Also tat er sich mit Holger Reile zusammen, "der sich in der Region richtig gut auskannte". In der Tat: Reile, heute 63, hatte in den 70er Jahren die Konstanzer Szenekneipe S'beese Miggle betrieben, war Mitbegründer des Regionalmagazins "Nebelhorn" gewesen, einige Jahre für die Grünen im Kreistag gesessen und hatte sich ab 1985 als Reporter für Radio-, TV- und Printmedien einen Namen gemacht. Zu den beiden stieß noch der Mediendesigner Andreas Danielowski, der die Gestaltung übernahm.
Die Anfänge waren mühsam. Ohne jede Bezahlung setzte die "seemoz"-Redaktion täglich ein, zwei Beiträge ins Web. "Niemand gab uns eine Chance", erinnert sich Reile, "'das erste Jahr überlebt ihr nicht', hatte es oft geheißen." Wie sollte so ein Freizeitprojekt auch jemals auf die Beine kommen? Doch es gab Unterstützung. Je länger sich der "Südkurier" weigerte, Initiativen, Aktionen, Demos oder Veranstaltungen des linksökologischen Spektrums wahrzunehmen, desto wichtiger wurde die Alternative. Dass sich das Monopolblatt am westlichen Bodensee in zentralen lokal- und regionalpolitischen Belangen wie dem geplanten Bau eines überdimensionierten Konstanzer Kongresszentrums, bei Stuttgart 21 oder den Arbeitsbedingungen am Konstanzer Klinikum offen auf die Seite der Mächtigen schlug, tat ein übriges.
"Seemoz" wurde wahrgenommen. Die Klickraten nahmen zu, die Bannerwerbung auf den Seiten brachte anfangs wenig, später etwas mehr Geld, eine Spendenkampagne stockte das Budget auf. Bald schon erschienen werktags mindestens drei Artikel oder Veranstaltungshinweise, manchmal fünf. Und es entstand ein Förderkreis, der Aufkleber anfertigen ließ, Flyer produzierte, Plakate aufhängte (Slogan: "Weil die Stadt uns allen gehört") und LeserInnen um Statements bat, die veröffentlicht wurden. Die Zahl der Mitarbeitenden wuchs. Auch aus der Schweiz mehrten sich Beiträge über Entwicklungen im "befreundeten Ausland". Es gab ja auch immer mehr zu berichten. Über die Umtriebe der extremen Rechten, über die Rüstungsindustrie am See, über voreilige Baumrodungen am Seerhein, über die Nazi-Vergangenheit regionaler Größen, über die unrechtmäßige Entlassung eines Chefarzts, über OB-Wahlen oder über das geplante ECE-Einkaufszentrum in Singen am Hohentwiel.
Maultaschenpreis für beschäftigtenfeindliche Unternehmen
Es fehlte auch nicht an Erfolgen. So lehnten die KonstanzerInnen – nicht zuletzt dank seemoz – das Kongresshausprojekt am See ab. Die katholische Kirche entschied – auch aufgrund der "seemoz"-Berichterstattung – gegen den geplanten Abriss eines denkmalgeschützten Gebäudes. Der Skandal um den Anfang 2011 geschassten Chefarzt zog weite Kreise. Und als der Südkurier im April 2016 den lokalen Kulturredakteur Michael Lünstroth wegen eines Kommentars, der die Verwaltungsspitze kritisierte, mit Schreibverbot belegte, wurde das auch wegen "seemoz" zu einem Politikum, das weite Kreise zog.
Die Lünstroth-Geschichte hat dem Onlinemagazin die vielleicht höchste Clickrate seiner Geschichte beschert. "Bis zu 6000 Leute wollten damals täglich wissen, was Sache ist", sagt Reile. Andere Berichte aus der Arbeitswelt stoßen – wie eine LeserInnenumfrage Ende 2015 ergab – zwar nicht auf dasselbe Interesse, sind aber fester Bestandteil der Berichterstattung. So reportiert seemoz regelmässig über den Konstanzer Maultaschenpreis für besonders beschäftigtenfeindliche Unternehmen – den der Südkurier auch deswegen nicht erwähnt, weil er selber mal den zweiten Platz belegte.
3 Kommentare verfügbar
Holger Reile
am 07.05.2017Wenn Sie uns schon der "Linkszensur" bezichtigen, dazu doch einige Anmerkungen. Wäre das wirklich so, würden Sie nicht zu unseren eifrigsten Kommentarschreibern zählen, und das seit langen Jahren. In der Region sind Sie ja bekannt als ein reger Geist, der mit seinen Kommentaren…