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Das ist nicht niedlich

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Der Begriff Schummelsoftware steht seit 2015 auch für die Versäumnisse im Dieselskandal. Nicht nur PolitikerInnen sparen klare Worte zu oft aus. Gerade in vielen Redaktionsstuben ist sprachliche Präzision Mangelware, wenn es gilt, die Autoindustrie zu entlarven.

Klaus-Peter Murawski, als Chef der Staatskanzlei wichtigster Berater von Winfried Kretschmann, hat sich dieser Tage als "Verantwortungsethiker" ereifert, weil baden-württembergischen MedienvertreterInnen einen "Krieg gegen unseren Industriestandort führen". Belege nannte er nicht. Sie zu finden, wäre ihm kaum gelungen. Gerade die Reaktionen auf den mit so viel Spannung erwarteten "Nationalen Gipfel" in der vergangenen Woche zeigten, dass im Gegenteil die spitzen Pfeile viel öfter gegen Umwelt- und Klimaschützer fliegen. "Nicht genug, nicht genug, rufen nun am lautesten diejenigen, die am liebsten alle Autos aus dem Stadtverkehr ziehen möchten, Großkonzerne per se für halbkriminelle Vereinigungen halten und für die eine weitestgehend industriefreie Luftreinhaltung Vorrang vor dem Erhalt von Zigtausenden Arbeitsplätzen hat", posaunen beispielsweise die "Stuttgarter Nachrichten".

Halbkriminelle Vereinigungen? Rudi Hickel, der linke Wirtschaftsprofessor aus Bremen, beklagt seit den Neunzigern die einseitig neoliberale Ausrichtung beim größten Teil der schreibenden Zunft. Im Abgasskandal haben sich zwar mehrere Rechercheverbünde und Redaktionen in der Republik große Verdienste erworben. In Kommentaren und Analysen dagegen kommen die Bosse nach der bewährten "Ja, aber"- Methode viel zu gut weg. Politiker wären bei ähnlicher Sachlage schon längst mit Schimpf und Schande aus ihren Ämtern gejagt worden. Nur mal hypothetisch angenommen, andere bedeutende Säulen der Republik hätten sich ähnliche Skandale geleistet – etwa Krankenkassen im großen Stil Prämien und Tarife abgesprochen oder Gewerkschaften Urabstimmungen gefälscht –, es wäre der Teufel los im Land. Nicht so bei den hohen Herren – Frauen gibt's eh kaum – in den Vorstandsetagen der Autokonzerne mit und ohne leuchtenden Stern.

Wo Betrug zu Schummelei verharmlost wird

Jedenfalls hat "Schummelsoftware" gute Chancen, demnächst in die Liste der "Wörter des Jahres" aufgenommen zu werden. Schon in einem der allerersten Artikel zum Thema, erschienen noch vor dem Auffliegen der VW-Abgasaffäre in den USA, fällt dieses seltsame Wort, das immer etwas Niedliches an sich hat und eher an Spickzettel unter Pennälerbänken erinnert als an millionenfachen Kundenbetrug. "Hersteller schummeln immer mehr bei Angaben zum Spritverbrauch", schrieb der "Spiegel" im Herbst 2015. Verbraucherschützer und Umweltverbände bemängelten seit Langem, steht da zu lesen, "dass der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ), nach dem der Normverbrauch eines Autos ermittelt wird, den realen Alltag im Auto in keiner Weise abbildet". Das derzeitige Verfahren biete zu viele Schlupflöcher und Ausweichmöglichkeiten und verzerre damit den Wettbewerb. Ziemlich genau ein Jahr später liegt die Drohung mit einer Geldstrafe von 18 Milliarden Dollar auf dem Tisch. Im Frühjahr 2017 stimmen die Wolfsburger einem Vergleich zu, 2,8 Milliarden Dollar zu zahlen und für drei Jahre externe Aufseher zu akzeptieren.

Der "Spiegel" kannte schnell nach den ersten Enthüllungen jene ICCT-Studie, die heute in jedes Archiv unter A wie Abgasskandal gehört. Denn die Forscher waren dem deutschen Weltkonzern hartnäckig auf den Fersen. Gemeinsam mit der West Virginia University wurden Werte vorgelegt, die VW erklärte mit einem Fehler in der Motorsteuerungssoftware. Alle weiteren Ermittlungen sollten mit dem Rückruf von rund einer Millionen Autos in den USA unterlaufen werden. Kalifornische Beamte trauten der Theorie nicht, prüften in Echtzeit und stellten gleichbleibende Werte fest. Erst nach der Drohung der Amerikaner, Modelle des Baujahrs 2016 nicht zuzulassen, räumten die Verantwortlichen die Manipulationen ein.

VW-Chef Müller will nicht von unternehmerischem Versagen reden

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks spricht nach dem Dieselgipfel, im Zusammenhang mit den von ihr wegverhandelten staatlichen Abwrackprämien älterer Fahrzeuge mit und ohne Schummelsoftware, wahre Worte gelassen aus: "Wer zur Marktwirtschaft ja sagt, darf bei Unternehmensversagen nicht nach dem Staat rufen." Sogleich bekommt sie nicht nur von VW-Chef Matthias Müller eins übergebraten ("Einer Wortwahl 'unternehmerisches Versagen' etcetera mag ich mich nicht anschließen"), sondern auch von mehreren Kommentatoren. Und die "Stuttgarter Zeitung" stellt trotz der vielen Gespräche, die die kämpferische Sozialdemokratin im Vorfeld des Treffens zum Thema Nachrüstung geführt hat, zugleich ihre Kompetenz in Frage: "Hendricks, die Umbauten im Motorraum gefordert hat, konnte sich mit ihrer Forderung nicht durchsetzen. Sie hätte sich über das Machbare informieren sollen."

