KONTEXT:Wochenzeitung
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"Wir sind unentbehrlich"

"Wir sind unentbehrlich"
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Thomas Brackvogel ist Geschäftsführer der Neuen Pressegesellschaft in Ulm, des Verlags, der die "Südwest Presse" herausgibt. Ulrich Becker ist der Chefredakteur. Beide sind mit ihrem Blatt auf dem Weg in die Zukunft. Aber wie geht die? Ein Gespräch über journalistische Hybris, Glaubwürdigkeit, Tweets und den Leser, das unbekannte Wesen.

Herr Brackvogel, Sie haben 2009 in einem Interview gesagt: "Wir müssen die Zeitung nicht neu erfinden, sondern besser machen und nicht nur auf Online starren." Ihre Haltung vier Jahre später?

Thomas Brackvogel: Das sage ich immer noch, wenn auch modifizierter. Zeitung machen ist eine publizistische Tätigkeit, und die hat verschiedene Ausgabeformen: Print, Online, Tablet, E-Paper. Was wir dafür brauchen, sind gute Journalisten, Unabhängigkeit, Wahrhaftigkeit, Recherchesicherheit. Und ein vernünftiges publizistisches Grundverständnis. Journalisten müssen Überzeugungstäter sein. Das ist nicht papiergebunden. Wenn der Leser die Botschaft in Granit gemeißelt will, kriegen er sie auf Granitplatten – wenn er bereit ist, dies zu bezahlen.

Ulrich Becker: Es geht darum, im Netz mit der gleichen Akkuratesse zu arbeiten wie im Print. Wir müssen dem Leser und dem User zu verstehen geben, dass "Süddeutsche", "Spiegel" oder "Südwest Presse" journalistische Qualität auf allen Kanälen bieten.

Was macht Sie unentbehrlich als "Südwest Presse"? 

Brackvogel: Die Unentbehrlichkeit ist längst ein Gattungsthema geworden, ganz unabhängig von der "Südwest Presse". Wir müssen als Gesellschaft darüber nachdenken, ob wir Tageszeitungen noch brauchen. Brauchen wir überhaupt Journalismus? Es heißt ja, "die Nachricht, die für mich wichtig ist, erreicht mich schon irgendwann". Da wünsche ich viel Glück und gutes Wetter. Ich bin überzeugt: Wenn wir eine Gesellschaft haben wollen, die weiterhin freiheitlich organisiert und bürgerrechtlich orientiert funktionieren soll, kommen wir ohne einen spezialisierten Beruf, der genau das tut, was wir als Journalisten machen, nicht aus. Dinge sichten, bewerten: Das macht uns unentbehrlich. Der Schaden, den eine Gesellschaft hätte, wenn diese Gattung verloren ginge, wäre immens.

Ist das nicht journalistische Hybris? 

Brackvogel: Hybris ist es, wenn ein einzelner Journalist sagt, ohne mich geht die Welt unter.

Merkt der Leser, dass der Journalist in seiner Einordnung und Bewertung unentbehrlich ist?

Brackvogel: Es mag sein, dass es nicht genügend Leser tun. Aber ich glaube, dass die Welt deutlich schlechter und unser Gemeinwesen anders funktionieren würde, gäbe es keine Journalisten. Journalismus hat nicht ohne Grund das Verfassungsprivileg, das man sich übrigens verdienen muss. Was haben Journalisten und Medien nach 1945 erreicht, und lässt sich das ersetzen durch eine reine Netzdemokratie ohne ausgebildete Journalisten? Ich glaube nicht. Neben der Schwarmintelligenz steht die gleiche Chance zu ungeheurer Schwarmdummheit. Als wir im Internet die Kommentierungen und Tweets in der Diskussion um Günther Grass verfolgt haben, sind Kommentare geschrieben worden, für die man sich schämen muss. Bestimmte Dinge darf man unter unserer Marke einfach nicht publizieren, da muss jemand drüber wachen. Wenn Online-Journalismus also nicht nach denselben Grundsätzen funktioniert wie Printjournalismus, wird er überhaupt nicht funktionieren. Dass sich Journalisten aber auch der Zeit anpassen müssen, auch im Printbereich, ist keine Frage.

