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Streiktag 82

Streiktag 82
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Thomas Ducks ist der Mann, der den längsten Streik im deutschen Mediengewerbe anführt. Die Beschäftigten des "Schwarzwälder Boten" in Oberndorf sind seit mehr als 80 Tagen im Ausstand, und das zehrt an den Nerven. Auch an denen des Betriebsratsvorsitzenden Ducks. Ein Ende des Streiks ist nicht abzusehen, denn der Verleger will nach wie vor nicht mit seinen Beschäftigten sprechen. Doch Ducks gibt nicht auf.

 

Thomas Ducks ist der Mann, der den längsten Streik im deutschen Mediengewerbe anführt. Die Beschäftigten des "Schwarzwälder Boten" in Oberndorf sind seit mehr als 80 Tagen im Ausstand, und das zehrt an den Nerven. Auch an denen des Betriebsratsvorsitzenden Ducks. Ein Ende ist nicht abzusehen, denn der Verleger will nach wie vor nicht mit seinen Beschäftigten sprechen. Doch Ducks gibt nicht auf.

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, beginnen wir mit unserer Streiksitzung am Streiktag 82", tönt es aus den Lautsprechern. Thomas Ducks hält ein Funkmikro in der Hand und läuft durch die Gaststätte, hin und her und hin und her, während er spricht. Im Alten Rathaus in Oberndorf trifft sich der Teil der Belegschaft, der sich am Ausstand beteiligt. Alle Sitzplätze sind belegt, selbst im Flur stehen noch Menschen.

Etwa 40 Prozent aller Mitarbeiter machen mit. An den weißen Wänden im Gastraum hängen Fotografien, die überraschend viel nackte Haut zeigen, aber doch nur für Alkoholika werben. Knapp hundert Zuhörer hat Ducks um sich versammelt, seine Mitstreiter haben Kaffee vor sich, manche Energydrinks. So ein langer Streik kostet Kraft, und am Tag zuvor sind die Streikenden erst spät nach Oberndorf zurückgekehrt. Mit einem Doppeldeckerbus waren sie nach München gefahren, um sich erfolgreich der Solidarität der Kollegen von der "Süddeutschen Zeitung" zu vergewissern. Ihr Streik, sind sie sich sicher, ist in einem größeren Kontext zu sehen.

Derzeit gehe es um drei Oberndorfer Betriebe, die aus dem Unternehmen ausgegliedert werden sollen. Doch das Sparmodell des "Schwarzwälder Boten" könnte schon bald auf andere Betriebe des zweitgrößten deutschen Zeitungskonzerns in Deutschland, der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), übertragen werden, zumal viele deutsche Zeitungsverlage diesen Weg schon beschritten haben. Zu diesem Konzern gehören die "Stuttgarter Zeitung" und die "Stuttgarter Nachrichten"; viele andere Regionalzeitungen – nicht nur in Baden-Württemberg – sind über Beteiligungen eingebunden. Seit dem Herbst 2008 kontrolliert die SWMH auch den Süddeutschen Verlag, der die "Süddeutsche Zeitung" herausgibt. An der Spitze der SWMH steht Richard Rebmann, der im Nebenberuf Verleger des "Schwarzwälder Boten" geblieben ist.

Kein Blatt aus dem Rebmann-Reich hat bisher groß berichtet

Die Folgen dieser Verflechtungen sind fatal: Lange Zeit hat keines der zum SWMH-Reich gehörenden Blätter über den Streik berichtet. Obwohl es sich bei dem monatelangen Ausstand um ein singuläres Ereignis in der Geschichte der Presse der Nachkriegszeit handelt, sind bis heute im SWMH-Kosmos keine umfangreichen Geschichten darüber erschienen. Der promovierte Politikjournalist Ducks nennt das einen Skandal.

Im Januar dieses Jahres wurde ihm mitgeteilt, dass man die Redaktion sowie die Anzeigen- und Geschäftsstellen-Mitarbeiter zum 1. März in zwei Unternehmen ausgliedern werde. Diese neuen Unternehmen, die Medienvermarktung Südwest GmbH und die Schwarzwälder Bote Redaktionsgesellschaft mbH, seien dann nicht mehr tarifgebunden. Rund 280 Mitarbeiter sind betroffen.

 

Mit einem anderen Geschäftszweig wurde das schon vor drei Jahren veranstaltet, dem Grafikboten. Für den Betriebsrat ist dieses Vorgehen nicht mit dem Betriebsverfassungsgesetz vereinbar. Dort steht, dass der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über "geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können", informiert werden muss.

