Nachts in einer deutschen Stadt. Zwei großmotorige Autos jagen über eine Kreuzung, liefern sich offensichtlich ein Rennen, das die Kamera aber nicht weiter interessiert und auch nicht weiter verfolgt. Sie bleibt bei dem Kleinwagen, der von einem der beiden Raser angefahren wurde und dessen Fahrer bewusstlos aufs Steuer gesunken ist. Sie schaut aus der Vogelperspektive zu, wie die Polizei eintrifft, die Feuerwehr, ein Krankenwagen. Dann führt sie den Zuschauer näher ans Geschehen. Eine Notärztin (Susanne Wolff) in roter Weste spricht den Verletzten an, fixiert seinen Kopf, holt ihn mit ihrem Team aus dem Fahrzeug, versorgt ihn routiniert und professionell. Diese Frau weiß, was zu tun ist.
Rike heißt diese etwa vierzigjährige Frau, die nun zu sehen ist, wie sie im Hafen von Gibraltar ihre weiße Zwölf-Meter-Jacht "Asa Gray" für eine längere Reise ausrüstet und belädt. Sie geht beim Verstauen der Gerätschaften und des Proviants methodisch vor, sie muss nicht viel nachdenken, sie führt einen Plan aus. Auch ein Buch hat sie dabei, einen großformatigen Hardcover-Band mit Bildern von einer üppig bewachsenen Insel, auf dem der Titel "The Creation of Paradise" und der Name Charles Darwin zu lesen ist. Auf einer Seekarte zirkelt Rike nun ihre Route ab, die im Südatlantik enden soll, auf eben jener Insel, die "Ascension Island" genannt wird.
Jetzt geht es los, sehr aufrecht und mit konzentrierter Miene steht Rike am Steuer. Sie skippert ohne zu zögern an hochaufragenden Tankern vorbei, befestigt Taue, betätigt Winden, holt die Segel ein. Sie ist nun ganz allein auf weiter See und fürchtet sich nicht, scheint ihre völlig losgelöste und autarke Existenz vielmehr zu genießen, wird dabei aber nicht euphorisch. Rike springt nackt ins Wasser und schwimmt, wäscht sich die Haare, schaut in den Sonnenuntergang und liest, inspiziert in der Dunkelheit mit einer Helmlampe ihr Boot. Und wie Susanne Wolff, selber eine passionierte Seglerin, dies alles mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit spielt, so, dass es gar nicht mehr nach Spielen aussieht, dass es vielmehr wirkt, als wäre sie tatsächlich auf ihrer Jacht unterwegs und die Kamera würde dies nur in langen Einstellungen dokumentieren, das ist eine starke Leistung.
Pathos des Elementaren
Keine Musik ist in diesen Szenen auf See zu hören, nur eine Sinfonie der Geräusche: das Sirren von Seilen, das Knirschen von Holz, das Rauschen des Wassers unterm Kiel oder das Klatschen, wenn der Bug in die Wellen taucht. Es ist sehr schlankes, sehr konkretes, sehr physisches Kino, das der Regisseur Wolfgang Fischer, der mit Ika Künzel auch das Drehbuch geschrieben hat, hier inszeniert. Der Zuschauer weiß nicht viel über Rike, weder über ihre Vergangenheit noch über ihr aktuelles Privatleben. Doch aus wenigen Andeutungen und aus der Weise, wie sie im Hier und Jetzt agiert, wird dennoch ein Charakter sichtbar. Nicht viel erklären, lieber beobachten und zeigen. So wie der Autor Ernest Hemingway setzt der Regisseur Fischer auf das Pathos des Einfachen, Sachlichen und Elementaren, und so wie im Roman "Der alte Mann und das Meer" führt gerade dieser Verzicht auf üppig-breites Ausmalen auch in diesem Film in die mythische Überhöhung.
Wobei das Meer für die Fiktion – von Homers "Odyssee" über Melvilles "Moby Dick" bis hin zu J. C. Chandors filmischem Einhandsegler-Drama "All is lost" – sowieso ein Gebiet ist, dessen unendliche Leere mit existenzieller Bedeutung aufgeladen wird. Wolfgang Fischer und Ika Künzel helfen dabei in ihren Benennungen noch ein bisschen mythologisch nach: Der Zielort "Ascension Island" etwa kann auch die Insel der Auferstehung bedeuten, und der Filmtitel "Styx" bezieht sich auf jenen Namen, den in der griechischen Antike der Fluss trägt, der die Lebenden von den Toten scheidet.
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