Becker: Das große Problem ist, dass der Journalismus in den Printredaktionen extrem traditionsbehaftet ist. Wenn wir zu dem Punkt kommen, anzuerkennen, dass die Denkweise von Online Print erneuern kann und nicht Printredakteure irgendwie und nebenher auch online machen, kriegen wir eine erneuerte, moderne Zeitung hin. Unentbehrlich macht uns, dass wir wissen, was in unserer Region, in unserem Umfeld passiert. Unser Markenkern sind das Land Baden-Württemberg, unsere Gemeinden und Städte, die wir mit unseren Regionalausgaben bedienen.

Der <link http: www.donaufisch.de _blank>"Donaufisch", ein Ulmer Blog, das gegen Sie anschreibt, meint, die "Südwest Presse" habe keine kritische Distanz gegenüber der Ulmer Politik, sie würde den Bürgermeister verehren und Stuttgart 21 hochschreiben. Wie wichtig ist Glaubwürdigkeit?

Becker: Wenn wir sie verspielen, haben wir ein Problem. Aber in einer Stadt, in der es nur eine große Tageszeitung gibt, tritt man immer irgendjemandem auf die Füße. Beim Thema S 21 haben wir uns, vor meinem Amtsantritt, in einem heißen Diskussionsprozess zu einer einheitlichen Meinung durchgerungen, die sich weniger mit dem Bahnhof, sondern mit der Strecke auseinandersetzt. Wir haben uns klar dazu bekannt, dass wir diese Strecke für wichtig halten, weil sie verkehrstechnisch und ökologisch für Ulm wichtig ist. Wir müssen auf die Kosten schauen, klar, aber darüber berichten wir auch. Das ist auch Glaubwürdigkeit: Wir haben glaubwürdig vermittelt, warum wir dafür sind.

Brackvogel: Es steht jeder Redaktion und jedem Verlag zu, bestimmte Positionen zu Stuttgart 21 zu setzen. Ich finde, man darf, nein, man muss sogar zu seinen Positionen stehen. 

Die "Stuttgarter Zeitung" hat ihre Haltung zu Stuttgart 21 jede Menge Abonnenten gekostet. 

Brackvogel: Na ja, so schlimm ist es auch nicht. Aber wenn man den Kurs wechselt, weil ein paar Leser ihr Abo kündigen, verliert man seine Glaubwürdigkeit. Da muss man ruhig bleiben, nicht so hektisch reagieren. Die Leser kommen schon wieder zurück, wenn die Zeitung wirklich gut ist. Und – wenn ich mir das erlauben darf zu sagen: Stuttgart 21 ist ein Thema, das unheimlich polarisiert. Egal, was Sie machen, Sie machen es letztlich immer auch falsch.

Wenn ich mir Ihre Website anschaue, sehe ich viel Blaulicht.

Brackvogel: Man findet uns im Web als E-Zeitung, komplett identisch mit der gedruckten Zeitung. Und auf unserer Website gibt es eine ganze Reihe von seriösen, journalistischen Themen, auch ohne Blaulicht.

Ja, ganz weit unten. 

Brackvogel: Wir hatten hier ein Schlüsselerlebnis. Der stellvertretende Chefredakteur hat von seiner Wohnung aus eine Rauchsäule fotografiert, ein Auto, das auf dem Autobahnzubringer gebrannt hat. Das klickstärkste Bild auf der Seite. Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis der Nutzer nach Themen, die guter seriöser Journalismus, wie Sie es vielleicht nennen würden, nicht gern bedient. Aber zu sagen, wir entziehen uns dem Wunsch des Lesers, geht auch nicht. Wer sind wir, das tun zu wollen? Es wäre auf der anderen Seite aber auch ein Fehler, eine Zeitung, entschuldigen Sie, Herr Becker, ausschließlich dem Boulevard zu überlassen.

