KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

SWR: Schlammschlacht mit Wetterfee

SWR: Schlammschlacht mit Wetterfee
|

Datum:

Was sie mit dem SWR vorhaben, halten Stefanie Schneider und Kai Gniffke noch geheim. Bis zur Wahl am 23. Mai. Die vornehme Zurückhaltung schließt aber eine Schlammschlacht nicht aus. Wetterfee Claudia Kleinert spielt dabei eine Rolle.

Unter ausgesuchten Rundfunkräten, heute würde man wohl Influencer sagen, kursiert derzeit eine Post mit hohem Erregungspotenzial. Es habe einen "sexistischen Skandal" beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) gegeben, genauer bei der "Tagesschau", berichten Anonymi und nennen auch gleich den Bösen: Kai Gniffke, erster Chefredakteur bei ARD-aktuell. Der 58-Jährige habe sich bei einer Abschiedsfeier für einen Kollegen im Jahr 2014 (!) eine blonde Perücke aufgesetzt und die Wetterfee Claudia Kleinert parodiert. Das muss ein Heidenspaß gewesen sein, zumal auch noch Caren Miosga und Judith Rakers daran glauben mussten. Die Kolleginnen und Kollegen hätten sehr gelacht über das komödiantische Talent ihrer Führungskraft, heißt es. Fünf Jahre später nicht mehr – als daraus eine Metoo-Kolportage für Stuttgart gemacht wurde. Dort will Gniffke Intendant werden.

Angefragt vom SWR, mussten Intendant und Frauenbeauftragte des NDR Stellung nehmen, und versichern, dass es keinen sexistischen Skandal gegeben habe. Null, null komma nix, so die Botschaft aus dem Hugh-Greene-Weg 1. Unterstützt wurden sie dabei von Moderatorin Miosga, die sich am 8. April via Mail entsetzt zeigte über die "absurde Unterstellung". Der "freundschaftlich-satirische" Auftritt Gniffkes habe mit der Metoo-Debatte "absolut nichts" zu tun, hier werde nur versucht, einen Menschen zu beschädigen.

Das scheint Methode zu haben. Die erste Attacke im März kam als "Brandbrief" an alle ARD-Intendanten daher, in dem Gniffke eine "Zweckentfremdung von Beitragsgeldern" vorgeworfen wurde. Er habe angeordnet, die nächtliche 4.40 Uhr-"Tagesschau" ausfallen zu lassen, womit er den Anspruch des Gebührenzahlers, "von uns rund um die Uhr mit Qualitäts-Nachrichten" versorgt zu werden, nicht mehr erfülle. Wer das schreibt, bleibt ebenso im Dunkeln, wie die Antwort auf die Frage, was hier zweckentfremdet wurde? Es sind wohl eher die Zehen, auf die getreten wurde, was zum Aufschrei führte. Wobei auch wichtigere Fragen zu stellen wären. Etwa, wie objektiv ist die "Tagesschau", eine der wichtigsten Nachrichtensendungen der Welt? In ihrer Berichterstattung über Russland, die Ukraine, Venezuela?

Chefredakteur Gniffke spricht vom "Gift des Misstrauens"

Von Kontext befragt, betont Gniffke, er wolle gar nicht wissen, wer das "Gift des Misstrauens, des Verdächtigens und Beschuldigens" verspritze. Deshalb habe er auch zu seinen Mitarbeitern gesagt, sie mögen nicht beginnen, herum zu spekulieren, wer’s gewesen sein könnte. Seine Redaktion schließt er auf jeden Fall aus. Wegdrücken, von der Arbeit fernhalten ("Die Tagesschau ist so wichtig wie noch nie"), lautet die Devise, und dennoch gibt es Momente, in denen er sich wundert, er nennt es "befremdet", über das, was alles ausgekübelt wird.

Klar ist nur, dass hier jemand seine Kür in Stuttgart verhindern will – und damit den Eifer seiner Förderer noch erhöht. Ob‘s Hans-Albert Stechl, der rote Verwaltungsratsvorsitzende, ist, oder Günther-Martin Pauli, der Vorturner des schwarzen Freundeskreises, beide loben ihn über den Schellenkönig. Heimlich im Übrigen auch Peter Boudgoust, der noch amtierende Intendant. Aushängeschild, Bundesliga, formidabel – die Superlative sind kaum steigerbar. Stets unterlegt mit dem Hinweis auf die ARD, die Gniffke wie seine Westentasche kenne. Bei einem, der bei der "Tagesschau" 16 Jahre lang mit den Chefs der Anstalten, von Bremen bis München, verhandelt habe, scheint das selbstverständlich.

In Anbetracht der Vermutung, dass auch Gniffke keine eierlegende Wollmilchsau ist, verweisen weniger Euphorisierte auf Lücken: Kein Bezug zum Land, keine Ahnung vom Radio, keine Erfahrung in der Unterhaltung (von eigenen Auftritten abgesehen), keine Vertrautheit mit dem Gremienwesen. Wenn der Hamburger Welterklärer auf den Vertreter des Bauernverbandes trifft, könnte es noch funktionieren. Das ist ja Joachim Rukwied (CDU), der Präsident, der kennt sich in der Monsanto-Welt bestens aus. Wenn er auf den Vertreter des Landessportverbandes Baden-Württemberg, Gundolf Fleischer (CDU), trifft, könnte es schon enger werden.

