So richtig verstanden hat Constantin Seibt noch nicht, was da in der vergangenen Woche passiert ist. "Wir waren alle guter Hoffnung, aber das, in der Form, war nicht erwartbar. Nicht mal in unseren kühnsten Träumen", sagt der Journalist. Tatsächlich hat er mit seinem achtköpfigen Gründerteam gerade Geschichte geschrieben. Nach knapp einer Woche Crowdfunding für ein neues digitales Gesellschaftsmagazin, steht der Spendenzähler bei mehr als 2,6 Millionen Franken (2,4 Millionen Euro). Das ist zuvor noch keinem anderen Projekt gelungen. Den bisherigen Weltrekordhalter "De correspondent" aus den Niederlanden (sie sammelten 1,7 Millionen US-Dollar) haben die Schweizer schon jetzt geschlagen – und die Geldsammelmaschine läuft noch bis Ende Mai. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die "Republik", so der Name des Magazins, der neueste und heißeste Scheiß der Branche ist.
Entsprechend schwer ist es, Constantin Seibt derzeit zu erreichen. Alle wollen von ihm wissen, wie er das gemacht hat. So einen Hype um ein journalistisches Produkt zu kreieren, das noch keiner kennt und trotzdem offenbar so viele wollen. Anzeigenfrei, auf Inhalte konzentriert, unabhängig, die wirklich großen Geschichten erzählen. Die Ankündigungen der "Republik" klingen wie der feuchte Traum vieler Journalisten. Auch deshalb folgt für Seibt gerade Interview auf Interview, am Sonntag ein Besuch bei den Freischreibern in Frankfurt, und am Tag der Arbeit tummelt er sich auf den Maikundgebungen in Zürich. "Wir stehen hier mit unserem Bauchladen und machen ein bisschen Werbung", sagt Seibt am anderen Ende der Telefonleitung.
Er klingt dabei nicht übertrieben euphorisch. Der 51-Jährige weiß natürlich, dass die Arbeit ja jetzt nicht beendet ist. Eigentlich geht sie gerade erst los. Anfang 2018 soll die "Republik" journalistisch an den Start gehen. "Wir werden jetzt sehr hart daran arbeiten, all den Hoffnungen, die sich mit unserem Projekt verbinden, gerecht zu werden", weiß Seibt um die große Aufgabe. Ob der Druck seit dem furiosen Crowdfunding-Erfolg größer geworden ist? "Na ja", sagt der Journalist, "wir hatten noch keine Zeit uns zu fürchten." Aber natürlich ahnt auch er, dass die Erwartungen nach diesem Auftakt beinahe ins Unermessliche gestiegen sind. Nach siebeneinhalb Stunden am ersten Tag des öffentlichen Geldsammelns hatten sie bereits so viele Abonnenten für ihr Magazin (3000), wie sie innerhalb eines ganzen Monats erreichen wollten. Vor den Redaktionsräumen in der Zürcher Langstraße standen die Menschen Schlange, um ihr Geld abzuliefern. Hat der Journalismus einen neuen Messias gefunden?
Der ganz große Wurf soll es werden
Die Entschiedenheit dieses überwältigenden Ja zur "Republik" ist vor allem deshalb überraschend, weil die Macher bislang noch nicht mehr als sehr viele, sehr große Worte vorweisen können. Wie soll es also werden, dieses neue Magazin, Herr Seibt? "Unser Job als 'Republik'-Redaktion werden die großen Themen, Debatten, Fragen sein – kurz: alles, was lärmig, verwickelt oder unklar ist", erklärt Seibt. Kein Klein-Klein, sondern die relevanten Themen unserer Zeit sollen verhandelt werden: Digitalisierung, Robotisierung, Finanzsystem, so was. Das Label, das sie sich dazu gegeben haben lautet "recherchierter Erklär- und Debattenjournalismus". Dazu gesellen sich gut klingende Selbstverständlichkeiten wie "Klarheit im Stil, Treue zu Fakten, Offenheit gegenüber Kritik, Respektlosigkeit vor der Macht, Respekt vor dem Menschen". Und das alles natürlich multimedial erzählt. Die Redaktion soll aber nicht nur im Netz bleiben, sondern auch physischen Kontakt zu den Lesern suchen – über Salons, Veranstaltung von Filmreihen und einmal im Monat geht die Redaktion mit den Lesern trinken. Das definitive Konzept wird in den nächsten Monaten mit der endgültigen Redaktion noch erarbeitet. Klar ist inzwischen so viel: Sie soll aus insgesamt elf Köpfen bestehen und nach Alter, Herkunft, Geschlecht und Fähigkeiten gemischt sein.
Das Crowdfunding hat dem Projekt weiteren Auftrieb gegeben. Schon seit Tagen wird das ursprüngliche Grundkonzept ausgebaut. Die Redaktion hat eine zusätzliche Stelle bekommen, es gibt nun ein Extrabudget für bis zu vier besonders große Recherchen im Jahr über jeweils bis zu 60 000 Franken, herausragende internationale Autorinnen und Autoren sollen angeworben werden und die Zahl der Ausbildungsplätze stieg von zwei auf vier.
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Jue.So Jürgen Sojka
am 07.05.2017Macherinnen/Macher, so sie nicht aus der "Namenlosigkeit" kommen, werden wohl dass machen, was von ihnen bereits zuvor gelebt wurde – mit Verantwortung die neuen Gegebenheiten…