Becker: Wenn Sie nur nach den Nutzungszahlen gehen würden, hätten Sie sogar einen reinen Boulevardjournalismus. Die Frage ist doch, wie seriös und glaubhaft bereite ich das auf. Man hat im Internet die schnelle Information, und die ist halt oftmals auch Blaulicht, das erzeugt Reichweite und hat so einen gewissen Vorrang vor dem Hintergründigen. Die Bedürfnisse der User im Netz sind anders als die der Menschen, die jetzt noch eine Zeitung kaufen. Die haben ein anderes Informationsverständnis.

Brackvogel: Ich erinnere mich an einen Tag, an dem die Redaktion mit großem Schrecken festgestellt hat, dass der klickstärkste Text eine Reportage über Westerwelle war. Nicht vorstellbar eigentlich, ein langes Stück. Über die FDP und dann auch noch über Westerwelle. Niemand hätte das gedacht. 

Becker: Mollath hat auch extrem gut funktioniert. Das hat die Leute bewegt, ganz egal was wir veröffentlicht haben. Also funktionieren Nähe, die Angst vor einem Überwachungsstaat, was macht der Staat mit mir, persönliches Schicksal. Da ist die Sozialreportage aus den Fernen des chilenischen Hochlands zwar gut, aber vielleicht nicht mehr zeitgemäß. In Print können Sie das noch lesen, weil Sie sich da freuen, wenn Sie ein solches Stück entdecken. Aber online wählen die Leser aus, was Sie wissen wollen. Darauf muss man eingehen. Vielleicht saßen wir zu lange auf dem hohen Ross. Wir müssen sehen, dass wir die Bedürfnisse der Leser erfüllen. Online ist eine große Chance, mehr über unsere Leser zu erfahren. Das war bisher schwer möglich.

Brackvogel: Eigentlich ist es eine tolle Zeit für Journalisten, weil man plötzlich so viele Instrumente und Mittel an die Hand bekommt. Von der Zeitung über das Tablet, über Online-Auftritte, über Tweets. Journalisten haben hoffentlich alle ein gewisses Sendungsbewusstsein, und für jemanden, der sich für ein Thema zuständig fühlt und begeistert, sind all diese Möglichkeiten doch großartig.

Aber irgendwie klappt das noch nicht richtig in den Verlagshäusern. Vor allem in den lokalen. Was steht dem im Weg? 

Becker: Bei regionalen Abonnementzeitungen sitzen oft Menschen, die sehr lange in diesem Modell gearbeitet haben. Die müssen nun umdenken, das fällt schwer und geht nicht so schnell, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Plötzlich bekommt man sofort eine Reaktion auf einen Text und muss reagieren, das ist anstrengend, ein ganz anderes Arbeiten.

Brackvogel: Es ist aber keine Frage des Alters. Diese Haltung ist sehr bequem. Ich selbst bin näher an 60 als an 50 und halte mich nicht für überbordend innovativ. Aber ich kann mit diesen Medien umgehen und mich für sie begeistern. Gerade ein Journalist muss sich auf Neues einlassen. Im Moment kämpft Verdi wieder verstärkt für die Altersstaffel, weil Redakteure angeblich immer erfahrener werden, je älter sie sind. Das passt nun gar nicht zu dem Glauben, je älter ein Redakteur wird, desto weniger ist er für neue Medien zuständig. Man kann doch nicht sagen, die Welt ändert sich, aber für mich gilt das nicht. Da ist man als Journalist an der falschen Stelle. Dann muss man ins Archiv gehen oder Akten verwalten. 

Wie stehen Sie zu den kommenden Tarifverhandlungen? Gibt's mehr Geld bei der "Südwest Presse"? 

Brackvogel: Ich stehe voll und ganz hinter der Linie des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), bin ein großer Verfechter des Flächentarifs und halte nichts davon, dass es eine Spaltung in Landestarife gibt. Meine persönliche Meinung als Geschäftsführer dieses Unternehmens ist, dass die Tarifverhandlungen an unserer Unternehmenswirklichkeit vorbeigehen. Ich wäre froh, wir würden viel öfter darüber diskutieren, wie wir die journalistische Wirklichkeit in ein vernünftiges Tarif-Gefüge bringen, und uns nicht mehr so sehr mit einer Hand in der Zeit des Bleisatzes festhalten. 