Die Biographie ist erstklassig sozialdemokratisch

Solche Leute werfen im Keller noch Schatten, und sind zumindest verwirrt, wenn sie einem Roten die Stimme geben sollen. Da hat Gniffke einiges zu bieten. Er ist der Enkel von Erich Walter Gniffke (1895 – 1964), der ein führendes Mitglied im sozialdemokratischen Widerstand gegen das NS-Regime war, später die SPD in der sowjetisch besetzten Zone wieder aufbaute, und 1948 vor dem stalinistischen Terror in die BRD flüchtete. Promoviert hat Gniffke bei dem linken Sozialwissenschaftler Iring Fetscher, sein Thema war der Genosse Dr. Quarck (1860 – 1930), ein führender Kopf der Frankfurter Arbeiterbewegung um die Jahrhundertwende. Aber keine unnötige Sorge: der Doktorand fand keinen Revoluzzer, sondern einen Reformer mit bisweilen "junkerlichen Allüren". Kein Geheimnis ist auch, dass Malu Dreyer (SPD), die Mainzer Ministerpräsidentin, für ihn trommelt. Endlich soll Schluss sein mit der Stuttgarter Arroganz. Ganz abgesehen davon gibt es auch fundamentale Kritik an Gniffke und seiner "Tagesschau". Einmal "Gniffke" im Suchfenster der "Nachdenkseiten" eingegeben, und schon ploppt der Hamburger 84 Mal auf.

Aber zurück zur Arroganz: gemeldet hat sich auch noch ein Altintendant. Peter Voß, 78, aus Berlin. In der FAZ vom 9. April lässt er kein gutes Haar an den Rundfunkräten, die nach seiner Wahrnehmung getrickst, gekungelt und übersehen haben, dass sie "nicht irgendeine Plastiktütenfabrik beaufsichtigen". Der frühere SWR-König bezieht sich dabei auf die Entscheidung, nur zwei statt fünf Kandidaten vorsingen zu lassen, was einer "Selbstentmachtung" gleich komme. Die Freude bei den Gremienmitgliedern dürfte verhalten gewesen sind, noch verhaltener als zu Amtszeiten (1993 – 2007) von Voß, in denen er ihnen vermittelt hat, wer die Macht an seinem Hof hat: Peter der Große, der zweimal ohne jeden Gegenkandidaten gewählt wurde.

Schön für sie, dass SWR-Justitiar Hermann Eicher den Ball aufgenommen und in der FAZ vom 11. April gekontert hat. Nie seien die Gremien "freier, unabhängiger, souveräner, politikferner" gewesen, pries der Jurist seine Räte, die das Verfahren "sorgsam abgewogen" hätten und sich nun "billige, ja übelste Gremienschelte" gefallen lassen müssten. Spätestens danach dürften sich die Reihen fest geschlossen haben.

Fremdes oder Vertrautes – das ist die Frage?

Jetzt ist nur noch die Frage, was sie mit ihrem einmütig beschlossenen Doppelpack machen? Kai Gniffke wählen oder Stefanie Schneider? Vereinfacher würden sagen: Fremdes oder Vertrautes? Globus oder Provinz? Die Bewerberin, seit 1991 beim Sender, vorher Radio BB, Antenne 1, SWF-Studio Tübingen, sei grün-affin, freundlich, zuhörend und "kein Arschloch", wie es aus Frauenkreisen heißt. Das Nette mache nur eine Ausnahme: bei Simone Schelberg. Die Gattin des SWR-Personalchefs Thomas Schelberg ist Direktorin in Mainz, also das Pendant zu Schneider, und werde von selbiger aufrichtig gehasst, was die Akzeptanz in Rheinland-Pfalz nicht erhöht. Vorteil Gniffke: Er hat in Mainz als Reporter gearbeitet, sein Vorgesetzter war Fritz Frey, der heute in Stuttgart multimedialer Chefredakteur ist. Nachteil: er gilt als ruppig.

Wie sie das einschätzt, mag Frau Schneider nicht sagen. Sie habe sich geschworen, lässt sie Kontext wissen, vor der Wahl nicht mit der Presse zu sprechen. Die Gremien seien’s, die Vorrang hätten. Dort werden sie und ihr Konkurrent am Vorabend der Kür, die am 23. Mai stattfindet, bei den schwarzen, roten und lila Freundeskreisen einlaufen und um die Stimmen werben. Das Rennen sei offen, verlautet aus dem Sender.

Unsere Unterstützung hätte, wer als erste Amtshandlung die frühere Reiseredakteurin und heutige Buchvollschreiberin Gaby Hauptmann vom Bildschirm verbannte. Ihre Premiere mit "Talk am See", erstmals ausgestrahlt am vergangenen Samstag, war so schlimm, dass man sich Kai Gniffke als Claudia Kleinert herbeiwünschte.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


7 Kommentare verfügbar

  • Die Lerche
    am 20.05.2019
    Antworten
    Ein Onlineportal, das den öffentlich rechtlichen Rundfunk und die Presse in großen Teilen attackiert, sollte nicht als Kronzeuge bei der Frage der Berufung eines neuen Intendanten aufgerufen werden. („Die US-nah organisierte Gleichschaltung wichtiger Leitmedien“ NDS vom 21. März 2014). Hier zwei…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!