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Im Bett mit Herbert

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Trennung von Werbung und Journalismus? War gestern. Die "Welt" macht vor, wie’s heute geht, und hievt für einen Tag Herbert Diess auf den Vize-Chefsessel, den Vorstandsvorsitzenden von VW. Man möchte weinen.

Der 7. Mai 2019 wird möglicherweise als Tag des Dammbruchs in die deutsche Zeitungsgeschichte eingehen. Springers Tageszeitung "Die Welt" habe mit ihrer an jenem Tag erschienenen Ausgabe "vorgemacht, wie man sich einem großen Unternehmen so richtig an den Hals wirft" – so umschrieb der Newsletter des Medienportals "Übermedien" die Maßnahme der Springer-Zeitung, als Co-Chefredakteur für einen Tag Herbert Diess zu engagieren, den Vorsitzenden des Vorstands der Volkswagen AG.

In einem "Neue Mobilität"-Ressort fand sich am Diess-Day zum Beispiel ein ganzseitiges Porträt einer Volkswagen-Mitarbeiterin, das im Sound einer Unternehmenszeitschrift gehalten war: "Michelle Gabriel hat bei VW erst das Schweißen gelernt – und dann das Programmieren." Und nun sei sie in der "Fakultät 73" gelandet, der "Kaderschmiede des Konzerns". Einerseits journalistisch camouflierte Werbung (Texte über VW und Texte, in die ein VW-Bezug eher notdürftig eingebaut wurde), andererseits "richtige" Anzeigen von VW – das prägte einen Großteil der Blattmischung.

"Welt"-Chef Ulf Poschardt in Höchstform

Es war nicht das erste Mal, das die Springer-Zeitung sich beim Blattmachen von Prominenten helfen lässt. Seit 2010 erscheint pro Jahr eine Sonderausgabe, die von Künstlern gestaltet wird. Und Konzernchefs sind ja schließlich auch Künstler, irgendwie. Ulf Poschardt, der Chefredakteur der Welt-Gruppe, schreibt in einem Text über eine Testfahrt mit einem natürlich aus dem Hause VW stammenden Kraftfahrzeug: "Hochkomplexe, aber auch archaisch kraftvolle Mechaniken" könnten "die Aura des Seelenhaften imaginieren. Sie lärmen, atmen hörbar, verbrennen Kraftstoff, verschlucken sich, räuspern sich, spenden Wärme und Geborgenheit". Diese "Identität" habe "wesenhaft mit der ingenieurhaften Exzellenz, einem Kunstwerk ähnlich, großer Motorbauer zu tun, ob sie nun von Ferrari, Porsche, Mercedes oder Lamborghini kommen". Sein Beifahrer bei der Testfahrt: der Kurzzeit-Chefredakteur Diess.

Einer der bizarrsten Texte der Sondernummer findet sich im Kulturteil, der an diesem Tag den Ressortnamen "Kulturwandel" verpasst bekam. Geschrieben hat ihn Wolfgang Jennwein, vorgestellt als "Vorstandsberater" von VW. Abgeliefert hat er ein Potpourri aus Sprechblasen, das mal wieder daran erinnert, dass es zu den bewusstseinsindustriellen Erfolgsgeschichten deutscher Unternehmen gehört, im Laufe der vergangenen Jahre zwecks Veredlung profaner Maßnahmen und Entscheidungen Begriffe wie "Unternehmenskultur" etabliert zu haben. Die "nachhaltig erfolgreiche Transformation der Autoindustrie" könne "nur mit einem konsequenten Kulturwandel gelingen", schreibt Jennwein zum Beispiel. Oder darüber, welche Rolle "wache Mitarbeiter" in einer "gesunden Unternehmenskultur" spielen. Außerdem hat der Vorstandsberater herausgefunden: "In einer sich rasant wandelnden Welt sind laufende Innovationen und unternehmerisches Denken die kritischen Erfolgsfaktoren." Als Überschrift steht "Kulturoffensive" drüber.

Für den Aufmacher des Ressorts "Kulturwandel" haute "Welt"-Herausgeber Stefan Aust in die Tasten. Seine Botschaft: "Nichts verkörpert die Bundesrepublik so sehr wie das schnelle und gerade deshalb technisch besonders ausgefeilte deutsche Auto." Der Ex-Linke Aust scheint also mittlerweile einer speziellen Spielart der Vaterlandsliebe zugeneigt zu sein.