Nachdem die Geschäftsführung die Bitten von Betriebsrat und Gewerkschaft, sich weiter an die ausgehandelten Tarifregelungen zu halten, abgelehnt hatte, beschloss die Belegschaft zu streiken. Ducks sagt, er habe im Vorfeld schlaflose Nächte gehabt, sich gefragt, was für ein Projekt er angestoßen habe und wer mitstreiken würde. Doch dann legten tatsächlich viele seiner Kolleginnen und Kollegen am 20. Mai den Stift beziehungsweise die Computermaus aus der Hand. "Damals sind hier 150 Leute in den Streik gegangen. Das war ein historisches Ereignis. Und es zeigt, wie groß der Verdruss in der Belegschaft ist." Thomas Ducks ist von seinem Wesen her kein Mensch, der schnell zu Superlativen greift, dazu ist er zu überlegt. Doch in diesem Fall hält er es für angebracht. Und die weitere Entwicklung sollte ihm recht geben.

Bedrückung und Kampfeswille

Zunächst dauerten die Arbeitsniederlegungen nur einen bis mehrere Tage; nachdem sich die Geschäftsführung überhaupt nicht dialogbereit zeigte, erklärte die Belegschaft Anfang September, am 22. Streiktag, fortan unbefristet zu streiken. Am 27. September wollten die Streikenden dann ihren Chef Richard Rebmann in seinem Büro in Stuttgart besuchen. Am Vormittag wurde ihnen gesagt, er sei nicht da. Als sie später wiederkamen, erwartete sie die Polizei. Nicht dass die Streikenden plötzlich gewalttätig geworden wären oder Böses im Schilde führten. Sie wollten weiterhin nur mit ihrem Chef sprechen.

Doch genau das sollten die Polizisten offenbar verhindern. Am Mittwoch, 16. November, teilt die Geschäftsführung schließlich mit, dass der Grafikbote geschlossen werde, das Unternehmen, das bereits 2008 ausgegliedert worden und damit nicht mehr tarifgebunden war. Rund 60 Mitarbeiter werden nach Angaben des Betriebsrats zum 31. Juni 2012 ihre Stelle verlieren.

 

Dementsprechend bedrückt, aber auch kämpferisch ist die Stimmung dann auch bei dieser Streikversammlung. Ein Teil der Belegschaft des Grafikboten sitzt um einen langen Tisch versammelt in der Ecke des Raumes. Die Schwermut ist quasi mit Händen greifbar, die Menschen sind bedrückt und von Sorge erfüllt, wie es denn nach dem Juni 2012 mit ihnen weitergehen soll. Das, was er jetzt erlebe, sei die schwierigste Situation, die er als Betriebsrat mitmache, sagt Thomas Ducks.

Vom Wunsch nach Gerechtigkeit angetrieben

Seit fünf Jahren gehört er dem Gremium an, seit eineinhalb Jahren ist er dessen Vorsitzender. Er sieht sich als dessen Diener, nicht als sein Chef. De facto ist er aber unversehens auch zum Vorkämpfer gegen den Turbokapitalismus geworden – gegen das Ausgliedern von Unternehmensteilen, das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen, gegen Lohnkürzungen und gegen eine arrogante Haltung gegenüber den Mitarbeitern. All das ist in Oberndorf schon seit Jahren im Schwang.

"Ich war viele Jahre ein friedvoller Redakteur", sagt Ducks, der vor seiner Freistellung für den Betriebsrat in der Politikredaktion des Schwabo gearbeitet hat, wie fast alle die Zeitung nennen. "Meine Arbeit als Redakteur hat mir große Freude gemacht", sagt er, und manchmal, in einer stillen Minute, vermisse er sie auch. Doch dass die Interessen der Belegschaft immer weiter in den Hintergrund geraten, erzürnt ihn. Und deshalb setzt er sich für die Bewahrung der Rechte der Belegschaft ein: "Sonst sind sie irgendwann ganz weg."

Ducks überlegt sich gut, was er macht; er ist kein Heißsporn. In seiner Familie werde viel diskutiert, sagt er, und das merkt man ihm in der Unterhaltung auch an. Er hat ein Konzept, das mehr umfasst als nur den Blick auf das Einkommen der Mitarbeiter, die er vertritt. "Das Thema Gerechtigkeit darf in einer Gesellschaft nicht ausgeklammert werden, sonst ist sie moralisch tot", sagt er. Sein Gerechtigkeitssinn sei stark ausgeprägt, sagt Ducks. Und so schlägt sich der Bogen zu seinem Engagement als Betriebsrat – gemeinsam mit seinen Kollegen. "Gerade wird so getan, als seien Mindestlöhne die Lösung. Aber Mindestlöhne sind doch auch nicht gerecht." Es brauche das System der Tarifparteien – auf der einen Seite die Arbeitgeber, auf der anderen Seite die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer –, um gerechte Löhne aushandeln zu können.

