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Kürzungen beim Stuttgarter Staatstheater

"Ich bin jetzt supernervös"

Kürzungen beim Stuttgarter Staatstheater: "Ich bin jetzt supernervös"
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Die gesamte Kulturszene Stuttgarts zittert vor den Beschlüssen zum städtischen Doppelhaushalt am 19. Dezember. Auch die Stuttgarter Staatstheater werden von Kürzungen betroffen sein. Opernintendant Viktor Schoner erklärt, was das für sein Haus bedeutet.

Herr Schoner, auch Sie als Intendant der Stuttgarter Staatsoper rechnen am 19. Dezember mit drastischen Kürzungen.

Ja, und wir sind sehr nervös. Nicht nur wegen der Folgen für unser Haus, sondern auch für den gesamten Kulturstandort Stuttgart. Wir haben Verständnis, dass der Stuttgarter Haushalt konsolidiert werden muss. Aber die Frage ist, wieviel wo gespart werden muss und wie schnell das dann gehen muss. Nach derzeitiger Informationslage sollen die Staatstheater ab 1. Januar über vier Millionen Euro pro Jahr einsparen. Wenn auch die Landesregierung ihren bereits beschlossenen Zuschuss dementsprechend reduziert, dann verdoppelt sich das nochmal. Dann müssten die Staatstheater ihr Angebot drastisch reduzieren.

Die Stuttgarter Staatstheater finanzieren sich vor allem je zur Hälfte durch Geld vom Land und der Stadt. Mit 56 Millionen Euro bekommt das Dreispartenhaus mehr von der Stadt als der übrige gesamte Stuttgarter Kulturetat umfasst. Kürzungen treffen die freie Szene und die kleineren Kulturvereine, die ohnehin schon am Rande der Selbstausbeutung arbeiten, natürlich wesentlich härter. Wo könnten Sie denn sparen? 

Klar, je kleiner eine Kulturinstitution ist, desto existenzbedrohender ist jeder Euro, den man ihr nimmt. Unser Problem ist, dass der Anteil der Personalkosten am Gesamtbudget der Staatstheater etwa 80 Prozent beträgt. Wenn wir ab Januar derart großflächig sparen müssten, könnten wir das nicht an den Gehältern unserer 1.400 Mitarbeiter:innen tun, weil wir über Tarifverträge gebunden sind. Wir müssten an das kurzfristig gebundene Geld ran, und das beträfe genau die Projekte, die so einen großen Laden wie den unseren in der Gesellschaft verankern. Das gilt für Projekte der Jungen Oper genauso wie für Reachout-Projekte, unsere Arbeit an den Schulen und nicht zuletzt unsere Kooperationen mit eben diesen kleineren Kulturinstitutionen – also alles jenseits des offiziellen Programms, das wir schon vier Jahre im Voraus planen müssen. Die Gefahr ist da, dass die Kürzungen am Ende auf Kosten der kulturellen Bildung gehen, was fatal wäre in Zeiten demokratischer Erosion. Die Stadt muss sich schon fragen, wo der Transformationsprozess hingehen soll angesichts der allgemeinen Befürchtung, dass Stuttgart das Detroit von morgen werden könnte. Wenn Stuttgart ein Wirtschaftsstandort von Bedeutung bleiben will, muss man hier für Lebensqualität sorgen. Und da spielt die Kultur – ob kleine oder große Kulturinstitutionen – eine wichtige Rolle. 

Trotz der angekündigten drastischen Kürzungen: Wären Sie bereit, ein bisschen von dem Geld, das Sie bekommen, an die freie Kulturszene abzugeben? Als eine Art symbolische Geste?

Das geht nicht. Wir können ja nicht einfach Geld aus unserem Budget irgendwohin überweisen. Aber wo wir uns schon seit geraumer Zeit engagieren, sind Kooperationen. Wir nehmen Ideen der freien Szene auf, setzen sie gemeinsam mit dem jeweiligen Theater um, indem wir unsere Ressourcen zur Verfügung stellen. Denken Sie etwa an unser Nesenbach-Projekt mit dem Theaterkollektiv Lokstoff im Sommer 2021, unser kürzlich in einem ehemaligen Autohaus verwirklichtes Projekt "Cité d'Or. Aufstieg und Fall der Stadt Stuttgart" mit dem Theater Rampe oder die vielen Kooperationen mit dem Club Wizemann. Wir stellen Räume, Orchester, Chor, Ensemble zur Verfügung und ermöglichen auf diese Weise innovative Projekte, die die kleinen Institutionen so nie verwirklichen könnten. Und umgekehrt nutzen wir ihr Knowhow etwa in Sachen Stadtraumprojekte. Für uns sind Zusammenarbeiten solcherart längst Teil unserer Identität geworden. Wir bekommen dadurch in der Stadtgesellschaft eine größere Akzeptanz und gewinnen neue Zuschauer:innen. Ich bin absolut überzeugt, dass kulturpolitisch was daraus entstehen könnte. Und ich bin jetzt supernervös, dass uns diese Chance durch die Kürzungen flöten geht. Die Stadt Stuttgart braucht unbedingt eine kulturpolitische Vision. Wenn wir die hiesige vielfältige Kulturlandschaft erhalten wollen, müssen wir alle miteinander dafür kämpfen. 