So viel Benzin im Blut wie Aust hat Ulf Poschardt aber schon lange. Kürzlich philosophierte er in einem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur: "Die Autobahn hat sich als das letzte Freiheitsfeld erwiesen, wo wir mehr Freiheit genießen, als andere auf der Welt, sonst sind wir eigentlich immer auf Freiheitstabellen nicht auf den vorderen Plätzen zu finden." In der von der Organisation Reporter ohne Grenzen jährlich erstellten Rangliste der Pressefreiheit liegt Deutschland unter 180 Ländern immerhin noch auf Rang 13, also durchaus auf einem "vorderen Platz". Aber wenn hier zu Lande noch öfter Zeitungen freiwillig ihre Pressefreiheit beschneiden und Sondernummern drucken, deren Inhalte wesentlich bestimmt werden von einflussreichen Autokonzernen, die die Verkehrspolitik im Lande mindestens mitbestimmen – dann wird Deutschland in dieser Tabelle womöglich zurückfallen.

Üble Entwicklung im Journalismus

Seine Angst vorm Verlust seiner Freiheit treibt Poschardt regelmäßig zu wortgewaltigem Gewüte, die Rede ist dann von "Umerziehungskultur" oder "Verklumpung grüner Politik, subventionsnaher NGOs und eines medial-kulturellen Komplexes, dem die wechselseitige Anerkennung als Zeichen einzigartiger Auserwähltheit genügt." Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke schreibt in der Zeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" dazu: "Worum es Poschardt und seinen Mitstreitern primär geht, sind (…) weniger die Arbeitsplätze der Arbeiterinnen und Arbeiter, als vielmehr das Wohl und Wehe der deutschen Automobilkonzerne."

Dass sich die "Welt" mit Herbert Diess ins Bett gelegt hat, ist in dieser Hinsicht also nur konsequent – es ist aber auch Ausdruck einer generell problematischen Entwicklung im Journalismus. Die Grenzen zwischen klassisch redaktionellem Inhalt und Werbung verschwimmen vielerorts, etwa bei Beilagen zu Themen wie Gesundheit oder Reise, die dann als "Verlagsspezial" oder "Verlags-Sonderveröffentlichung" ausgewiesen werden. Viele Medienhäuser tun so, als wisse der Leser dank solcher Kennzeichnungen, dass es sich dabei um werbliche Produkte handelt.

Solche "Sonderveröffentlichungen" entstehen oft in Großverlags-Tochterunternehmen, die Journalismus im Auftrag oder Dienste von Unternehmen produzieren. Bei der "Zeit" heißt diese Tochter zum Beispiel Tempus Corporate. Sie erstellt demnächst einen "cross­medialen Unternehmens­bericht" für die AOK Baden-Württemberg ("Ziel ist es, die AOK Baden-Württemberg als Experte für Gesund­heits­themen in der Region zu präsentieren"), aber auch Produkte, die der Wochenzeitung beigelegt werden – im März etwa eine Ausgabe des Magazins "Wohin Reisen?", produziert "für die SalzburgerLand Tourismus GmbH und im Auftrag des Zeit-Verlags". Äußerlich wirkt diese "Sonderveröffentlichung des Zeit-Verlages" wie eine redaktionelle Ergänzung zum Hauptprodukt, obwohl es sich de facto um bezahlte Werbung handelt.

"Guido" und "Barbara" verkaufen sich selbst

Zu den Medienprodukten, bei denen journalistischer Inhalt und Werbung nicht immer leicht zu trennen sind, gehören auch Personality-Magazine wie "Barbara" (mit der Moderatorin Barbara Schöneberger), "Guido" (gewidmet dem Modeunternehmer und "Shopping Queen"-Moderator Guido Kretschmer) oder "Boa" (Jérome Boateng). Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb über diese Zeitschriftennamensgeber: "Viele von ihnen sind zugleich Unternehmer, in manchen dieser Magazine werden ihre Produkte auf redaktionellen Seiten vorgestellt. Kleidung, Accessoires und Küchenzubehör, alles, was sie mit entwerfen oder für das sie zumindest ihren Namen hergegeben haben, womit sie Geld verdienen, wird beworben." Wie könne denn die durch Pressegesetz und Pressekodex vorgeschriebene Trennung von redaktionellen und bezahlten Inhalten gewährleistet sein, "wenn Redaktionsmitglieder, teils in leitender Funktion, selbst Hersteller redaktionell ausgewählter und vorgestellter Produkte sind?" Vor allem Letzteres gilt auch für die VW-Sonderausgabe der "Welt".

Springer hat zwar keine große Lust mehr auf Gedrucktes, mehr als 84 Prozent des Gewinns kommen mittlerweile mit digitalen Angeboten, etwa Job- und Immobilienportalen. Aber angesichts der mit der "Welt"-Sonderausgabe bewiesenen großen Liebe zu Volkswagen und der Erfolge von "Barbara" und "Guido" geben wir gern eine Empfehlung: Wie wäre es denn mit einem Personality-Magazin über den VW-Star Herbert Diess? Der Zeitschriftenname "Herbert" ist ja zum Glück noch frei.


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