Kein Applaus für ihre harte Haltung, für so simple wie berechtigte Aussagen wie "Die Bevölkerung hat ein Recht auf saubere Luft". Stattdessen immer neue Locken auf Glatze, in der Tonlage von, "Trotz aller Entrüstung über die malignen Machenschaften gewinnverliebter Auto-Manager können bodenlose Strafexpeditionen gegen eine der wichtigsten Branchen Deutschlands kaum der Weisheit letzter Schluss sein: Die Fahrzeugindustrie ist hierzulande nichts weniger als systemrelevant, und eine wirtschaftliche Überforderung von Volkswagen, Daimler und Co hätte im internationalen Wettbewerb negative Konsequenzen – so sehr möglichst umfassende und teure Nachbesserungen moralisch auch gerechtfertigt scheinen" ("Badische Neueste Nachrichten"). Scheinen? Es scheint, als bräche allzu oft der Autofahrer im Leitartikler durch oder gar der Autokäufer, der sich womöglich selbst erst kürzlich ein Euro-5-Modell gekauft hat. Und es scheint, als wäre der dann noch weniger zu Abstraktion und Distanz in der Lage als der Patriot im TV-Moderator bei der Fußball-WM.

Umweltschützer und Autolobbyisten im selben Kommentartopf

Ein (vorläufiger) Zenit ist erreicht, wenn bestbezahlte Autolobbyisten in Berlin und Brüssel im selben Kommentatorentopf landen wie Umwelt- und Klimaschützer von BUND, Nabu, Greenpeace oder WWF. Die einen nehmen Einfluss, damit Milliarden eingespart, Grenzwerte hochgesetzt oder Fristen verlängert werden. Mit ihnen etwa die Deutsche Umwelthilfe auf eine Stufe zu stellen, ist dreist. Jürgen Reschs Organisation muss sich als Abmahnverein beschimpfen lassen, aber wenn VW-Chef Müller sagt, die Konzerne hätten die CO2-Gesetzgebung "oktroyiert bekommen" und süffisant anfügt: "Oder vereinbart, wie immer Sie wollen" –, dann sträubt sich keine Feder. "Oktroyieren" übersetzt der Duden mit aufbürden, aufzwingen, diktieren. Dabei wissen die Hersteller seit fast zehn Jahren, was auf sie zukommt: EU-Rat und Parlament einigten sich im Dezember 2008 auf Strafzahlungen ab Ende 2020 für jedes Gramm CO2, das die Neuwagen-Flotte eines Herstellers über den Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer hinaus verbraucht, was gut vier Liter Treibstoff entspricht.

Natürlich ist Müller klar, dass von "oktroyiert" keine Rede sein kann. Denn die Bundesregierung, allen voran die Kanzlerin, hatte die ursprünglich in Brüssel beschlossenen Regeln 2013 nach Kräften zu verwässern geholfen. Volkswagen hatte sich übrigens danach ausdrücklich dazu bekannt. "Mit diesem Kurs erweisen CDU und SPD den deutschen Autobauern mittelfristig einen Bärendienst", prognostizierte damals Daniel Moser von Greenpeace. Denn die Verschiebung werde sie "technologisch zwei Jahre zurückwerfen". Und dann kam auch noch eine Hochrechnung auf den Tisch, wonach zwar Peugeot-Citroën, Fiat-Chrysler, Renault-Nissan, Toyota oder Volvo die Ziele erreichen würden, nicht aber die deutschen Firmen. Vor allem die im Premiumsegment, was ein schönes Wort ist für immer dickere Spritfresser und Luftverpester mit PS-Junkies am Steuer.

Immerhin, ein Paulus unter den Experten hat derzeit mediale Hochkonjunktur: Ferdinand Dudenhöffer, der schon vor Jahren aufhorchen ließ mit seinen Einschätzungen ("Im Grunde schummeln alle in der Branche") stand lange Zeit im Verdacht, als früherer Opelianer und Porsche-Abteilungsleiter arg eng verbandelt zu sein mit der Autoindustrie. Längst wird er als "Marcel Reich-Ranicki der Autobranche" tituliert. Einmal schrieb die "Zeit" über ihn, ihn als Automobilexperten zu beschreiben greife zu kurz. Denn Experte nenne sich in dieser Welt "traditionell jeder, der mal ein Fahrsicherheitstraining absolviert hat". Dudenhöffer ist wirklich einer und muss sich im Netz – neben viel Applaus – auch vorwerfen lassen, einen Krieg gegen Konzerne zu führen. Für seine Konfliktbereitschaft gibt's massenhaft Belege. Und NachahmerInnen sind dringend gesucht!


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18 Kommentare verfügbar

  • Magus Carolus
    am 13.08.2017
    Antworten
    Es würde mich nicht wundern, wenn der Diesel'skandal' in Deutschland nur eine einzige Konsequenz hätte, nämlich den Dieselkraftstoff teurer zu machen. Das würde so richtig perfekt zu der Art von "Reformen" passen, die Schwarzrotgrüngelb seinem Wahlpöbel seit dem neoliberalen Urknall in Deutschland…
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