KONTEXT:Wochenzeitung
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Proteststürme am Bodensee

Proteststürme am Bodensee
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Auf den ersten Blick scheint die Zeitungswelt in der Bodenseeregion noch in Ordnung. Anders als bei vielen Verlagen im Land halten die Leser dem Konstanzer "Südkurier" weitgehend die Treue. Mit einem Medienhaus stellt sich der SK der digitalen Zukunft. Doch hinter den Verlagsmauern rumort es gewaltig. Nachdem die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe die Hälfte ihres Anteils an die "Augsburger Allgemeine" verkauft hat, fürchten die badischen Redakteure ein schwäbisches Spardiktat. (Teil V unserer Serie über Zeitungsverlage in Baden-Württemberg.)

"Pfiffikus zaubert in Vöhrenbach." Was Google News zum Begriff "Südkurier" aus dem Internet fischt, gehört nicht unbedingt zu den Geschichten, die die Welt bewegen. Doch der Veranstaltungstipp auf dem Online-Portal www.suedkurier.de steht für die Philosophie der "führenden Tageszeitung im Raum Bodensee, Schwarzwald und Hochrhein", wie man sich gern selbst bezeichnet. Der SK ist in seinem Verbreitungsgebiet im Süden von Baden-Württemberg bei seinen Lesern zu Hause: in der Universitäts- und Touristenstadt Konstanz, wo Verlag und Zentralredaktion sitzen, ebenso wie im Schwarzwaldörtchen Vöhrenbach.

Nach gängigen Maßstäben ist der "Südkurier" eine Regionalzeitung, die verkaufte Auflage erreicht aktuell 127 768 Exemplare. Die Konkurrenz im Verbreitungsgebiet, die "Badische Zeitung" aus Freiburg (144 990 Exemplare) und die in Ravensburg erscheinende "Schwäbische Zeitung" (169 270 Exemplare), ist mindestens eine Nummer größer. Nur Richtung Norden trifft der "Südkurier" mit dem "Schwarzwälder Boten" (120 975 Exemplare) auf einen kleineren Konkurrenten.

Viele seiner Leser sehen den "Südkurier" als Heimatzeitung. Dieses Gefühl bedient das Blatt nicht zuletzt durch eine starke Präsenz vor Ort. 16 Lokalredaktionen unterhält der Verlag, die Mehrzahl der rund 100 "Südkurier"-Redakteure ist in der Provinz zu Hause, um über Neues aus Kommunalpolitik, Kirche oder Kuhstall zu berichten. Bemerkenswerte Randnotiz: Der "Südkurier" hält die Stellung auch in Singen am Hohentwiel, wo der landesweite Platzhirsch "Stuttgarter Zeitung" gerade sein Korrespondentenbüro dichtmacht. Rund ein Drittel des SK-Redaktionspersonals arbeitet am Konstanzer Stammsitz, baut die Mantelseiten und befüttert das Online-Portal.

Geht es nach Lesart von Chefredakteur Stefan Lutz, will der "Südkurier" "vor allen Dingen Wärme ausstrahlen". Dies offenbarte er dem Branchendienst "drehscheibe". Aus seiner Sicht treffe man im Blätterwald noch immer auf "zu viele missgelaunte Freunde, biedere Typen, die eher Dröges erzählen". Den wärmenden Ofen hatte Lutz, der über die Springer-Blätter "Bild" und "Hamburger Morgenpost" an den Bodensee kam, noch als stellvertretender Redaktionsleiter mit einem Blatt-Relaunch angeworfen. Ein neues Seitendesign im Berliner Format machte den "Südkurier" Anfang 2010 kleiner, bunter und luftiger – was den Grafikern auf Kosten des geschriebenen Worts jede Menge Mehrarbeit bescherte. "Lust auf Heimat" hieß das hausinterne Leitmotiv der Runderneuerung, der auch neue Inhalte entspringen sollten. "Wir haben den Anteil der Meinungsbeiträge erhöht – und zwar nicht im Mantel, sondern in den Lokalteilen", benannte Lutz eine Innovation. Dies gelang offenbar erfolgreich: "Die Reaktionen der Leser sind eine wahre Liebeserklärung", schwärmte Lutz im "drehscheibe"-Interview.

