Aber nun muss in diesen Text, lange hinausgezögert, ein Satz hinein, den man als "Spoiler" bezeichnen könnte. Einer der vier Soldaten ist nämlich Jonathan, der Sohn von Dafne und Michael. Und nein, diese irritierenden Grenzszenen sind keine Rückblenden. Die Nachricht vom Tod des Sohnes war, wie am Ende des ersten Kapitels zu erfahren, ein Irrtum. Eine Namensverwechslung. Der aus seiner Starre erwachte Michael verlangt jetzt von der Armee, dass sein Sohn sofort heimgeholt wird. Was wir an diesem Checkpoint sehen, ist also Gegenwart, und in dieser hören die gelangweilten Soldaten Radio, daddeln am Computer, stoppen die Zeit, die eine Dose in ihrem schief im Schlamm versinkenden Wohncontainer braucht, um selbständig von einer Ecke in die andere zu rollen. Oder sie halten bei strömendem Regen ein palästinensisches Paar mittleren Alters an, das sich auf dem Weg zu einem Fest befindet, und lassen die Frau aussteigen.
Quälend lange muss sie ausharren, ihr Abendkleid klatscht am Körper, ihre Frisur sackt in sich zusammen, die Tränen laufen ihr übers Gesicht. Nein, Maoz inszeniert diese Sequenz nicht aus der Sicht von Jonathan und seinen Kumpeln, die in jugendlicher Ignoranz eine Macht ausüben, die ihnen nicht zusteht und mit der sie nicht umgehen können, er inszeniert voller Empathie für die gedemütigte Frau. In Israel wurde Maoz, der in seinem Film "Lebanon" auf eigene Erfahrungen als Soldat im Krieg von 1982 zurückblickt, der Vorwurf gemacht, die Armee anzugreifen. Er hat darauf geantwortet: "Wenn ich meine Heimat kritisiere, dann weil ich mich sorge, weil ich sie beschützen will und letztendlich, weil ich sie liebe". Zurück zum Grenzposten: Da wird nun ein anderes Auto angehalten, vier junge Leute sitzen drin, sind aufgedreht und ein bisschen trotzig. Die Situation ist angespannt. Alles Komische hat sich verflüchtigt.
"Foxtrot" ist eine Tragödie. Und wenn hier ein Mann durch eigenes Handeln, aber ohne es zu wollen, eine Katastrophe auslöst, die den Zufall in Schicksal überführt, dann rekurriert der Regisseur auch auf die Tragödie im engeren, also im griechischen Sinn. Wir sind inzwischen schon im dritten und letzten Teil von "Foxtrot", in dem Michael seiner Frau Dafne die Schritte des titelgebenden Tanzes vorführt und demonstriert, wie man nach der Bewegung wieder genau da steht, wo man begonnen hat. Er hat seine eigenen Kriegserfahrungen, wie Samuel Maoz hat er im Libanon gekämpft, aber seine seelischen Verwüstungen, die in Skizzen seines Sohnes Jonathan mal in Comicform und als schwarzes Gesichtspflaster visualisiert werden, hat Michael immer verborgen. Noch einmal der Regisseur: "Er gehört zu dieser Generation, denen man eintrichterte, sich über nichts zu beklagen, weil ihre Eltern die Hölle des Holocausts überlebt haben. Dabei sprachen die Eltern nie über die Vergangenheit, es herrschte Schweigen. Aber jeder wusste, dass im Vergleich mit dem Grauen des Holocaust jegliche eigene Pein verblasste."
Samuel Maoz spürt hier den Verdrängungen und dem Trauma eines ganzen Landes nach, in dem das Militär als alles durchsetzende Kraft wirkt, in dem auch fast jeder führende Politiker früher Offizier war, und in dem der Ausnahmezustand so allgemein ist, dass er als Alltag erscheint. Der Autor David Grossman hat diesen Zustand in seinen Romanen "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" (2009) und "Kommt ein Pferd in eine Bar" (2014) aus der Verdrängung hervorgeholt. Auch der Regisseur Ari Folman hat sich in seinem Animationsfilm "Waltz with Bashir" (2008) dem Zuschütten der Erinnerung verweigert, hat alte Wunden aufgerissen und böse Kriegserfahrungen geschildert. Ob all diese Werke, die für deren Schöpfer wohl auch eine Art Therapie sind, etwas über die autobiografische Ebene hinaus bewirken können? Oder ob alles in Israel immer wieder in die Ausgangsposition für einen weiteren fatalen Durchgang zurückführt? Wenn man "Foxtrot" gesehen hat, bleibt unter vielen Bildern auch dieses im Kopf: ein Bagger der Armee, der ein Auto mit vier toten Insassen im Niemandsland verscharrt.
Info:
Samuel Maoz' "Foxtrot" kommt am Donnerstag, den 12. Juli in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, finden Sie hier.
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