Lisa Millers Spielfilmdebüt "Landrauschen", das den Max-Ophüls-Preis gewonnen hat und hoffentlich noch viele Zuschauer gewinnen wird, ist ein Heimatfilm. Aber keiner, der sich gnädig herablässt und die Provinz in verschlissene Erzählmuster zwängt und vorführt, so wie das etwa die zur TV-Serie ausgewalzte Klamotte "Die Kirche bleibt im Dorf" tut. Sondern einer, den die ohne Fernsehgelder arbeitende Regisseurin, Drehbuchautorin und (zusammen mit ihrem Kollegen Johannes Müller) auch Produzentin mit viel Autobiografischem anreichern konnte. "Landrauschen" wurde zum Teil durch Crowdfunding finanziert, die anderen Sponsoren sind unter anderem die Bäckerei Reißler, die Barfüßer Hausbrauerei und die Alte Mühle.
Dieser Film, lose strukturiert durch die Jahreszeiten und Feste wie Fasching, Funken oder Fronleichnam, bleibt also wirklich im Dorf, was man seinen nie pittoresk-kulissenhaften, sondern auch mal putzblätternd-schäbigen Heimatbildern ansieht. Und was man seinen Darstellern, von Kathrin Wolf und Nadine Sauter bis hin zu denen der kleinsten Nebenrollen, auch anhört. Nein, so viele professionelle Sprecher dieses Dialekts, der mehr an Allgäuer Mundart als an Stuttgarter Schwäbisch erinnert, kann es gar nicht geben. Deshalb hat Lisa Miller ihren Film hauptsächlich mit Laien besetzt. Die bringen, nun ja, eben eine Laienhaftigkeit ins Spiel. Aber gerade dadurch entwickelt "Landrauschen" – man darf hier das abgedroschene Wort mal wieder benutzen – große Authentizität. Anders gesagt: Dass die Produktionsbedingungen für den Zuschauer so sicht- , hör- und spürbar sind, dass infolgedessen die Grenze zwischen Leben und Fiktion durchlässiger wird, ist eine Qualität dieses Films.
Was übrigens nicht heißt, dass auch die Regisseurin laienhaft inszeniert, jedenfalls nicht im Sinn von kenntnislos oder naiv. So sehr sie sich dem Schleifen, Einpassen und Abrunden der Dramaturgie verweigert, so souverän geht sie doch mit dem Kinohandwerk um. Skizzenhaft impressionistische Szenen von Umzügen und Festzeltgetummel. Über den Mofalenker gefilmte Fahrten durchs Dorf. Kaffeeklatscherei im Garten. Traktoren, Pferde und manchmal eine Kuh, die ins Objektiv glotzt. Hier ist alles so nah beieinander, hier kennt man sich, hier können sich die unterschiedlichen Szenen und Lebensentwürfe nicht entkommen. Dass Rosa in der WG wohnt, schließt ihre Proben bei der Blasmusik oder den Kirchgang nicht aus. Eng wird es auch mit ihr und Toni, die inzwischen das Haar mit Gretl-Kranz trägt, diesen allerdings in Pink. Die beiden jungen Frauen albern frivol herum und kiffen dazu, und in einer schönen Montage bei einem Tanz ziehen sich die Bilder dann so zusammen, dass sie zum Paar werden und gar nicht anders können als sich zu küssen.
Aber geht das fürs Dorf nun doch zu weit? Tonis Mama ermahnt ihre Tochter: "Jetz' dua halt amol normal!" Und Rosa erzählt, wie die Leute früher mit ihrer sexuellen Orientierung umgegangen sind: "Da haben alle meinen Eltern Beileid gewünscht!" Nein, eine Idylle der Toleranz ist Bubenhausen nicht. Die Heimatmusik kommentiert die Szenen ja auch in ironischer Basstuba-Schräglage und fragt spöttisch: "Wie schön ist das eigentlich?" Manchmal lugen in dieser Geschichte auch Vorbilder heraus, wenn sich der Papa in der Badehose und in seiner ganzen prallen Fleischlichkeit auf eine Sonnenliege legt, dann sieht das aus wie ein Bild aus Ulrich Seidls Film "Hundstage". Bloß dass Seidl ein fieser Misanthrop ist, Lisa Miller dagegen voller Empathie erzählt. Nein, in eine Wut steigert sich die Regisseurin noch nicht hinein, sie beobachtet mit souveräner Gelassenheit ein Leben, das anders ist als in der Großstadt, auch rückständiger, wenn man so will, aber nicht unbedingt schlechter.
Und komisch geht es zu in Bubenhausen, vor allem an den Rändern des Films, wo ein nicht besonders helles, aber eifriges Polizistenduo herumfuhrwerkt und gern dienstlich wird: "Wir sind jetzt per Sie!" Der Dialog hat noch andere tolle Sachen zu bieten, zum Beispiel, wenn die Mama ("Man weiß ja nicht, wie die ticken, die Neger!") von den Flüchtlingen verlangt, dass sie sich ihnen anpassen müssten, und Toni zur Klärung nachfragt: "Wem? Dir oder mir?" Am Ende zeigt sich "Landrauschen" allerdings weniger nachsichtig als zu Beginn. Die Bigotterie etwa ist eben doch nicht umzudeuten in verschrobene Folklore, sie hat für manche existenzielle Folgen. Und auch der Schutzpanzer, den sich Rosa zugelegt hat, diese gute Miene zum bösen Spruch, bekommt Löcher: "I lach, obwohl I ausg'lacht werd'!"
Ein Fazit zu "Landrauschen"? das lautet etwa so: "Dieses ebenso unbekümmert wie selbstbewusst inszenierte Kino, das auf die Kraft und Authentizität von Laiendarstellern vertraut, sucht sich störrisch-frech seinen eigenen Weg, abseits vom Verdrängungskitsch des Heimatfilms der fünfziger Jahre, abseits von dessen manchmal verbissen-ernster Revision in den siebziger Jahren, und abseits auch von der mehr oder weniger vorgeschriebenen und sozusagen begradigten Filmsprache." Diese Zeilen wurden gerade recycelt, man hat sie schon mal über den 1984 entstandenen Allgäuer Kultfilm "Daheim sterben die Leut'" von Klaus Gietinger und Leo Hiemer geschrieben. Der hat nämlich endlich einen Nachfolger gefunden, einen Erstling, der sich rücksichtslos seine Freiheiten herausnimmt und eine Chance nutzt, die so vielleicht nicht wieder kommt.
Lisa Millers "Landrauschen" ist ab Donnerstag, dem 19. Juli in den Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Streifen in Ihrer Nähe zeigt, <link https: www.kino-zeit.de external-link-new-window>finden Sie hier.
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