Doch neben Liebesgrüßen gab es auch Proteststürme. Wie im Herbst 2011, als Konzert- und Ausstellungsberichte im Konstanzer Lokalteil nicht mehr auf einer täglichen Kulturseite, sondern fortan nur zweimal wöchentlich unter der Überschrift "Wir in Konstanz" erschienen. Selbst der Konstanzer Stadtrat ging auf die Barrikaden. Ein mahnender Leserbrief von Tobias Engelsing, dem Direktor der städtischen Museen, wurde erst gar nicht abgedruckt. Dabei wusste Engelsing genau, wovon er schrieb: Bis zur Ernennung zum Museumschef war er Lokalchef beim "Südkurier". Wenig später kam die Retourkutsche. Anfang 2012 berichtete das Blatt über einen angeblichen Skandal im hiesigen Kulturbetrieb. Genauer gesagt über eine lukrative Nebentätigkeit Engelsings für die Südwestdeutsche Philharmonie. Doch die Vorwürfe erwiesen sich als künstlich aufgebauscht. Kleinlaut druckte das Blatt wenig später eine klarstellende Stellungnahme Engelsings ab. 

Chefredakteur macht auf Tariffluchthelfer

Auch hinter den Kulissen des Medienhauses rumort es gewaltig, seit Geschäftsführer Rainer Wiesner Anfang 2011 aus dem bundesweiten Tarifvertrag ausstieg. Mit einem mehrtägigen Streik versuchten Redakteure und Drucker daraufhin einen Haustarifvertrag durchzusetzen, der Gehaltsstufen und Arbeitszeiten der Beschäftigten festschreibt. Chefredakteur Lutz betätigte sich in der Auseinandersetzung als Tariffluchthelfer, indem "er seine Sekretärin feuerte, weil sie mit den Streikenden symphatisierte", wie das Online-Magazin "SeeMoz" berichtete. "Südkurier"-Leser erfuhren dagegen vom hausinternen Tarifkonflikt nichts, aus dem die Chefetage letztlich als Gewinner hervorging. Bis heute erhalten Verlagsmitarbeiter nur individuell vereinbarte Arbeitsverträge, derzeit offenbar auch nur befristet. "Die Braut wurde damals aufgehübscht", heißt es heute im Rückblick auf den Tarifstreit.

Denn wenig später, im November 2011, verkaufte die Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck 51 Prozent des "Südkuriers" an die Mediengruppe Pressedruck in Augsburg. Im Mai erst hatten die Augsburger die "Main-Post" in Würzburg ebenfalls vom Holtzbrinck-Verlag übernommen. Das Stuttgarter Verlagshaus setzte damit seine Strategie fort, sich von Printprodukten zu trennen und stattdessen Digitalangebote zu forcieren. Vergeblich hatten sich die "Südkurier"-Mitarbeiter gegen den Zeitungsdeal  mit einen waghalsigen Versuch gewehrt: sie wollten das Blatt selbst übernehmen. Letztlich konnte die Belegschaft jedoch die dreistellige Millionensumme, die als SK-Kaufpreis durch die Gerüchteküche schwirrte, nicht selbst stemmen. 

Das Sagen am See hat seitdem ein schwäbisches Zeitungsimperium, dessen Flaggschiff "Augsburger Allgemeine" mit der "Allgäuer Zeitung" zusammen in 25 Ausgaben eine Auflage von rund 330 000 Exemplaren erreicht. "Wir sind ein Familienunternehmen, das an die Zukunft der regionalen Tageszeitung glaubt", begründete Verlegerin Alexandra Holland im eigenen Blatt den Einstieg. "Wir kommen nicht als Heuschrecken, wir kommen als Verleger. Der Erwerb der Anteilsmehrheit am 'Südkurier' ist ein konsequenter Schritt innerhalb unserer Wachstumsstrategie", bemühte sich Pressedruck-Geschäftsführer Andreas Scherer, Ängste vor einem Personalabbau am Bodensee zu zerstreuen. "Beide Blätter sind ja nicht kompatibel. Wir haben inhaltlich nichts mit Franken oder Bayern zu tun", nahmen die SK-Redakteure dies zunächst beruhigt zur Kenntnis. Doch Ängste flammten im Herbst 2012 erneut auf, als Verlegerin Holland in Augsburg zehn Millionen Euro als verlagsinternes Sparziel vorgab.

