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Longevity

Verjüngt euch!

Longevity: Verjüngt euch!
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Ewige Jugend, ewiges Leben – davon träumen manche in der internationalen Longevity-Bewegung. Während im Silicon Valley und bei manchen Start-ups Gewinnstreben und technologische Hybris im Vordergrund stehen, forschen Wissenschaftler:innen an der Uni Ulm über die Stellschrauben des Alterns.

Die durchschnittliche Lebenserwartung ist weltweit stark gestiegen, vor allem dank sinkender Kinder- und Müttersterblichkeit. Impfungen, sauberes Wasser und bessere Medizin sorgen fürs Überleben. Auch ältere Menschen profitieren: moderne Medikamente, neue Therapien, chirurgische Innovationen – all das macht Krankheiten kontrollierbarer und verbessert die Lebensqualität. Und das hat Folgen: Immer mehr Menschen werden sehr alt und folglich nehmen auch altersbedingte Krankheiten rasant zu.

Damit will sich die Forschung nicht zufrieden geben. Unter der Überschrift Longevity – Langlebigkeit – wird daran gearbeitet, und zwar seriös. Wilde Versprechungen machen Wissenschaftler:innen nicht. Ewiges Leben auf Erden? "Das ist wissenschaftlicher Unsinn", sagt Hartmut Geiger, Professor am Institut für Molekulare Medizin der Universität Ulm. Sein Forschungsverbund, seit Ende 2021 mit rund elf Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert, will verstehen, wie sich Alterung an zellulären Schnittstellen – also dort, wo Körpersysteme ineinandergreifen – beeinflussen lässt. Nicht, um Unsterblichkeit zu erreichen, sondern um das Altern besser zu verstehen und die Lebensqualität im Alter zu verbessern.

Der britische Alternsforscher Aubrey de Grey, einer der bekanntesten Verfechter von Langlebigkeitsforschung, ist optimistisch: "Es geht nicht mehr darum, ob wir altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer besser behandeln können, sondern wann." Für ihn ist Altern eine Ansammlung von Schäden, die man reparieren kann. Statt nur einen einzelnen Prozess herauszugreifen, will er alle Alterungsfaktoren – von Zellmüll bis zur Verkürzung der Telomere – nach und nach angehen und möglichst beheben.

Zelluläres Aufräumen gegen das Altern

Im Zentrum der Ulmer Forschung steht die Geromedizin, die Alterungsprozesse auf molekularer und zellulärer Ebene untersucht. Ziel ist es, die altersbedingte Degeneration zu verlangsamen oder rückgängig zu machen. Im Fokus stehen Mechanismen, die altersbedingten Krankheiten zugrunde liegen: gestörte Autophagie (zellulärer Reinigungsprozess), mitochondriale Dysfunktion und zelluläre Seneszenz – alternde Zellen, die nicht sterben, aber schädliche Signale aussenden.

Die Mechanik des Verfalls

Altern bedeutet, dass der Körper nach und nach an biologischer Ordnung verliert – in den Zellen, im Stoffwechsel und im Zusammenspiel der Organe. Forschende unterscheiden dabei drei Ebenen.
Grundlegende Schäden: Schon in jungen Jahren schädigen Sonnenlicht oder Umweltgifte unsere Erbsubstanz (DNA). Außerdem verkürzen sich bei jeder Zellteilung die Telomere – das sind Schutzkappen an den Enden der Chromosomen. Auch die Steuerung, welche Gene aktiv sind und welche nicht, gerät mit der Zeit durcheinander.
Gestörter Stoffwechsel: Der Körper kann immer weniger schädliche Stoffe in den Zellen abbauen. Die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien, arbeiten nicht mehr so gut. Manche Zellen sterben nicht, wie sie sollten, und senden Entzündungsstoffe aus, die das Gewebe schädigen. 
Probleme im gesamten Körper: Die Stammzellen, die neue Zellen bilden, gehen zur Neige. Die Kommunikation zwischen den Zellen wird schlechter, Entzündungen werden chronisch und auch die Darmflora verliert ihre Balance. 
Das Ergebnis: Der Körper altert, Zellen funktionieren schlechter und Krankheiten entstehen.  (jm)

Geigers Team identifizierte das körpereigene Protein Cdc42 als wichtigen Faktor: Mit steigendem Alter verursacht es "zelluläre Unordnung". Die Folge: Zellen versagen, Gewebe altert, Krankheiten entstehen. Die Substanz CASIN (Cdc42-Aktivitäts-spezifischer-Inhibitor) soll dieses Protein verringern, und tatsächlich konnte es diesen Prozess bei alten Mäusen teilweise umkehren: Ihr Immunsystem verjüngte sich, Knochenbrüche heilten besser und die Lebenserwartung stieg. Ein Start-up arbeitet an einem Medikament für Menschen.

Zunehmende Bedeutung in der Longevity-Forschung bekommen NAD⁺-Infusionen. NAD⁺ ist ein kleines Molekül in unseren Zellen, das für den Energiestoffwechsel wichtig ist und hilft, beschädigte Zellbestandteile zu reparieren. Mit dem Alter nimmt es ab, was die Zellen schwächer macht. Erste Tierversuche sind vielversprechend, belastbare Daten am Menschen fehlen noch, Aussagen zur Wirkung sind also spekulativ. Da der Drang nach Wundermitteln hoch ist, werden entsprechende Infusionen oder Nahrungsergänzungsmittel aber für teuer Geld angeboten.

