Liebe Mitstreiter:innen für eine demokratische Öffentlichkeit,
als mich Tom Adler gefragt hat, ob ich als Journalistin und Kontext-Mitgründerin hier auf der Montagsdemo reden will über das Informationsfreiheitsgesetz und über die Nazi-Prozesskeule gegen Kontext, musste ich nicht lange überlegen. Nicht nur, weil es Kontext ohne den S-21-Protest hier in Stuttgart so nicht geben würde.
Und okay, meistens stand ich am Bahnhofsvorplatz, im Grundwassermanagement oder am Schlossplatz mit einem Stift in der Hand und einem Block. Und vor der Bühne. Heute stehe ich hier oben, weil ich überzeugt bin, dass der Journalismus renitenter werden muss, wenn die Zeiten härter werden. Er muss mutiger, kämpferischer, kritischer werden.
Jetzt stehe ich hier als Lobbyistin – eine ganz neue Rolle. Ich stehe hier als Lobbyistin für einen Journalismus, der sagt, was ist – gerade jetzt, wenn Politiker Journalist:innen sogar in den Block diktieren wollen, wie der Golf von Mexico nach dem Willen des großen Diktators in Washington neuerdings heißen soll. Wenn, wie Reporter ohne Grenzen erst kürzlich wieder veröffentlich hat, tätliche Angriffe auf Reporter:innen in Deutschland 2024 zugenommen haben. Wenn die Zeitung, die ich mitgegründet habe, in einem SLAPP-Prozess, angestrengt von einem Rechtsextremen, mundtot gemacht werden soll.
Journalismus braucht Unterstützung
Dieser mutige und kritische Journalismus braucht heute jede Unterstützung aus der demokratischen Gesellschaft, er braucht den Schutz der Zivilgesellschaft. Und er braucht den Schutz durch Gesetze. Etwa die Rechtssicherheit des gemeinnützigen Journalismus. Denn wenn niemand mehr ins Dunkle leuchtet, wie der Kollege Alexander Roth von der "Waiblinger Kreiszeitung", über den noch zu sprechen sein wird, so schön schreibt, blüht die Korruption und Skandale bleiben verborgen.
Was hat das mit der Montagsdemo zu tun und dem Bahnhof?, fragte mich eine Freundin. Sehr viel, wie ich finde. Am Beispiel S 21 haben wir alle gemerkt, wie wichtig ein Journalismus ist, der genau hinschaut. Damit Öffentlichkeit hergestellt werden kann, damit die guten Argumente, die hier im Protest gesammelt wurden, auch einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Damit fehlender Brandschutz ebenso thematisiert wird wie die Argumente für den Erhalt der Panoramastrecke. Kontext schaut seit unserer Gründung 2011 genau hin, wo andere Medien lange weggeschaut oder wie die "Stuttgarter Zeitung" den Bau den Bahnhofs zu ihrer eigenen Sache gemacht haben. Hofberichterstattung nennt sich das, was dem Spruch des damaligen Ressortleiters Adrian Zielcke folgte: "Ohne die Zustimmung der 'Stuttgarter Zeitung' zu diesem Großprojekt würde Stuttgart 21 nie gebaut werden." Und Kontext bleibt auch heute noch dran am Thema Stuttgart 21.
Wenn wir hier über den Bahnhof reden und schreiben, reden wir auch über den Zustand der Gesellschaft. Und darüber, wie Öffentlichkeit hergestellt und geschützt wird. Wir reden über Journalismus.
Genau hinschauen und dranbleiben – das tun wir von Kontext nicht nur beim Bahnhof. Das tun wir auch bei den Rechten in der Gesellschaft, die immer lauter werden und immer frecher. Dass der AfD Journalist:innen, die Licht ins Dunkel bringen, ein Dorn im Auge sind, das ist bekannt. Dass Kontext sich seit sieben Jahren in einem Rechtsstreit befindet mit einem Rechtsextremisten, wissen auch die meisten hier. Es geht um menschenverachtende, rassistische Chats eines ehemaligen Mitarbeiters zweier ehemaliger AfD-Landtagsabgeordneten in Stuttgart, den wir namentlich genannt haben. Nun hat uns das OLG Frankfurt die identifizierende Berichterstattung untersagt und die Berichte über dessen menschenverachtende Chats. Die Begründung: Kontext habe zu wenig über die Quelle mitgeteilt, so dass sich der Senat kein Bild über deren Zuverlässigkeit habe machen können und damit auch nicht über die Authentizität der Chats.
Wir werden nicht aufgeben!
Dieses Urteil ist ein Skandal. Denn dieses Urteil bedeutet nicht nur hohe Kosten für ein gemeinnütziges Zeitungsprojekt wie Kontext. Konkret: 25.000 Euro Schadensersatz für einen Neonazi, was uns besonders schmerzt. Aber auch Gerichtskosten in Höhe von 100.000 Euro. Aber was noch entscheidender ist: Wer den Quellenschutz aushebeln will, sägt an den Grundpfeilern journalistischer Arbeit. Der bereits erwähnte Kollege Alexander Roth von der "Waiblinger Kreiszeitung" hat es in einem Kommentar zum OLG-Urteil vor wenigen Tagen auf den Punkt gebracht: Investigativer Journalismus funktioniere vor allem über Informanten. Menschen, die uns auf Missstände hinweisen, uns Informationen zuspielen. Selbstverständlich vertraulich. Denn wer sensible Informationen an die Presse weitergibt, geht oft ein hohes persönliches Risiko ein. Zitat: "Wäre die Anonymität nicht gewährleistet, würden diese Informationen die Presse vermutlich nie erreichen. Wir alle würden weniger wissen über die Welt, in der wir leben. Skandale würde nicht aufgedeckt. Schaden, den man hätte abwenden können, würde angerichtet werden. Und die wirklich wichtigen Geschichten, die, für die wir Journalismus unbedingt brauchen, würden weiter im Dunkeln bleiben. Geschichten wie die, für die Kontext vor Gericht gezerrt wurde."
Oder wie der Vater des investigativen Journalismus Günther Walfraff in seinem Solidaritätsbeitrag für Kontext festhält: "Wenn Gerichte die Preisgabe von Informanten fordern und Quellenschutz kriminalisieren, zerstören sie den Kern der investigativen Recherche, denn der Schutz von Informanten ist unbedingt einzuhalten. Streitwerte, die nahezu verdoppelt werden, oder immense Schadensersatzsummen für Rechtsextreme können gerade kleinere Medien und Redaktionen zur Aufgabe zwingen und mundtot machen. So wird nicht der, der hetzt, sondern der, der aufdeckt, verurteilt." Es ist die bekannte Praxis der SLAPP-Prozesse: Einschüchterungsprozesse, die kritische Stimmen mundtot machen wollen.
Aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir werden nicht aufgeben. Kontext wird beim BGH die Revision beantragen. Wir kämpfen juristisch weiter für das Recht, Ross und Reiter zu nennen und unsere Quellen zu schützen.
Und wir wollen ein Rechercheteam aufbauen und finanzieren, das weiter und schwerpunktmäßig in die rechten Ecken dieser Gesellschaft leuchtet. Auch das ist – wie alles bei Kontext – spendenfinanziert. Denn wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Information und Aufklärung über die Rechten.
1 Kommentar verfügbar
Beatrice Böninger
vor 2 Wochenhttps://fragdenstaat.de/artikel/exklusiv/2021/05/so-offnete-phillip-amthor-einem-windigen-startup-die-tur-zum-wirtschaftsministerium/
Bei Wikipedia wird dies nicht erwähnt! Wohl weil Amthor die…