"Wir haben auch unter Holtzbrinck schon immer mit wenig Ressourcen gearbeitet. Mehr Redakteure einsparen geht nicht, ohne die Qualität des Blattes zu gefährden", heißt es aus der Redaktion. Weniger Qualität würde der Leser nicht hinnehmen, warnen die Journalisten. Dabei reißen die Hiobsbotschaft nicht ab. So wurde vor kurzem bekannt, dass die Augsburger ein Sparmodell der Essener Funke Mediengruppe kopieren wollen. So plant die Mediengruppe Pressedruck, in Schwaben und Oberbayern künftig auf eigene Geschäftsstellen zu verzichten. Anzeigenannahme, Abobetreuung und Produktverkauf sollen in Buchhandlungen oder Reisebüros angesiedelt werden, die Lokalredaktionen jedoch unangetastet bleiben. Wie viele Arbeitsplätze wegfallen, ist noch unklar. "Es ist eine Frage der Zeit, bis sich Holtzbrinck von seinen restlichen Anteilen trennt und das Augsburger Spardiktat auch beim 'Südkurier' voll durchschlägt", heißt es in Konstanz.

Schon vor dem Besitzerwechsel war es im "Südkurier"-Medienhaus hoch hergegangen. Knall auf Fall hatte im Januar 2010 der langjährige Chefredakteur Thomas Satinsky das Blatt verlassen. Satinsky ging als geschäftsführender Verleger zurück zur "Pforzheimer Zeitung", wo er von 1998 bis 2005 bereits als Redaktionschef tätig gewesen war. Zunächst präsentierte Geschäftsführer Wiesner im Juni 2010 André Uzulis als neuen Blattchef. "Scharfrichter beim 'Südkurier'?", titelte das "SeeMoz"-Magazin daraufhin. Bis 2009 war Uzulis Chefredakteur des Neubrandenburger "Nordkuriers". "Während seiner Amtszeit verminderte sich die dessen Belegschaft um 15 Prozent. Und er initiierte Knebelverträge für freie Journalisten mit empfindlich dünneren Honoraren", berichtete "SeeMoz".

Doch lange dauerte die Ära Uzulis nicht. "Kaum hatte man sich an seinen Namen gewöhnt, war er wieder weg", spötteln Redakteure über den schnellen Abgang vier Monate nach Amtsantritt. "Die Chemie zwischen dem 45-Jährigen und Geschäftsführer Rainer Wiesner hat nicht gestimmt", zitierte "Meedia" Stimmen aus der Chefetage. Uzulis heuerte daraufhin als Auslandschef bei der Nachrichtenagentur dapd an. Nach deren Pleite wechselte er im Dezember 2012 als "Direktor Kommunikation und Medien" zum Bistum Trier. Das Redaktionsruder in Konstanz übernahm die bisherige Nummer zwei, Stefan Lutz.

Trophäen nützen nichts gegen Leserschwund

Mit Lutz an der Spitze heimste der "Südkurier" namhafte Auszeichnungen ein. 2010 wurde ihm der Deutsche Lokaljournalistenpreis der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung verliehen. Mit Sonderseiten und einem großen Fest im Konstanzer Konzil feierten Verlag und Chefredaktion die Auszeichnung. Aktuell bekam das Blatt denselben Preis auch 2013. Mehrfach gewann der "Südkurier" auch einen European Newspaper Award. Stolz werden die Auszeichnungen im täglichen Impressum aufgeführt. "Unser Aussehen, weniger die Inhalte haben gewonnen", kommentieren dies Redakteure, denen derartige Selbstbeweihräucherung aufstößt.

