Die gemeinsame Kantine von "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" ist kein Ort zum Verweilen. Hierher kommen die Beschäftigten, um das menschliche Grundbedürfnis nach Essen zu stillen, wobei Linsen und Spätzle zu den kulinarischen Highlights zählen. Das ist auch ein Symbol für die schwäbische Bodenständigkeit, die hier herrscht und Extravaganzen verbietet. Man kommt und geht beizeiten. Dass hier einmal ein Hallenbad für die Lohnabhängigen geplant war, ist heute nur schwer vorstellbar.
Gestern, am 5. August um 10.30 Uhr, sind viele Menschen an diesen Ort gekommen, um ihre neuen Eigentümer zu sehen, die ihnen erzählen sollten, was sie so vorhaben, mit ihnen und den Zeitungen, die um die Kantine herum entstehen. Die Neuen, also die Arbeitgeber, wie man so sagt, sind aus Ulm angereist, wo sie mit der "Südwestpresse" (SWP) ein Organ herausgeben, das bisher nicht als journalistisches High-end-Produkt aufgefallen war, aber offenbar so profitabel ist, um die einst besser beleumundeten Blätter wie die "Stuttgarter Zeitung" und weitere kaufen zu können. Mit dazu gehören noch die "Stuttgarter Nachrichten", die "Eßlinger Zeitung" und der "Schwarzwälder Bote". Die Rede ist von einem Kaufpreis in Höhe von 60 Millionen Euro.
Unglaublich: Der Chef mag keine Dampfwalze sein
Genug der Vorrede, zurück zur überfüllten Kantine. Auftritt Andreas Simmet, 59, Obergeschäftsführer der Neuen Pressegesellschaft (NPG), zu der die SWP gehört. Ein Mann wie ein Schrank, breite Brust, könnte auch als Gebirgsjäger durchgehen, war aber Luftwaffenoffizier, unüberhörbar Bayer. Von sich selbst sagt er, er sei "sehr hemdsärmelig", und das gelte auch für das Unternehmen. "Attitude" kenne man an der Ulmer Frauenstraße 77 nicht, dem Sitz der Firma, Tratsch und Klatsch und Grabenkämpfe auch nicht. Wichtig seien Effizienz und Geschwindigkeit. Es wäre übertrieben zu behaupten, die Augen der anwesenden Belegschaft hätten geleuchtet.
Das könnte aber auch damit zu tun haben, dass ihren bisherigen Führungskräften eine persönliche Performance eher fremd war, also es eher Erstaunen war, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Reglosigkeit veranlasst hat. Dass der Hund Wilma heißt, der Sohn bei der Polizei und Wandern in Südtirol eine Leidenschaft ist, die Schuhgröße 43 beträgt – das hatten sie nie von Geschäftsführern und Chefredakteur:innen gehört. Die redeten eher von der "audience growth". Mag auch sein, dass das Wundern ein tiefes Insichkehren zur Folge hat, wenn Simmet sagt, er sei "keine Dampfwalze", keine Welle, die über sie hinwegfege, sondern einer, der ihre Ängste verstehe. Diese ernst zu nehmen, betrachte er als seine Aufgabe auf dem Weg zu einer "gemeinsamen Heimat", zum "wertschätzenden Wir".
Der Ex-Offizier hat diese kollektive Wanderung in ein schönes Bild gepackt: Das Unternehmen ist eine Pferdekutsche, die von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich gefahren wird. Eine erste Gruppe steht vorne an der Deichsel und zieht den Karren. In die Zukunft. Die ist ihm, versteht sich, am liebsten. Eine zweite Gruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Karren in die andere Richtung zu ziehen. In die Vergangenheit. Sie findet er noch insoweit okay, als sie mit "offenem Visier" kämpfe, was auch seiner Gefechtsfeldhaltung entspreche. Gar nicht leiden kann er die Pauschalreisenden, die sich auf der Kutsche ausruhen, einfach mitfahren wollen, egal ob vorwärts oder rückwärts. Sie sind "gefährlich", warnt er, und sie gehören mit Sicherheit nicht zu denen, die er "herzlich willkommen" heißt.
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