KONTEXT:Wochenzeitung
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"Ich muss Ihre Einladung leider ausschlagen"

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Wenn der Chef der "Bild"-Zeitung über Moral und Ethik spricht, ist höchste Vorsicht geboten. Wenn Julian Reichelt seinen Kritiker dann noch in die Redaktion einlädt, ist es besser, zuhause zu bleiben. Unser Autor gibt es ihm schriftlich.

 

Mein lieber Julian Reichelt,

unverhofft kommt oft, so sagt man, doch völlig überrascht war ich, auf meinen Artikel <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien bild-chef-im-delirium-5759.html _blank internal-link-new-window>"'Bild'-Chef im Delirium" (Kontext 6.3.2019) eine Mail aus der Berlin zu bekommen, vom Chefredakteur persönlich. Welch eine Ehre für einen, den Sie zuerst als "autoritärer BILD-Hasser" ansprechen und gleich anschließend in die Berliner Chefetage einladen, um seine "Vorurteile einer Recherche auszusetzen". Vielen herzlichen Dank.

Aber das mit dem Hass ist so eine Geschichte. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: "Liebe und Hass sind die Hörner am selben Stier." Haben Sie denn völlig überlesen, wie liebevoll ich Sie beispielsweise in meinem Artikel als ewig "quasselnder Dampfplauderer" tituliert habe, ja sogar als engagierter Schmierenjournalist? Und: Kann man die "Bild" oder ihren Chefredakteur überhaupt hassen (außer natürlich, wenn man in einer Ihrer Kampagnen medial bis an den Rand der Existenz verwurstet wurde)? Offensichtlich liegt da ein Problem für Sie: "Was mich beunruhigt, ist der Hass, den ich persönlich erlebe. Ich fühle mich jedoch dadurch bestätigt, dass er sowohl aus dem linksextremen als auch rechtsextremen Spektrum kommt" (Horizont, 10.1.2019). Eigentlich fühlen Sie sich als Opfer, ja als Opfer der Meinungsfreiheit, denn: "Verlogenheit ekelt mich an" (Horizont, ebenda).

Das verstehen wir ja so gut. Und das ist womöglich auch der Grund, warum es früher immer wieder welche gab, die tatsächlich die Idee einer "linken Bild-Zeitung" zumindest ansatzweise vor sich hertrugen. Vor vierzig Jahren, noch im Status des Jung-Journalisten, saß ich oft mit meinen jungen Kollegen beim Italiener am Heidelberger Ebertplatz, und wir rezitierten Abend für Abend an unserem Stammtisch begeistert Eckhard Henscheids bahnbrechendes Werk "Die Vollidioten", und wir träumten davon, nur einmal im Leben für eine Woche Mitglied der "Bild"-Überschriftenredaktion zu werden, dieser genialen Melange aus Schwachsinn und dumpfer Kreativität. Unser Credo damals: "Da können wir endlich mal so richtig in die Vollen gehen."

Irgendwie haben wir das - trotz aller selbstironisch imaginierten Zuneigung zu diesem besonderen journalistischen Sujet - nicht geschafft und verständlicherweise später auch nicht bedauert. Denn da gab es andere und berühmtere Kollegen, wie etwa Günter Wallraff, die ihr journalistisches Eros an der "Bild" abarbeiteten - und spätestens seit Wallraff ist zum Thema "Bild" auch nichts mehr Wesentliches hinzuzufügen. Nur das: In der Tat hat der Boulevard überall in den Medien seine schmierigen Fußspuren hinterlassen, ist sogar nicht selten zum "respektablen" Gesprächspartner geworden, wie die von mir beobachtete Veranstaltung in Heidelberg mit Ihnen zum Thema "Ethik und Moral im Boulevard?" gezeigt hat. Der Boulevard ist heute fest und harmonisch integriert in die medialen Inszenierungen des Alltags, daran stößt man sich nicht mehr - allenfalls in satirischen TV-Formaten. Man geht anständig miteinander um. Und man wechselt auch die Seiten nach Belieben, man ist flexibel.

Die "Bild" zu hassen ist völlig uncool

Also, mein lieber Julian Reichelt, um darauf zurück zu kommen: die "Bild" und ihre Macher zu hassen ist völlig uncool, das geht uns doch völlig am Arsch vorbei, das lohnt nicht. Allerdings haben einige von uns damals beschlossen: nie für Springer arbeiten, besonders nicht für die "Bild", dieser Mutter aller Social Media in Deutschland. Und viele haben es bis heute auch durchgehalten - natürlich nicht die journalistische Bordsteinschwalbe Alice Schwarzer. Nur eines hält uns immer wieder auf Trab: Wenn Typen wie Sie unter dem Motto "Verlogenheit ekelt mich an" öffentlich auftreten, verlogene Vorträge halten und vorgeben, damit die Meinungsfreiheit zu retten. Das ist ärgerlich. Denn ihre journalistischen Sünden und Schweinereien sind über das ganze Netz verstreut aufzufinden.

So wie gerade die skandalöse Veröffentlichung der Bilder jenes "Ego-Shooters" in Neuseeland, der 50 Menschen auf dem Gewissen hat: Massenmord als mediale Inszenierung. "Bild" hat Szenen davon, getreu dem eigenen Motto "zeigen, was ist", ins Blatt gehoben; nein: Reichelt, der Chefredakteur, hat den "Ego-Shooter" sozusagen in den Rang eines "Bild"-Mitarbeiters gehoben und ihn so zum Medienpartner gemacht. Irgendwie treffen sich hier verwandte Egos.

Mein lieber Julian Reichelt, mit Ihrer ungebrochenen Lust an Provokation, Streit und manischer Selbstreferenz werden Sie es noch weit bringen. Das mediale Feld ist für Sie heutzutage optimal präpariert. Mit 38 steht Ihnen die Welt weit offen: viel Feind, viel Ehr, viel Ruhm, viel Geld. Und viele neue Freunde, wie etwa die taz, die mit Ihnen, dem Träger der "Goldenen Kartoffel", dem Preis für Vorurteile und Panikmache bei den Themen Integration, Migration und Asyl, ein "Nachbarschaftsgespräch" über Europa führen will. Geil.

Und zwischendurch werden Sie sicherlich Ihre Erfolge mit Ihren musikalischen Lieblingsstücken wie Reinhard Meys "Über den Wolken" feiern. Nur komisch, dass mein erster Gedanke nach Ihrer Mail dem großen Karl Kraus galt, der einmal, was Höhenflüge betrifft, meinte: "Erfolg steigt nur dann zu Kopf, wenn der dazu benötigte Hohlraum vorhanden ist." Und da liegt das Problem: Hohlräume lösen bei mir nicht selten klaustrophobische Attacken aus, da bin ich kaum zu bremsen, deshalb muss ich am Ende leider Ihre Einladung nach Berlin ausschlagen.

Mit freundlichen Grüßen

Mario Damolin

 

Mario Damolin ist freier Journalist und Dokumentarfilmer sowie Dozent an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. <link http: www.damolin-medien.de _blank external-link-new-window>www.damolin-medien.de


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8 Kommentare verfügbar

  • Andreas Schmidt
    am 21.03.2019
    Antworten
    Man geht nicht freiwillig und ohne Eigensicherung in ein Minenfeld.
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