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Augenwischerei

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Die Imagekampagne der baden-württembergischen Zeitungsverleger trägt 48 Unterschriften und den Titel: "Die beste Zeit für guten Journalismus ist jetzt". Unser Autor fragt sich: Was soll das?

Na klar, 48 Chefredakteure – darunter vier Frauen – in Baden-Württemberg bürgen für Qualität. Das sind 48 Führungskräfte aus Verlagen, die in den vergangenen Jahren und Monaten brav die Ausdünnung ihrer Redaktionen im Namen des Verlegers betrieben haben. Die den RedakteurInnen die Gehälter gekürzt, Honorare klein gehalten, und immer noch eine Schippe Arbeit mehr drauf gepackt haben. Und jetzt wird, einer Kampagne des Verbands Südwestdeutscher Zeitungsverleger sei's gedankt, die journalistische Qualität beschworen, die angeblich die Demokratie retten soll und doch nur die Rettung des Profits im Auge hat.

Allen gemein ist die Frage: Wie erhalte oder steigere ich die Auflage – gedruckt und digital? Ein Patentrezept gibt es nicht, außer wahrhaftigem Journalismus, der von ausreichend recherchierendem und verständlich schreibendem Personal betrieben wird. Aber das ist teuer.

Schon sind wir bei der Crux der Pressegewerbe-Unternehmer: Sie betreiben eine Doppelstrategie von Redaktion und Anzeigen, in immer größerer Abhängigkeit von Google und Facebook, und versprechen ihrer Kundschaft nur das Beste, um ihr Bestes, sprich ihr Geld zu erhalten. Als politisch-moralischer Begleitschutz wird dann noch kurzerhand der Pressefreiheitsnotstand ausgerufen.

In Wahrheit bangen die Verleger um ihre Pressegewerbefreiheit und betrachten dabei die Pressefreiheit als ihr Eigentum. Stolz verweisen sie auf 48 Zeitungen im Land, auf eine scheinbar übergroße Vielfalt, über die sich Mann und Frau freuen sollen.

Aber das ist Augenwischerei. Die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) hält sich das Einheitsblatt "Stuttgarter Zeitungsnachrichten" (StZN) und will demnächst 16 Tageszeitungen mit dem Stuttgarter Mantel beliefern. Zum "Mannheimer Morgen" gehören noch Blätter in Weinheim und Schwetzingen, zur Ulmer "Südwestpresse" ein halbes Dutzend anderer Blätter, bis hin zum Tübinger "Schwäbischen Tagblatt", das einst ein liberaler Leuchtturm war. Das heißt, wir sprechen noch von zehn bis zwölf Verlagen und drei Konzernen.

Aber was sagen uns die Aussagen auf der schwer leserlichen blauen Farbe der Anzeigen? "Journalisten sind unabhängig und lassen sich nicht kaufen". Stimmt das? Oder muss sich nicht jeder Journalist und jede Journalistin von einem Zeitungsverlag kaufen lassen, und sich fürderhin an dessen Vorschriften und Haltung des Blattes orientieren? Ist es nicht so, dass sie in den "Meinungskorridor" ihres Blattes gesteckt und zu "Schlechtleistern" erklärt werden, wenn sie ihn verlassen sollten? Da stört es auch nicht, dass die Hälfte der baden-württembergischen Zeitungsverleger ihrem Verband den Rücken gekehrt hat, also aus dem Tarif geflohen ist. Unterschreiben durften sie bei der Qualitätsoffensive für besten Journalismus trotzdem. Sonst wäre die Pressevielfalt auf der Titelseite doch etwas mager ausgefallen.

Die beste Zeit? Ohne Verleger!

Meine langjährige Erfahrung sagt mir, dass Journalisten und Journalistinnen gerne von einem Verlag oder einem Pressebesitzer unabhängig wären. Aber dafür müssten sie in der Redaktion eine umfassende Mitbestimmung über Ziele und Inhalte des Blattes haben oder eine wesentliche Sperrminorität am Eigentum der Zeitung, die Belange der Redaktion und der LeserInnen in die Unternehmenspolitik einbezieht. Aber dazu fehlen schlicht die entsprechenden Gesetze, und die Bereitschaft der Politik, daran irgendetwas zu ändern. Wir haben noch nicht einmal eine bundes- oder landesweite Medienstatistik, um herauszufinden, welchem Verleger wieviel Zeitung und Pressefreiheit genau gehören.

Warum ist eigentlich die beste Zeit für Journalismus nicht die ohne die Besitzer der heutigen Pressefreiheit?

Erinnert sei an die erste Online-Pleite der Zeitungsverleger in den 1980er-Jahren, als sie massiv in den Bildschirmtext (BTX) investierten. Der erwies sich als Flop, wurde 2007 eingestellt, und danach haben sie die neue Technik nur noch zur Reduzierung der Beschäftigten genutzt, aber nie offensiv, um das Produkt Zeitung zu entwickeln und neue Lesermärkte zu erschließen.

Stattdessen verschenkten sie die teuer erarbeiteten journalistischen Inhalte im Netz und entwerteten dadurch ihre Papierzeitungen. Die schmalere Profitrate versuchten sie durch konsequente Ausdünnung der Redaktion und Reduzierung der Tarife auszugleichen. Es gab nicht gleiche Bezahlung der Online-Redakteurinnen und eine empörende Schlecht-Honorierung der vielen freien Mitarbeiter – bis heute. Da braucht es eine Qualitätsoffensive!

Und die Unterstützung durch die Politik. Warum? Man muss etwas voraus denken. Im kommenden Jahr soll im Stuttgarter Parlament der Medienstaatsvertrag wie in allen anderen Landeshauptstädten verabschiedet werden. In diesem Gesetz geht es auch um eine massive Aufweichung des Rundfunkbegriffs und um die Einbeziehung der social-media-Dienste in die marketing-orientierte Berichterstattung. Bekanntlich spähen immer mehr Anbieter unser Konsumverhalten aus, bieten Meinung und maßgeschneiderte Informationen nach Einkommen, Wahlverhalten, Konsumverhalten, sexuellen Ausrichtungen.

Je mehr die Politik den Zuckerbergs & Co. das Recht einräumt, wie ein seriöses publizistisches Medium aufzutreten, ohne die Reklame transparent zu machen, desto mehr muss dem Publikum imaginiert werden, dass dies der beste Journalismus ist, den der Markt heute bieten kann. Das endet damit, dass die Verleger allen Ernstes Journalismus als Dienstleistung am Leser bezeichnen. So, als ob die Wahrheit käuflich wäre.


Gerhard Manthey war bis 2014 Mediensekretär bei der Gewerkschaft Verdi in Stuttgart.


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1 Kommentar verfügbar

  • F. Fischer
    am 13.11.2019
    Antworten
    Wenn man als "Zeitung", die sie (StZ/StN) einst waren, solche "Imagekampagnen" nötig hat, sagt das doch schon ALLES.

    Aus meiner Sicht ... als sehr langjähriger Leser ... ist das Heuchelei, was die Verlegerschaft da inszeniert. Richtig übel. Der Niedergang begann im Stuttgarter Zirkel schon in…
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