Der Landtagsabgeordnete Armin Bregger ist ehrgeizig. Nicht weil er als Minister wichtige Inhalte voranbringen könnte, sondern weil es dann einen Fahrer gibt, Einladungen von wichtigen Menschen und Untergebene. Damit sein Parteichef René Wilhelm Windig auf ihn, den bislang eher unauffälligen Staatssekretär aus dem Heimatministerium, aufmerksam wird, muss er auffallen. Die Idee: Er bekämpft den Nationalpark Schwarzwald. Dafür wird gelogen und eine Pseudo-Bürgerinitiative gegründet, die vor allem aus Beharrlichen besteht. Die Beharrlichen, das ist die C-Partei, die ewig die Regierung anführte, inzwischen aber nur noch Juniorpartner der Ökos ist. Deren Personal, darunter auch Vinzenz Stoll, Breggers Gegenspieler, ist auch nicht viel besser, vielleicht nur einen Zacken naiver, was das Politikergebnis nicht unbedingt besser macht.
Die Konstanzer Journalistin Gabriele Renz war lange landespolitische Korrespondentin in Stuttgart, von innen kennt sie die Landespolitik aus ihrer Arbeit als Pressesprecherin des baden-württembergischen Landtags. So wird ihr Roman besonders für Politkenner:innen auch zu einem fröhlichen Rätselraten: Der "Große Vorsitzende" ist natürlich an Winfried Kretschmann angelehnt, der junge Vorsitzende der Beharrlichen René Wilhelm Windig – trägt er nicht Züge von CDU-Spitzenkandidat Manuel Hagel? Aber wer soll wohl die intrigante Gerda Schafreiter der C-Partei sein? Die Biographie vom neuen Öko-Spitzenkandidaten wiederum ähnelt sehr der von Cem Özdemir. Dazu kommen Halbleiter, Abteilungschefs, Hinterbänkler:innen, Ehefrauen, Landräte – sie alle haben Einfluss auf die Landespolitik. Das ist nicht immer erfreulich, wirkt dafür aber umso realistischer. Nur die Guerilla-Aktion mit dem Borkenkäfer im Naturpark Schwarzwald, die ist selbstverständlich ebenso frei erfunden wie der Schlag mit dem Mikrofon. Kontext veröffentlicht Kapitel 6 als Auszug.
Borstige Zeiten
Um das Projekt Nationalpark kümmerte sich der Große Vorsitzende persönlich. Was dem Ancien Régime das Auto, war seiner Ökopartei die sich selbst überlassene Natur. Seine Leute in der Regierungsvilla waren vernarrt in solche Vergleiche. Das Marketing ließ keine Gelegenheit aus, wuchtige Sätze in den wenigen großen Zeitungen der Republik, die noch Auflage machten, zu lancieren. Sätze wie: »Wer das Artensterben mit dem Wegfall der A-Klasse vergleicht, versündigt sich an der Menschheit.« Die Getreuen hatten es noch nicht aufgegeben, ihren Chef als Hausherrn im Schloss Bellevue ins Gespräch zu bringen als einen Staatsphilosophen von Weltrang, einen Bundespräsidenten, der nah bei den Leuten war und trotzdem Platon von Heraklit unterscheiden konnte. Bedauerlicherweise musste sich der Großdenker aber gerade mit einem ziemlich profanen Problem herumschlagen: Der stellvertretende Vorsitzende des Umweltausschusses Stoll, ein Mann seiner Partei, hatte in der Fernseh-Talk-Runde »Zukunft Wald – Zukunft Mensch?« das Mikrofon so ungeschickt an den Beharrlichen-Kollegen Bregger weitergegeben, dass dieser seither mit einer durch Tamponaden aufballonierten Nase herumlief und Solidaritätsadressen entgegennahm. Der Vorfall vor laufender Kamera wuchs sich langsam zu einer Koalitionskrise aus. Er musste sich etwas einfallen lassen.
René Wilhelm Windig, der junge Parteichef der Beharrlichen, hatte umgehend die Gelegenheit genutzt, der Ökopartei auf seinen Plattformen eins mitzugeben: »Schöne Weltretter, die draufhauen, wenn Ihnen kein Argument mehr einfällt! Wir als Christen lehnen Gewalt als Mittel der Politik ab und hätten das eigentlich auch von unserem Koalitionspartner erwartet!« Die Bevölkerung werde sich ihren Reim darauf machen, setzte er nach.
»Das hat der sich doch nie und nimmer selbst ausgedacht! ›Mittel der Politik‹! Ausgerechnet der Windig will jetzt auch noch Clausewitz gelesen haben! Wir als Christen! Wer glaubt, wird selig!«
Der Große Vorsitzende drückte den Knopf ins Vorzimmer: »Den Stoll!«
Vinzenz Stoll hatte geahnt, dass es Ärger geben würde, auch wenn er die Sache mit dem Mikro im Grunde nicht bereute. Armin Bregger hatte in der Diskussion nur gezündelt. Nicht einmal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen konnte er ablassen von seinen Lügen. Man dürfe keine Pilze sammeln im neuen Nationalpark, keine Waldfrüchte, alles sei verboten, und das geschädigte Holz in den Pufferzonen sowieso unbrauchbar.
