Das Postfach einer Redaktion kristallisieren allerlei Kuriositäten: Naturgemäß bildet diese Schnittstelle zwischen noch-nicht-Öffentlichem und publizistischer Verbreitung einen Sammelpunkt für das Skurrile und Sonderbare. Neben Hinweisgebern und Whistleblowerinnen, die sich hier melden und für die Arbeit unerlässlich sind, zieht eine jede Adresse für Aufmerksamkeit auch die Wirrköpfe und Windbeutel dieser Welt an wie der Bauchnabel den Fusselklumpen. Und falls es dabei jemals Grenzen gab, steht die Büchse der Pandora spätestens seit dem Siegeszug des Internets sperrangelweit offen.
Zudem will auch die werbende Wirtschaft nicht auf Zuschriften verzichten und da noch kein Mailkonto in der Menschheitsgeschichte von Spam-Nachrichten verschont geblieben ist, weiß die RedakteurIn auf der Höhe der Zeit stets Bescheid über die attraktivsten Angebote für spektakulär scharfe Schneidemesser, 60 Meter Gartenschlauch zum unschlagbaren Vorteilspreis oder Dr. Iwan Obuntos Wunderviagra (ebenfalls ein Schnäppchen). Da stach es zunächst nicht weiter als bemerkenswert heraus, als bei der Kontext-Redaktion erstmals eine Mail vom "Casino-Guru" einlief. Da sich unter den Postfach-BetreuerInnen niemand vorzustellen vermochte, dass sich hinter einem Absender dieses Namens ein seriöses Angebot verbergen könnte, landete die Zuschrift ohne viel Aufsehen im Papierkorb. Bis sich ein Herr, der sich als Paul vorstellt, zu Jahresbeginn erneut meldete, Bedauern äußerte, uns nicht erreicht zu haben, und für eine fruchtbare Zusammenarbeit warb.
Zur allgemeinen Verwunderung steckte also gar kein Bot, sondern ein echter Mensch hinter der Kontaktaufnahme. "Ihre Website hat uns sehr zugesagt", umschmeichelt uns Paul, "und wir würden gerne einen geeigneten Artikel veröffentlichen, der von einem unserer internen Texter in sehr guter Qualität verfasst wurde." Der Clou: "Gerne können Sie mir Ihre Konditionen und Preise zukommen lassen." Das klingt ja, als hätten die eierlegende Wollmilchsau und ein goldscheißender Esel im Schlaraffenland hochbegabte Drillinge gezeugt! Nicht nur bekommen wir hier ohne eigene Anstrengungen ein Stück Qualitätsjournalismus zugetragen, es steht sogar eine Bezahlung dafür in Aussicht? Die Sache muss doch einen Haken haben.
Träumchen: Kostenlose Leitartikel!
Tatsächlich ist auch diese Art Zuschrift nicht ganz neu. In unregelmäßigen Abständen laufen im Redaktionspostfach Angebote ein, die Gastbeiträge mit weiterführenden Verlinkungen oder "gesponserte Leitartikel" beisteuern möchten – meist in Verbindung mit dem Wunsch respektive der Voraussetzung, die Texte nicht als Anzeige zu kennzeichnen. Allerdings handelt es sich nicht immer um traditionelle Schleichwerbung, sondern ein rein Internet-spezifisches Phänomen: Der veröffentlichte Bericht muss Verlinkungen zu Webseiten enthalten, die ihrerseits Verlinkungen enthalten. Unmittelbar wird also kein Produkt beworben. Aber durch das Netzwerk an Querverweisen erhöhen Seitenbetreiber ihre Chancen, in der Google-Suche weiter oben angezeigt zu werden.
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