Und Ihre Online-Redaktion?

Brackvogel: Ist in einer eigenen Gesellschaft, die ist nicht im Tarif. Darüber diskutieren wir schon. Ich kann mich nicht hinstellen und eine multimediale Redaktion fordern, und, wenn dann der Schritt ins Multimediale gegangen wird, sagen, das machen wir in drei verschiedenen Firmen, und davon sind zwei nicht tarifgebunden. Aber erklären Sie mir bitte, warum ich heute neue Bereiche aufstellen soll, die in Tarifgefüge gebunden sind aus einer Zeit, die nicht mehr die heutige ist? 

Becker: Im Grunde geht es um eine wirkliche Verzahnung. Das heißt nicht, dass der Printredakteur zur eierlegenden Wollmilchsau wird, sondern dass sich die Redaktionen öffnen für eine andere Denke. Da geht es darum, dass Teams zusammen überlegen, wie sie ein Thema im Print spielen und Online, mit Videos oder Bildergalerien. Das können wir nicht mit einer redaktionellen Zweiklassengesellschaft machen. Redakteure, egal ob Print oder Online, müssen dann in Einkommen und Status auf der gleichen Stufe stehen.

Brackvogel: Wenn wir die Online-Redakteure in den Tarif heben, dann ist das für uns richtig viel Geld. Das Geld fehlt dann in der technischen Entwicklung. Gleichzeitig müssen wir uns überlegen, wie wir dieses Haus nach vorn bekommen. Aber ich will auch nicht, dass Redakteure bei mir im Büro stehen, die sich weigern, ihre Texte für Online freizugeben, weil das nicht im Tarifvertrag steht. Ich will es am Geld nicht scheitern lassen. Aber es müssen halt alle mitmachen.

Ab Oktober wird es eine Bezahlschranke geben für Ihre Website. Wie wird die aussehen?

Brackvogel: Sehr weich: 20 Klicks sind frei, dann kommt die Bezahlschranke. Und wir bieten die elektronische Zeitung, also das E-Paper (E-Zeitung), zum gleichen Preis wie die gedruckte Zeitung an. Übrigens: Bei digitaler Veröffentlichung sparen wir zwar Druckkosten, Papier und Austräger, andererseits haben wir siebenstellige Investitionskosten im Digitalbereich. Das wird schnell übersehen. Diesen Weg müssen alle Zeitungsverlage gehen, auch wenn keiner heute weiß, ob es am Ende funktioniert. Wir selbst haben in Crailsheim ein Druckzentrum hingestellt, das 22 Millionen Euro gekostet hat. Da weiß ich sicher, das es kostendeckend ist. Wir glauben also auch noch an die alte Technik.

Wir sprechen die ganze Zeit über Digitalisierung, und Sie bauen ein neues Druckzentrum?

Brackvogel: Ich kann diese Katastrophenstimmung in der Branche nicht teilen. Das nervt mich sogar. Unsere Auflagenentwicklung ist nicht schön, aber noch leidlich gut. Wir haben gesehen, dass die "New York Times" extrem erfolgreich ist mit einer Kombi aus Online-Angebot und Sonntags- oder Samstagszeitung. Wir werden ein ähnliches Angebot testweise auf den Markt bringen. Klar gesagt: Wir bieten das journalistische Produkt "Südwest Presse" auf allen Kanälen an.


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5 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Werner+Schulze
    am 18.09.2013
    Antworten
    Brackvogel hin, Brackvogel her, und auch das Donaufischlein mal gewendet: die entscheidende Passage des Interviews stammt von Brackvogel: sie lautet: "Meine persönliche Meinung als Geschäftsführer dieses Unternehmens ist, dass die Tarifverhandlungen an unserer Unternehmenswirklichkeit vorbeigehen.…
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