Das scheint Methode zu haben. Die erste Attacke im März kam als "Brandbrief" an alle ARD-Intendanten daher, in dem Gniffke eine "Zweckentfremdung von Beitragsgeldern" vorgeworfen wurde. Er habe angeordnet, die nächtliche 4.40 Uhr-"Tagesschau" ausfallen zu lassen, womit er den Anspruch des Gebührenzahlers, "von uns rund um die Uhr mit Qualitäts-Nachrichten" versorgt zu werden, nicht mehr erfülle. Wer das schreibt, bleibt ebenso im Dunkeln, wie die Antwort auf die Frage, was hier zweckentfremdet wurde? Es sind wohl eher die Zehen, auf die getreten wurde, was zum Aufschrei führte. Wobei auch wichtigere Fragen zu stellen wären. Etwa, wie objektiv ist die "Tagesschau", eine der wichtigsten Nachrichtensendungen der Welt? In ihrer Berichterstattung über Russland, die Ukraine, Venezuela?
Chefredakteur Gniffke spricht vom "Gift des Misstrauens"
Von Kontext befragt, betont Gniffke, er wolle gar nicht wissen, wer das "Gift des Misstrauens, des Verdächtigens und Beschuldigens" verspritze. Deshalb habe er auch zu seinen Mitarbeitern gesagt, sie mögen nicht beginnen, herum zu spekulieren, wer’s gewesen sein könnte. Seine Redaktion schließt er auf jeden Fall aus. Wegdrücken, von der Arbeit fernhalten ("Die Tagesschau ist so wichtig wie noch nie"), lautet die Devise, und dennoch gibt es Momente, in denen er sich wundert, er nennt es "befremdet", über das, was alles ausgekübelt wird.
Klar ist nur, dass hier jemand seine Kür in Stuttgart verhindern will – und damit den Eifer seiner Förderer noch erhöht. Ob‘s Hans-Albert Stechl, der rote Verwaltungsratsvorsitzende, ist, oder Günther-Martin Pauli, der Vorturner des schwarzen Freundeskreises, beide loben ihn über den Schellenkönig. Heimlich im Übrigen auch Peter Boudgoust, der noch amtierende Intendant. Aushängeschild, Bundesliga, formidabel – die Superlative sind kaum steigerbar. Stets unterlegt mit dem Hinweis auf die ARD, die Gniffke wie seine Westentasche kenne. Bei einem, der bei der "Tagesschau" 16 Jahre lang mit den Chefs der Anstalten, von Bremen bis München, verhandelt habe, scheint das selbstverständlich.
In Anbetracht der Vermutung, dass auch Gniffke keine eierlegende Wollmilchsau ist, verweisen weniger Euphorisierte auf Lücken: Kein Bezug zum Land, keine Ahnung vom Radio, keine Erfahrung in der Unterhaltung (von eigenen Auftritten abgesehen), keine Vertrautheit mit dem Gremienwesen. Wenn der Hamburger Welterklärer auf den Vertreter des Bauernverbandes trifft, könnte es noch funktionieren. Das ist ja Joachim Rukwied (CDU), der Präsident, der kennt sich in der Monsanto-Welt bestens aus. Wenn er auf den Vertreter des Landessportverbandes Baden-Württemberg, Gundolf Fleischer (CDU), trifft, könnte es schon enger werden.
Die Biographie ist erstklassig sozialdemokratisch
Solche Leute werfen im Keller noch Schatten, und sind zumindest verwirrt, wenn sie einem Roten die Stimme geben sollen. Da hat Gniffke einiges zu bieten. Er ist der Enkel von Erich Walter Gniffke (1895 – 1964), der ein führendes Mitglied im sozialdemokratischen Widerstand gegen das NS-Regime war, später die SPD in der sowjetisch besetzten Zone wieder aufbaute, und 1948 vor dem stalinistischen Terror in die BRD flüchtete. Promoviert hat Gniffke bei dem linken Sozialwissenschaftler Iring Fetscher, sein Thema war der Genosse Dr. Quarck (1860 – 1930), ein führender Kopf der Frankfurter Arbeiterbewegung um die Jahrhundertwende. Aber keine unnötige Sorge: der Doktorand fand keinen Revoluzzer, sondern einen Reformer mit bisweilen "junkerlichen Allüren". Kein Geheimnis ist auch, dass Malu Dreyer (SPD), die Mainzer Ministerpräsidentin, für ihn trommelt. Endlich soll Schluss sein mit der Stuttgarter Arroganz. Ganz abgesehen davon gibt es auch fundamentale Kritik an Gniffke und seiner "Tagesschau". Einmal "Gniffke" im Suchfenster der "Nachdenkseiten" eingegeben, und schon ploppt der Hamburger 84 Mal auf.
Aber zurück zur Arroganz: gemeldet hat sich auch noch ein Altintendant. Peter Voß, 78, aus Berlin. In der FAZ vom 9. April lässt er kein gutes Haar an den Rundfunkräten, die nach seiner Wahrnehmung getrickst, gekungelt und übersehen haben, dass sie "nicht irgendeine Plastiktütenfabrik beaufsichtigen". Der frühere SWR-König bezieht sich dabei auf die Entscheidung, nur zwei statt fünf Kandidaten vorsingen zu lassen, was einer "Selbstentmachtung" gleich komme. Die Freude bei den Gremienmitgliedern dürfte verhalten gewesen sind, noch verhaltener als zu Amtszeiten (1993 – 2007) von Voß, in denen er ihnen vermittelt hat, wer die Macht an seinem Hof hat: Peter der Große, der zweimal ohne jeden Gegenkandidaten gewählt wurde.
Schön für sie, dass SWR-Justitiar Hermann Eicher den Ball aufgenommen und in der FAZ vom 11. April gekontert hat. Nie seien die Gremien "freier, unabhängiger, souveräner, politikferner" gewesen, pries der Jurist seine Räte, die das Verfahren "sorgsam abgewogen" hätten und sich nun "billige, ja übelste Gremienschelte" gefallen lassen müssten. Spätestens danach dürften sich die Reihen fest geschlossen haben.
Fremdes oder Vertrautes – das ist die Frage?
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Die Lerche
am 20.05.2019