Indessen hat die ohnehin kleine, wenig radikale Minderheit der Gottlosen zum Frohlocken keinen Grund: Die meterhohen Schutzwälle um den Glauben der Väter und Mütter bröckeln, aber sie halten. Eine Spurensuche nach dem irgendwie religiösen Bewusstsein von Gymnasiasten aus der gehobenen Mittelschicht in und um Stuttgart ergibt: Abmeldungen vom schulischen Religionsunterricht sind verpönt, und ganze Jahrgänge und Schulklassen lassen sich nahezu geschlossen konfirmieren. Lisa* (14) beispielsweise findet Kirche "langweilig, aber doch gut" und glaubt, "dass es schon so was wie Gott gibt, eine Energie, die Sachen ins Gute lenkt". Und so etwa sähen das die meisten in ihrer Klasse.
Auffallend ist, wie sehr Nützlichkeitserwägungen die Selbstauskünfte der Jugendlichen dominieren – und damit dem üblichen Vorteilsdenken der Erwachsenen folgen. Fanny (18) verbindet mit Gott "Sicherheit, Festigung, woran man sich ausrichtet, den Glauben, dass alles gut wird", speziell in heiklen Lebenslagen. Und selbst beim pubertierenden Stefan (14) findet sich eine für die Kirchen noch erbauliche Schlusspointe. "Ich hab das alles nur gemacht, weil alle anderen es gemacht haben", sagt er erst mal über Konfirmation und vorangegangenen Unterricht, "gedacht oder empfunden hab ich nix." Und trotzdem: "Das Ganze war okay." Das meint auch Stefans Mutter, die sehr dafür war, dass der Junge zur "Konfi" geht – wie unzählige Eltern erhofft auch sie sich davon moralische Korstettstangen für den labilen Filius.
Jugendlich glauben an einen vagen, fernen Gott
Immer und überall tönt dieselbe Melodie: Als interessant gilt weniger bis gar nicht, ob und was am Glauben dran, sondern wozu er auf die verschiedenste Weise gut ist. Laut Shell-Studie begrüßen es hierzulande 69 Prozent, dass es Kirchen gibt. Fast ebenso viele sagen allerdings, dass Kirche "keine Antworten für mich hat". Derart niederschmetternde Aussagen müssten die Frage aufwerfen, ob da nicht doch mehr falsch läuft als nur im taktischen Bereich. Und doch lässt sich die scheinbar paradoxe Haltung wohl so deuten, dass die Kirchen noch immer und trotz aller Kritik reichlich Kredit haben bei den Leuten.
Davon zehren sie und davon, dass Kleine wie Große es immer weniger genau nehmen mit dem, was denn da gepredigt, gebetet und gesungen wird im Gotteshaus. Die meisten Heranwachsenden glaubten mittlerweile an einen vagen, fernen Gott, stellte vor Jahren der Würzburger Religionspädagoge Hans-Georg Ziebertz fest, "aber das ist nicht der Gott, dessen Menschwerdung Christen an Weihnachten feiern".
Ungereimtheiten wie diese dürfen aber aus Kirchensicht nichts zur Sache tun beim Versuch, Teenager zu rekrutieren für die gute Sache und für die Gemeinde. Beim Konfirmationsgottesdienst im Frühjahr tragen Stefan und die anderen in der von Angehörigen fast überfüllten Johanneskirche Texte vor, die es jedenfalls theologisch in sich haben. "Wenn Jesus den Tod leidet, leidet Gott selbst unter den Menschen" beispielsweise oder "Gott will uns immer wieder frei von Schuld machen. Jesus hat mit seinem Leben und Tod diese Liebe Gottes bekanntgemacht".
Man muss nicht Freud heißen, um zu erkennen, dass solche Aussagen 14-Jährige nur überfordern können – und sie eigentlich gar nicht erst veranlasst werden dürften, öffentlich derartige Bekenntnisse abzulegen. In ihrem eigenen Interesse, aber auch in dem der Erwachsenen, deren Welt den Jungen hier vorgeführt wird als eine unaufrichtige und bedenkenlos angepasste. Jedoch: Offenbar stört das alles niemanden. In Glaubensdingen durchdringt nichts den Mehltau einer Gesellschaft, in der man einander gebetsmühlenhaft die Toyota-Werbung zuruft: "Alles ist möglich!"
"Erdrutschartige Abbrüche"
Die Heranwachsenden sehen in ihrem Konformismus den Preis, den sie für ihr Dabeisein bei einem beliebten Fest zahlen müssen. Und die Eltern gestehen der Kirche eine Traditionspflege und eine Bekenntniskultur zu, die den Kindern in den Augen der Erwachsenen ja zumindest nicht schadet.
Genau das freilich ist zu bezweifeln. Wenn Stefan weiß, dass seine Mitkonfirmanden vieles nicht einmal kapiert haben von dem, was sie da als ihr Eigenes ausgaben, dann hat womöglich ja auch dies dazu beigetragen, dass er seitdem nie mehr in der Kirche war. Fast alle anderen halten es nicht anders. Denn: Vor allem beim Verhältnis jüngerer Menschen zur Kirche, verkündete neulich der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack, gebe es "erdrutschartige Abbrüche".
"Man führt (dem Kind) die religiösen Lehren zu einer Zeit zu, da es weder Interesse für sie noch die Fähigkeit hat, ihre Tragweite zu begreifen. (...) Wer sich einmal dazu gebracht hat, alle die Absurditäten, die die religiösen Lehren ihm zutragen, ohne Kritik hinzunehmen und selbst die Widersprüche zwischen ihnen zu übersehen, dessen Denkschwäche braucht uns nicht arg zu verwundern." (Sigmund Freud, "Die Zukunft einer Illusion".)
* Namen der Jugendlichen geändert
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peter henkel
am 22.10.2013