Auch an der Autophagie forschen die Wissenschaftler:innen. Bei diesem natürlichen Zellprozess werden beschädigte Zellbestandteile abgebaut – die Zelle räumt auf. Die Autophagie nimmt mit dem Alter ab. Fasten, Sport und manche Nahrungsergänzungsmittel sollen sie fördern, erste Studien zeigen positive Hinweise. Viele Mittel auf dem Longevity-Markt sind jedoch noch nicht ausreichend wissenschaftlich belegt.

De Grey warnt, einzelne Mechanismen zu überschätzen: "Alle tragen zur altersbedingten Gesundheitseinbuße bei, deshalb macht es keinen Sinn, nur einen herauszugreifen."

Die Tech-Bros wollen mehr – viel mehr

Während lebensverlängernde Maßnahmen und die Aussicht auf ein gesundes Altern zunehmend realistisch erscheinen, gehen manche Ideen in der Longevity-Szene weit darüber hinaus. Bryan Johnson ist ein amerikanischer Unternehmer und Investor, der vor allem für sein Anti-Aging-Projekt "Blueprint" bekannt ist. Dabei geht er extrem weit: Er nimmt täglich eine Vielzahl von Nahrungsergänzungsmitteln ein und lässt seinen Körper rund um die Uhr von einem Team aus 30 Ärzten überwachen.

Weitere Tech-Bros, die seit Donald Trumps zweitem Amtsantritt Rückenwind haben, setzen auf Unsterblichkeit. Darunter auch Ray Kurzweil, Leiter der technischen Entwicklung bei Google und führender Kopf des Transhumanismus, einer Art Theorie, nach der der Mensch durch Maschinen nicht nur optimiert, sondern auch abgelöst werden kann – und mit der die Tech-Riesen sehr viel Geld verdienen können. Kurzweil spricht von einer "technologischen Singularität": Ein Punkt, an dem künstliche Intelligenz das menschliche Denken übertrifft und es möglich wird, das eigene Bewusstsein durch sogenannte Gehirnemulation digital zu speichern. Ab dem Jahr 2045, so seine Prognose, könnten Menschen "in der Cloud" weiterleben – losgelöst vom biologischen Körper.

Zur selben Riege technikverliebter und gesellschaftfeindlicher Tech-Investoren gehört Peter Thiel, einer der wichtigsten Netzwerker in den USA hinter der Trumpschen Staatszerstörungspolitik. Er setzt auf Kryonik, das Einfrieren von Verstorbenen in der Hoffnung auf Wiederbelebung in der Zukunft. Manche in der Szene halten mehrere Jahrhunderte Lebensspanne für möglich, andere träumen gar von theoretischer Unsterblichkeit – vorausgesetzt, Unfälle bleiben aus. Die Vision: Der Tod ist keine biologische, sondern eine technische Herausforderung.

Würdevoll altern – eine ethische Verpflichtung für alle

Kritiker:innen der Alterungsforschung warnen, dass neuartige Verjüngungstherapien zunächst nur einer wohlhabenden Elite zugutekommen könnten – ähnlich wie im Film "In Time – Deine Zeit läuft ab". Würde das Altern behandelbar, so die Befürchtung, könnten sich Reiche ein längeres, gesünderes Leben "kaufen", während der Großteil der Bevölkerung zurückbleibt.

Aus Sicht der Befürworter:innen ist diese Sorge jedoch ökonomisch kurzsichtig. Aubrey de Grey weist darauf hin, dass Verjüngungsmedizin zwar anfangs teuer sein dürfte, aber deutlich günstiger wäre als das heutige System, in dem Milliarden fließen, um kranke ältere Menschen jahrelang zu versorgen. Alterskrankheiten verschlingen bereits jetzt den Großteil der Gesundheitsbudgets westlicher Staaten. Therapien, die das Altern verlangsamen oder gar zurückdrehen, könnten diese Kosten drastisch senken. Deshalb müssten Regierungen eigentlich daran interessiert sein, solche Behandlungen unabhängig vom Einkommen breit zugänglich zu machen. Somit könnte gerade die Kostenfrage der Schlüssel sein, Verjüngungsmedizin solidarisch und flächendeckend verfügbar zu machen.

Welche Kosten entstehen, wenn alle Menschen 200 oder 800 Jahre alt werden, dass es einigermaßen eng werden würde auf der Erde, wie eine Gesellschaft dann funktionieren könnte – über solche Aspekte machen sich Verjüngungstherapie-Verfechter wie de Grey wenig Gedanken. Und Leuten wie Peter Thiel oder Ray Kurzweil setzen wohl eher darauf, dass vor allem reiche Menschen wie sie selbst überleben.

Der Ulmer Hartmut Geiger bringt es auf den Punkt: "Das Altern können wir verlangsamen, aber nicht abschaffen. Und das Ziel ist nicht das ewige Leben, sondern ein besseres." Er ist überzeugt: "Es wäre ethisch verwerflich, dieses Ziel nicht zu verfolgen, wenn es erreichbar ist."

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