Die Trophäen verhindern nicht, dass der "Südkurier" stetig Leser verliert. So musste der Verlag zwischen 2005 und 2010 einen Auflagenrückgang von sieben Prozent verkraften. Zuletzt hielt sich der jährliche Aboschwund mit einem Prozent in Grenzen. Wie viel das Anzeigengeschäft noch zum Umsatz bringt, will der Verlag auf Kontext-Anfrage nicht verraten. Es dürfte jedoch nicht nur wegen der digitalen Konkurrenz immer weniger werden. Nachteilig wirkt sich die Nähe zur Schweiz aus. So kann sich der Einzelhandel im auflagenstarken Konstanz derzeit teure Zeitungsanzeigen sparen: die benachbarten Eidgenossen stürmen wegen des Franken-Wechselkurses von allein über die Grenze. 

Mit neuen Geschäftsmodellen versucht der Verlag neue Einnahmenquellen anzuzapfen. Mittlerweile arbeiten in der Zentralredaktion sieben Online-Redakteure für "suedkurier.de", das monatlich 2,6 Millionen Besuche hat. Im Juni 2013 startete das kostenpflichtige Online-Angebot "SKplus". Registrierte Mitglieder haben Zugriff auf Nachrichten, Hintergründe und exklusive Artikel. Sie kommen auch in den Genuss von Live-Berichterstattungen aus der Region und wöchentlichen Redaktions-Chats. Print-Abonnenten haben für 99 Cent im Monat darauf Zugriff, Neukunden bezahlen 9,90 Euro. Knapp drei Wochen nach dem Start vermeldete der Verlag bereits über 1000 zahlende SKplus-Mitglieder. Wie viele davon tatsächlich Neukunden sind, verriet das Medienhaus nicht. 

Neue Geschäftsmodelle sollen Umsätze bringen

Ein Jahr zuvor hatte der "Südkurier" mit einem ungeschickt platzierten Bezahlschranken-Test noch Schiffbruch erlitten, wie der Blog "See-online" süffisant berichtete: "Ausgerechnet während des OB-Wahlkampfes 2012 bot die Heimatzeitung ihren Online-Lesern kostenpflichtige Inhalte an. Wer Beiträge über die OB-Wahl lesen wollte, sollte zahlen", was aber offenbar nur wenige wollten. Beim zweiten Anlauf klappt es nun offenbar besser.

Neben der Tageszeitung mit Online-Portal führt das Südkurier-Medienhaus weitere Geschäftsbereiche im Portfolio. Im Jahr 1999 wurde die psg Presse- und Verteilservice Baden-Württemberg integriert. Im Jahr 2000 gründeten die Konstanzer ein Joint Venture mit dem privaten Briefdienst arriva, der nach eigenen Angaben heute der größte Briefdienstleister in Baden-Württemberg ist. Nach der Jahrtausendwende erschienen neue publizistische Produkte wie Regional- und Tourismusmagazine unter dem Dach des Medienhauses. Mitte 2008 übernahmen die Konstanzer die Karlsruher Internet-Zeitung ka-news.de. Neben dem Zeitungsportal betreibt das Medienhaus mit Regiostars, JOBS und bodenseeferien.de weitere Online-Portale. In den Fokus nahmen die Konstanzer zuletzt auch einsame Herzen. Mitte Juni starteten der "Südkurier" das regionale Partnerportal www.heimatdate.de. Bereits zum Start waren nach Verlagsangaben mehr als 3000 Nutzer auf der Plattform registriert, die sich speziell an Singles im Verbreitungsgebiet des gedruckten "Südkuriers" richtet.


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3 Kommentare verfügbar

  • Gernot Riebe senior
    am 16.11.2014
    Antworten
    Der "Südkurier" müßte nur noch wirklich unabhängig sein von der Meinung seiner Reakteure, und es sollten soviel wie möglich Leserbriefe veröffentlicht werden als Signal für wirkliche Demokratie. Das allein macht den "Südkurier" interessant und bringt Leben in die Bude. Ständige Werbeaktionen wären…
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