politische Gegner "denunziert er im Journalistengespräch als 'Schlamm-Maschine'". Und weiter: "Schünemann, der öffentlich gegen das 'Fassadenhafte der Demokratie' wettert, ist vielen Parteifreunden mittlerweile unheimlich." Seine nachts verfassten Rundbriefe, "in denen er wütend vor sich hin grollt, lösen bei den Empfängern meist Ratlosigkeit aus".

In den bewegten Tagen von damals erzählt der Vater von vier Kindern auch, dass er durch eine Zeitungsanzeige zur Politik und zur Statt Partei kam und dass er sich schon einmal ehrenamtlich engagiert hat – für die Rettung bedrohter Nashörner in Namibia. Wieso er als Vorsitzender zumindest mitverantwortlich ist für das Tohuwabohu, konnte oder wollte er nicht einsehen: "Ich bin unschuldig wie ein ungeborenes Kind." Der Satz passt heute noch. Ende Januar, bei einem ersten Presseauftritt in Stuttgart, hatte er dem EDF-Vorstandsvorsitzenden Henri Proglio nichts Geringeres als "pathologische Amnesie" (krankhafte Gedächtnisschwäche) attestiert. Zwei Wochen später soll irgendein „intellektueller Mangel" bei dem Franzosen mitnichten Gegenstand dieser Erklärung gewesen sein. Mit der in einigen Medien wohl missverstandenen, aber seit der Antike bekannten rhetorischen Wendung des sogenannten ironischen Gegenteils habe er sich lediglich "besonders effektvoll" ausdrücken wollen.

Rasch zog sich der gebürtige Niedersachse, der vor jenem in München schon zwei Lehrstühle in Freiburg und Mannheim innehatte, wieder aus der Politik zurück. Häufig arbeitete er als Gutachter, etwa für den Deutschen Bundestag oder den Bund der Steuerzahler, der auf eine Bestrafung von Amtsträgern drängte, die öffentliche Gelder verschwenden ("unverzichtbare Gesetzgebungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Haushaltsuntreue"). Ironie des Schicksals, dass er heute Mappus vertritt, dem immerhin vorgeworfen wird, für die EnBW-Aktien fast eine Milliarde Euro zu viel bezahlt zu haben. Als Rechtsphilosoph und Prozessrechtler genießt Schünemann national wie international hohes Ansehen. Mit seiner Kritik an Absprachen in Strafverfahren setzte er Maßstäbe, er wetterte Mitte des vergangenen Jahrzehnts im Mannesmann-Prozess gegen Josef Ackermanns Freispruch, der tatsächlich vom BGH aufgehoben und später in eine saftige Geldstrafe verwandelt wird. Und er erstattete im Zuge der Finanzkrise Strafanzeige gegen den Vorstand der Bundesbank – wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Untreue.

Auch im Stuttgarter Landtag schlägt er weite Bögen, etwa zu den Rettungsschirmen und anderen Selbstverpflichtungen der Bundesrepublik. Mit Hunderten von Milliarden Euro habe man da um sich geworfen, dabei wisse doch jeder, der "nicht verblendet ist", dass damit vom deutschen Steuerzahler die Misswirtschaft anderer mit Freigiebigkeit und Güte vergolten werde. Neben ihm sitzt einer,  der das alles mitgetragen hat, als er noch als erfolgreicher achter Ministerpräsident des Landes in die Geschichte einzugehen gedachte. Ohne auch nur eine Miene zu verziehen, hört sich Mappus die wüsten Anwürfe seines  Rechtsbeistands an – gegen den Rechnungshof, dem Schünemann "verkappte politische Machtusurpation" unterstellt, gegen die früheren Parlamentskollegen. Grüne wie rote Abgeordnete wollten ja nur den Ex-Regierungschef aus billigen parteipolitischen Gründen im Zusammenspiel mit den Medien "denunzieren". Und dann steckt er auch noch die CDU- und den FDP-Vertreter in denselben Sack, weil die sich "mangels Intervention" solche Kritik ebenfalls zurechnen lassen müssten.

Zwei kühne Konstrukte des Juristen illustrieren die Logik in jener Scheinwelt, in der die Verteidigungsstrategie gebastelt wurde. Die verbreitete Ansicht, Mappus habe nach dem Desaster im Schlossgarten mit dem EnBW-Rückkauf einen Coup landen wollen, gleichzeitig aber eine Schädigung des Landes in Kauf genommen, weist Schünemann als Grundwiderspruch zurück, weil beides sich ausschließe. Dass diese Schädigung mehrheitlich im Landtag nie als solche bewertet worden wäre, hätte es den Wechsel zu Grün-Rot nicht gegen, lässt er unbeachtet. Noch kurioser ist seine Haltung zur Übergabe interner Papiere durch den später abgelösten Ausschussvorsitzenden Ulrich Müller (CDU) an den gefallenen Parteifreund auf einem zugigen Autobahnparkplatz zwischen Stuttgart und Pforzheim. O-Ton Schünemann: Dies sei "skandalisiert und breitgetreten worden", obwohl "letzten Endes durch Notstand gerechtfertigt" (!). Am Ende des Solos fragte der Ausschussvorsitzende Klaus Herrmann (CDU) einigermaßen geplättet, ob Mappus denn zu dessen Ausführungen stehe. Er stand. Also auch zu jenen Passagen, in denen der Beistand die Ausschussarbeit in die Nähe von "Schauprozessen totalitärer Diktaturen" rückte.

"Polarisierer" war noch eines der netteren Prädikate, die Schünemann 1994 hinterhergerufen wurden, als er sein politisches Intermezzo beenden musste. Andere beschrieben seine Zerstörungswut. Und von Statt-Partei-Sympathisanten in Nordrhein-Westfalen wurde ihm angelastet, ein Spalter zu sein und nicht genug gegen eine Unterwanderung durch Rechtsextremisten unternommen zu haben. Es werde sich, sagte der Gründer der Gruppierung, ein Hamburger Verleger, damals, sicherlich ein anderer Bundesvorsitzender finden, denn: "99 Prozent unserer Leute sind keine Spinner."


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4 Kommentare verfügbar

  • Wilfried W.
    am 04.03.2014
    Antworten
    Ich habe Professor Schünemann als Privatdozent für Strafrecht erlebt und bei ihm einiges gelernt, was ich in der Wertung des Beitrags vermisse.
    -das Verhältnis von Mandant und Anwalt ist geschäftlicher Natur. Professor Schünemann muss nicht zur Mappus-Gefolgschaft gezählt werden.
    -Anwälte müssen…
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