Es ist früh am Morgen, der Parkplatz vor dem Großmarkt ist wüst und leer. Ein bisschen später aber flackern drinnen, in den hohen Hallen, die Lichter auf, durch die schluchtartigen Gänge fahren die ersten Stapler, und wenn deren Bewegungen nun vom "Donauwalzer" begleitet werden – der die Räume beschallende Vorarbeiter Rudi (Andreas Leupold) liebt nämlich klassische Musik –, dann schleicht sich in diesen tristen Arbeits- und Funktionsort ein bisschen die Poesie ein. "Wir duzen uns ja alle", sagt Rudi nun zu Christian (Franz Rogowski), führt den schweigsamen jungen Mann an dessen erstem Tag ein bisschen herum und teilt ihn dann Bruno (Peter Kurth) von der Getränkeabteilung zu. Der ältere Mann, untersetzt und kompakt, ist zunächst wenig begeistert ("Ich brauch' keine Hilfe!"), erweist sich aber bald als väterlicher Kumpel, der Christian kompetent einweist, ihm die Regeln erklärt und auch mal, wie man diese unterlaufen kann.
Mit Christians Einweisung erschließt sich nach und nach auch dem Zuschauer dieser Mikrokosmos, in dem sich die einzelnen Abteilungen kritisch beäugen, in dem auf Hierarchien geachtet wird – und der trotzdem noch von der Solidarität der Underdogs durchwirkt ist. Dieser Großmarkt am Rande von Leipzig ist so etwas wie ein letztes Refugium der Ungelernten oder Ausgemusterten, ein letztes Stück festen Bodens vor dem Abgrund. Christian zum Beispiel, der die Ärmel seines blauen Kittels langzieht, um seine Tattoos zu verdecken, wird mal von seiner Vergangenheit heimgesucht, von seinen alkoholisierten Ex-Kumpanen und Immer-noch-Hooligans, die ihn zurückholen wollen in ihr hoffnungslos gewalttätiges Leben. Und dieser Christian, der nach der Schicht mit dem Bus zurückfährt und in seiner trostlosen Wohnblockbude darauf wartet, dass es wieder an die Arbeit geht, ist tatsächlich absturzgefährdet. Andererseits: Er ist auch verliebt in die ein bisschen ältere und verheiratete Marion (Sandra Hüller) von der Süßwarenabteilung, er ist also in einem Zustand, der jeden Alltag in ein von Hoffen und Bangen durchzogenes Sehnsuchtsland verwandeln kann.
Der Regisseur Thomas Stuber hat schon für seinen Film "Herbert" (2015) – in dem Peter Kurth einen Ex-Boxer und Geldeintreiber spielt – mit dem Schriftsteller Clemens Meyer zusammengearbeitet. "In den Gängen" basiert auf einer Kurzgeschichte des Leipziger Autors, der gemeinsam mit Stuber auch wieder das Drehbuch geschrieben hat. Und wie in seinem großen Roman "Als wir träumten" zeigt Meyer sich auch hier als einer der wenigen deutschen Autoren, der Geschichten aus einem prekären Milieu heraus erzählen kann, ohne dieses zu denunzieren oder, wie das etwa viele TV-Krimis tun, es von oben herab und nur als Elendsort und Problemzone zu schildern. Die Großmarktarbeiter Christian, Marion, Bruno, Rudi und die anderen sind weit mehr als nur mitleidsvoll betrachtete Demonstrationsobjekte für das "mindere" Leben. Sie sind, auch wenn manche nur in wenigen Sequenzen auftauchen, eigenwillige und komplexe Charaktere.
Wellenrauschen mit Bodenhaftung
Das heißt auch, dass der Regisseur seinem Protagonisten Christian lakonische Sätze aus dem Off zugesteht ("Es gab kein Tageslicht in den Gängen!"), also die Erzählerhoheit. Und dass er die Romanze seines Helden ernst nimmt in diesem so romanzenfern scheinenden Milieu und sie als ein die schnöde Realität transzendierendes Gefühl inszeniert: Wenn der schüchterne Christian, der den Kopf immer ein wenig vorneigt, und die so selbstbewusst wirkende Marion ("Nicht im Weg stehen, Frischling!") sich näherkommen, wenn er in ihrer Nähe ganz sprachlos wird, ihr aber nach freundlich-spöttischer Aufforderung einen Kaffee aus dem Automaten spendiert, dann ist im Hintergrund nicht nur die Palmen-Foto-Tapete des Aufenthaltsraums zu sehen, dann hört man plötzlich auch die Wellen rauschen!
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