Dazu werden noch ältere Postkarten erbettelt, um den längst in Fülle vorhandener Stadt-Alben ein weitere hinzuzufügen. Aber der Ehrgeiz stolzer Mitgestalter ist geweckt. Jüngstes Zitat in einer Tageszeitung, wohl als Beweis der Leserbindung gedacht: Die Flut der Leserzuschriften ebbt nicht ab. Hoch im Kurs stehen im Augenblick Dialektbeiträge, die sich nicht selten zur Privatkorrespondenz unter den Einsendern entwickeln, weil der Redaktion das Wissen oder der Wille, besonders aber die Zeit für Recherche fehlt, um falsche Aussagen zu korrigieren. Gegenüber den abgedruckten Texten ist Wikipedia oft ein notariell dreifach abgesichertes Glaubwürdigkeitsprodukt.
Veröffentlicht wird wie geliefert. So geniert man sich etwa nicht, die Behauptung unkommentiert stehen zu lassen, das Sprichwort "Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht" sei ein original schwäbisches. Ähnliche honorarfreie Schwätzer besorgt man sich im Bereich Gemüse- und Blumengärten, Haushalt, Körperpflege usw. Neuerdings erscheinen auch vermehrt seitenlange Beiträge, in denen Menschen – mal interessant, mal weniger – ihren Lebenslauf nach eigenem Gusto schildern dürfen, ohne eine Zwischenfrage, um Hintergründe aufzuklären oder einen Kernpunkt zu vertiefen. Ein Interview wäre zu aufwendig. Hauptsache, die Artikel erfordern kein Honorar. In diese Rubrik fallen auch die gesammelten Leserbeiträge über Stadtquartiere und Straßen, aus denen sich leichte eine honorarfreie Doppelseite gestalten lässt. Es sei angefügt, dass sich natürlich auch aus all diesen Aktionen Bücher machen lassen.
Zur Vollständigkeit muss man erwähnen, dass auch von professioneller Seite mächtig Hilfe für kostenloses Material kommt. Die Redaktionen werden überschwemmt mit Meldungen und ganzen Artikeln von der Freizeit-, Automobil-, Pharma-, Kosmetik-, Nahrungsmittel- und anderen Industrien. Künstleragenturen liefern fertige Filmkritiken und vorproduzierte Interviews mit Stars aller Art. Das alles reicht bequem, täglich viele Spalten zu füllen. Bei manchen Tageszeitungen liest man mehr über den Ehekrach bekannter Schauspieler in Hollywood als zum Beispiel über eine aus dem Ruder gelaufene Demonstration extremer Gruppen in der Kommune, bei der Hunderte von Bürgern stundenlang in öffentlichen Verkehrsmitteln ausharren mussten, weil ihnen von der Polizei aus Sicherheitsgründen das Aussteigen verboten wurde. Die Zeitungsleser unter den Betroffenen, die sich am nächsten Tag über die Hintergründe der erlebten Situation informieren wollen, finden in ihrem Blatt darüber eine Notiz, die auch nicht viel größer ist als eine Meldung über die Nacht von Prinz Harry in einer Kühlzelle.
3 Kommentare verfügbar
Mißbrauchter
am 29.09.2013Ich bin geneigt darin eine neue Dimension des Fortschritts zu erkennen. Neu in so fern, dass…