Finanzierung und Opernsanierung

Neben Ticketerlösen, Sponsor:innen und Drittmittel finanzieren sich die Stuttgarter Staatstheater je zur Hälfte durch Zuwendungen des Landes und der Stadt. 2025 sind das 118,7 Millionen Euro, davon kommen 56 Millionen Euro von der Stadt Stuttgart. Zahlen, wie hoch der Anteil der Staatsoper am Gesamtbudget der Staatstheater ist, sind öffentlich nicht zugänglich. 

Die geplante Generalsanierung des Opernhauses soll 2033 beginnen und 2041 beendet sein. Wiedereröffnet werden soll der Littmann-Bau 2042. Neben der Sanierung des Stammsitzes wird ein Kulissenlager auf dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik im Hallschlag gebaut sowie die Interimsspielstätte im neuen Rosenstein-Quartier hinter den Wagenhallen. Der Bau des Interims soll 2028 beginnen und 2032 beendet werden. Kosten noch unklar. Von 2033 bis 2042 sollen Oper und Ballett darin ihr Domizil haben. Die Kostenprognosen für das Gesamtsanierungsprojekt, die 2019 bei rund einer Milliarde Euro lagen, gelten wegen Baupreissteigerungen als überholt. 

Der Kulturförderetat der Stadt Stuttgart beträgt (ohne Staatstheater) rund 49 Millionen Euro (2025). Das macht im Verhältnis zum Gesamthaushalt von 5,8 Milliarden (2025) weniger als 1 Prozent aus. In ihrer gemeinsamen Petition gegen die Kultursparmaßnahmen in Stuttgart weist das "Bündnis Stuttgart Kultur" darauf hin, dass mit den geplanten Kürzungen "im Hinblick auf den Gesamthaushalt finanziell nichts zu gewinnen", für die Kultur jedoch "sehr viel zu verlieren" sei. Wie alle Ämter ist auch das Kulturamt angewiesen, 20 Prozent seines Etats, für 2026/27 also insgesamt bis zu 20,6 Millionen Euro einzusparen. (vg)

Könnte die Staatsoper nicht in Sachen Ausstattung ein wenig zurückfahren? Ich denke da an aufwändige Inszenierungen wie die „Boris Godunow“-Produktion von 2021. 

Wegen Inflation und Kostensteigerungen müssen wir schon seit Längerem sparen. Was die Materialkosten angeht, sind die Zuwendungen in den letzten 30 Jahren konstant geblieben. Den Riesenaufwand, den Opernproduktionen manchmal verlangen, versuchen wir zu amortisieren, Bühnenbilder und Kostüme zu recyceln. Die Künstler:innen haben sich geändert, haben die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcenmanagement verinnerlicht. Das wäre früher nicht so gut angekommen, wenn Bühnenbildner Bestandteile aus alten Produktionen in ihre eigenes Konstrukt eingebaut hätten. Aber mir geht es vor allem darum, dass unser Programm für das Publikum attraktiv bleibt. Weniger Neuproduktionen auf die Bühne zu bringen um Geld zu sparen, wie es in Berlin jetzt der Fall ist, ist für mich keine Lösung. 

Kommen wir zur Opernsanierung: Die Kostenprognose von einer Milliarde Euro gilt längst als überholt. In Zeiten des Sparzwangs ist ein solches Projekt in der Öffentlichkeit nach wie vor nicht gut zu vermitteln. 

Natürlich muss man den Littmann-Bau sanieren, daran gibt es überhaupt nichts zu rütteln. Es ist aber auch klar, dass in Zeiten knapper Kassen sehr offen darüber diskutiert werden muss, wieviel Geld man für was ausgibt. Die aktuellen Sparmaßnahmen betrifft das aber noch nicht. Die Sanierung soll nach jetzigem Stand ja erst 2033 beginnen. Bis dahin wird noch viel nachgedacht und diskutiert werden. Und wer weiß: Vielleicht ist in den 2030er-Jahren dann die Wirtschaftslage wieder besser in Stuttgart. Und was das geplante Interimsgebäude betrifft: Das Projekt ist zwar beschlossen, aber wieviel Geld man am Ende tatsächlich investiert, ist noch nicht entschieden. 

Der Interimsbau an den Wagenhallen soll jetzt ja auch kleiner und günstiger werden, als ursprünglich geplant. Statt 1.400 Plätze soll es nur noch 1.200 geben. Könnte man das Haus nicht noch kleiner machen?