Trotz allem ein Bekenntnis zum "Schwarzwälder Boten"

Dafür macht er sich stark, und das ist auch das Ziel dieses Streiks: dass nämlich der "Schwarzwälder Bote" seinen Mitarbeitern keine Dumpinglöhne aufpresst, sondern ins Tarifsystem zurückkehrt. "Die Tarifautonomie ist in unserer Verfassung verankert. Das bedeutet, dass Unternehmen ihr auch treu sein müssen." Stattdessen beobachtet Ducks aber, dass landauf, landab viele Unternehmen aus der Tarifbindung ausscheren. "Verlage wie der unsrige, die Tarifflucht begehen, arbeiten am Untergang des Tarifsystems. Das ist eine andere Republik. Das hat mit den Werten der sozialen Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun."

 

Inzwischen ist Ducks in Fahrt gekommen, man kann sich richtig gut vorstellen, wie er damals manchen Lehrer an die Wand geredet hat, als Schülersprecher in Nordhorn. Nach der Schulzeit sei er politisch erst einmal gar nicht aktiv gewesen, berichtet Ducks. Das heißt aber sicher nicht, dass er unpolitisch war, das kann man sich bei ihm nicht vorstellen. Er studierte Politik und Völkerkunde auf Lehramt und arbeitete nach dem Studium als Afrikanist in einem Bremer Museum. Die Stelle wurde nicht verlängert, Sparmaßnahmen. Der Schlüssel zu seinem gewerkschaftlichen Engagement ist darin sicher nicht zu sehen, wohl aber der Grund für seinen Wechsel in den Journalismus.

Ducks volontiert beim "Schwarzwälder Boten" und bleibt dem Unternehmen treu, bis heute, 19 Jahre lang. Jetzt ist er fünfzig Jahre alt und nach wie vor mit Herzblut und Begeisterung Journalist. Übrigens überdauert die Treue bisher auch die Streikwirren. "Wir alle hier identifizieren uns voll mit der Zeitung", sagt er. "Aber wir machen doch unser Produkt nicht interessant, wenn wir die Mitarbeiter auf der Strecke lassen. Die Zeitung verliert so doch ihre Seele."

"Ich geh hier erst raus, wenn wir ein akzeptables Ergebnis haben"

Angst vor der Zeit nach dem Streik hat er keine. Er habe gelernt, seine eigenen Ängste zu überwinden. Beliebt gemacht hat er sich bei der Geschäftsleitung mit diesem heftigen Streik sicher nicht. Aber das ficht ihn nicht an. "Wer von allen Menschen geliebt werden will, der kann so eine Arbeit gar nicht machen", sagt er.

Ihm geht es um Höheres: um Transparenz, um die, wie er es nennt, Selbstermächtigung von Menschen, dass sie informiert sind, um eine gute Grundlage für ihre Entscheidungen zu haben. Die Abschottung der Geschäftsführung gegen die Streikenden kritisiert er deutlich: "Wir sind in einem Medienkonzern, da muss es auch so etwas wie Binnenpluralismus geben. Wo soll diskutiert werden, wenn nicht in einem Medienkonzern."

Maximal zwei Betriebsratsperioden will er machen. Mürbe ist er noch nicht geworden, auch wenn er das Gefühl hat, dass die Geschäftsleitung austesten will, wie lange die Streikenden den Ausstand aushalten. Er hat sich jedenfalls schon einmal darauf eingestellt, dass der Streik noch lange dauern kann. Der "Rotz in der Nase" könne ihm gefrieren, hat ihm die Chefetage bedeutet. "Ich hab hier am Anfang gesagt, Leute, wir machen das bis 2014. Das war aber ein Spaß. Es ist jedoch auch meine Einstellung", sagt Ducks und fügt dann hinzu: "Ich geh hier erst raus, wenn wir ein akzeptables Ergebnis haben, und das heißt: Wiederherstellung der Tarifbindung."

 

PS: Der SWMH-Vorsitzende Richard Rebmann und die Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier haben am 24. November - zwei Tage nach Erscheinen des obigen Artikels - vereinbart, Gespräche zu führen, in denen erörtert werden soll, ob Verhandlungen über eine Tarif-Vereinbarung aufgenommen werden. Für die Beschäftigten des Grafikboten ändert sich damit jedoch wenig: Das Unternehmen wird im kommenden Jahr geschlossen, rund 60 Mitarbeiter verlieren damit ihre Stelle.


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