Trotzdem war es ein Unfall, ein blödes Missgeschick. Stoll ahnte den Gesprächsbedarf und hatte sich bereits auf dem Weg hinauf zur Villa gemacht, als das Vorzimmer anrief. Bereits zehn Minuten später drückte er den schweren Messinggriff der Eichentüre.
Der Große Vorsitzende kam gleich zur Sache: »Ausgerechnet in einer Fernsehdiskussion! Musste das sein, Stoll?«
»Ich bin nicht hingegangen mit der Absicht …«
»Barer Unsinn. Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will. Schopenhauer hat das sehr … lassen wir das! Was ist das mit Dir und dem Bregger?«
Stoll stand vor dem riesenhaften Schreibtisch und zwang sich, nicht die ganze Wahrheit zu erzählen. »Mich hat der Bregger in dem Moment provoziert mit seinem dümmlichen Gerede über Schadsoftware auf sechs Beinen und anderem Käse. Im Schwarzwald sammelt der schon seit Monaten Truppen, um sich Liebkind beim Windig zu machen. Der Bregger will nur den Breit als Minister beerben – wie ich höre, ich war ja nicht dabei, mit denselben Parolen wie vor Jahren. Wenn das so weitergeht, zerschießt der uns den Nationalpark komplett, nur weil er was werden will. Dann steht unser aller Bilanz auf dem Spiel. Du musst eingreifen!«
»Ihr baut den Bock und ich soll 's dann wieder retten. Bald habe ich die Schnauze voll, dann könnt Ihr Euren Mist alleine machen!«
»Amann war bei mir! Was der Josef von den Basisgruppen in Mittelbronn hört, spottet jeder Beschreibung. Flugblattaktionen, Vereinsgründungen, Geheimtreffen und weiß Gott noch was. Die Beharrlichen ziehen alle Register, den Leuten den Nationalpark madig zu machen. Auch die Bürgeranhörung zur Erweiterung der Schutzzone ist gekapert. Meine Referentin ist mal die Online-Kommentare durchgegangen. Derb, sag ich Dir – derb! Fun Fact: Fast alle Kritiker verstecken sich hinter Alias-Namen. Feige sind sie auch noch! Wenn ich Dir vorlese, was die da von sich geben …«
Aber der Große Vorsitzende stand schon zum Fenster gedreht. Er musste nachdenken. Die Bürgerversammlungen im Nordschwarzwald hatte er noch ungut in Erinnerung. Was war das für eine Zangengeburt! Die Beharrlichen wetterten gegen den Nationalpark und boykottierten, was das Zeug hielt. Den armen Borkenkäfer machten diese Ignoranten zum Kronzeugen der Verelendung ganzer Landstriche. Das reinste Armageddon beschworen sie herauf. Die letzte Entscheidungsschlacht! Wir waren viel zu nachsichtig mit denen, dachte er und ließ Stoll stehen. Bedächtigen Schrittes lief er über die Terrasse in den Garten, vorbei an den alten, gekünstelten Rosensorten, für die er sich nie erwärmen konnte, und unter der hundertfünfzig Jahre alten Hängebuche hindurch zum Unteren Platz. Vor der niederen Sandstein-Brüstung blieb er stehen und blickte, die Hände hinter dem Allerwertesten verschränkt, auf die Stadt.
Der Stoll lag richtig, aber klug war es nicht. Ein Hauen und Stechen um die Posten würde es ohnehin geben. Wenn die Beharrlichen erst Blut lecken … Diesen hochgeschossenen Jüngling, den sie da aus dem Nichts gezaubert hatten, durfte man nicht unterschätzen.
Seine Traudl hatte recht: Ein Riese von Mann, aber die Omas und die Enkelinnen würden ihm zu Füßen liegen. Weshalb nochmal? Schon wegen seiner Augen, sagte seine Frau. Die lägen eine Spur zu nah beieinander und wirkten neckisch. Neckisch! Das waren die Worte seiner Traudl. Und die nahm er ernst. Das allein brächte ein paar Prozent.
Es würde ungemütlich werden mit den Beharrlichen, dachte der Große Vorsitzende. Sie hatten schon einmal das Land aufgehetzt gegen das Schutzgebiet, hatten Bauern und Sägewerker zu ihren Bodentruppen gemacht und Harvester wie Panzer vor den Bürgerversammlungen postiert. Sie würden es wieder tun, wenn ihnen nichts anderes einfiele. Und davon war auszugehen.




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