Eine der große Herausforderungen von solchen Sanierungsprojekten auf der ganzen Welt ist, wie wir es schaffen, über die zehn Jahre Sanierung, die dieses denkmalgeschützte Heiligtum hier offensichtlich braucht, trotzdem ein Publikum zu erhalten, das dann wieder mit zurückkommt. Wir haben derzeit ja hervorragende Auslastungszahlen. Um das zu halten, müssen wir ein vielfältiges, abwechslungsreiches Programm bieten und dementsprechend auch möglichst viele Karten verkaufen können. Wir müssen auch die Chance nutzen können, neue Publikumsschichten anzusprechen. Da können sich ganz neue Energien entwickeln aus solchen Interimsgefühlen. Ob es sinnvoll ist, den Bau danach wieder abzureißen, ist eine andere Frage. 

Der Baubeginn für das Interim wurde kürzlich von 2026 auf 2028 verschoben. Es soll nun Ende 2032 fertig werden. Sie haben als Opernintendant zur Spielzeit 2018/19 angefangen. Wie war damals der Zeitrahmen?

Als ich 2016 zum zukünftigen Intendanten ernannt wurde, hat man mir gleich statt eines Fünf- einen Sechsjahresvertrag vorgelegt, damit ich den Wiedereinzug in den Littmann-Bau auch mitmoderieren kann. Man war sich sicher, dass man 2019 aus- und 2023 wieder einzieht. Es war damals beschlossene Sache, dass die Interimszeit im Postpaketzentrum stattfindet. Aber noch bevor ich meinen Job 2018/19 offiziell begonnen habe, wurde dieser Beschluss wieder abgesägt. Ich glaube, eine der Schwächen dieses Projekts ist, dass Leute manchmal ihre Meinung geändert haben. Das macht es weder billiger noch besser.

Wie hat sich Ihre Arbeit durch die mehrfache Verschiebung der Sanierung und des Interimsbaubeginns verändert?  

Weil wir ja lange im Voraus planen müssen, wurden Projekte, die auf diese erste Interimsplanung zugeschnitten und Zwischenlösungen waren, dann auch gezeigt. Wir haben mit Bartóks "Blaubart" im Postpaketzentrum angefangen und auch das Riesenprojekt der Messiaen-Oper "Saint François d’Assise" war noch der alten Planung geschuldet. Auch "Sancta" hätte gut in ein Interim gepasst. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich für ein Interim programmiere oder für einen Stammsitz. Seit 20 Jahren sagt man hier im Haus: In fünf Jahren müsst ihr ausziehen. Das hat natürlich Einfluss auf die Arbeit. Aber auch der schlechte Zustand des Opernhauses hat oft zur Folge, dass wir Projekte anders umsetzen müssen als geplant.

Können Sie Beispiele nennen, wie sich das im Arbeitsalltag der Oper bemerkbar macht?

Die Einschläge kommen näher. Vor drei Wochen sind auf der Hinterbühne einige hundert Liter Öl aus einem winzigen Leck der Hydraulik ausgelaufen. Zum Glück war an diesem Tag keine Vorstellung. Wir hätten absagen müssen. Die ganze Softwaresteuerung kommt ständig an ihre Grenzen. Während Verdis "Rigoletto" ist kürzlich irgendein Kabel der Durchrufanlage durchgeschmort. So konnte der Inspizient während der Aufführung die Leute nicht mehr pünktlich auf die Bühne rufen. Jemand musste in den dritten Stock hochrennen, um den Chor zu holen. Für die Mitarbeitenden sind solche Zustände sehr stressig und verunsichernd.

Symbol für die Diskussion über die Sanierung der Oper ist ja die sogenannte Kreuzbühne. Viele verstehen nicht, was eine Kreuzbühne bringt, warum man dafür 27 bis 35 Millionen Euro ausgeben soll.

Die Kreuzbühne ist beschlossen und in der Ausschreibung drin. Sie soll dafür sorgen, dass Oper und Ballett mit viel weniger Aufwand weiterhin 230 öffentliche Abendvorstellungen geben können. Der finanzielle Aufwand ist im Vergleich zu den Gesamtkosten der Sanierung mehr oder weniger zu vernachlässigen, da die Bühnentechnik ja ohnehin ausgetauscht werden muss. Dagegen schafft sie auf der Hinterbühne neuen Platz, um Bühnenbilder zu lagern, so dass man morgens ein Stück probieren und abends was anderes spielen kann. Die Bühnenbilder werden als Ganzes jeweils in einen der neuen Räume hineingeschoben und können am Stück auch wieder auf die Bühne gebracht werden. Das spart das Auseinander- und wieder Zusammenbauen, die Transporte zu den Außenzwischenlagern und damit viel Geld und CO2.

Das Eröffnungsjahr der sanierten Oper ist jetzt auf 2042 terminiert. Klingt futuristisch. Wie kann man heute sinnvoll planen, was eine Stadt dann für ein Haus braucht?

Ja, das ist ein Problem. Andererseits halte ich es für sicher, dass man dann in einer deutschen Residenzstadt wie Stuttgart immer noch eine gewisse Opernkultur pflegt. Einerseits ist die Welt wahnsinnig schnelllebig, andererseits muss es Orte geben, die ein bisschen entschleunigen. In Zeiten von Digitalisierung und KI stellen wir eine analoge Insel dar, die man als solche in ein paar Jahrzehnten vielleicht mehr schätzen wird als heute.

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