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Vergessene Künstlerinnen

Die feinsten Arbeiten

Vergessene Künstlerinnen: Die feinsten Arbeiten
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Kunst war lange eine Männerdomäne. Schülerinnen des Stuttgarter Malers Adolf Hölzel arbeiteten in den 1920er-Jahren trotzdem erfolgreich. Dass sie in Vergessenheit gerieten, liegt vor allem am Nationalsozialismus.

Zu den Werken von Anne Pahl gab es nur ein einziges Mal einen Katalog. Im Jahr 1984, als Manfred Pahl, ihr Ehemann und selbst Künstler, die Werke seiner Frau das erste Mal einer Öffentlichkeit präsentierte. In einem Museum in Mainhardt-Gailsbach, das er eigens für sein und ihr Werk erbaut hatte. "In Stuttgart begann sie ganz neu als Bildhauerin", ist im Katalog zu lesen. "Und regte mit ihren Plastiken vor allem auch Oskar Schlemmer und mit ihren ebenfalls bald entstehenden großen Batikarbeiten auch Willi Baumeister zu einer Produktion auf diesem Gebiet an."

Plastiken und Batiken von Anne Pahl sind nicht erhalten. Die Aussage ihres Mannes erscheint dennoch nicht abwegig, hatte doch auch Lily Hildebrandt, eine Schülerin des Stuttgarter Malers Adolf Hölzel, ab 1908 an einem kubistischen Kopf gemalt, dem Schlemmer dann vier Jahre später mit einem eng vergleichbaren Selbstporträt nacheiferte. Manfred Pahl war im Alter von 17 Jahren Hölzels Meisterschüler geworden, seine spätere Frau im darauffolgenden Jahr nach Stuttgart gekommen, um bei Hölzels Assistentin Ida Kerkovius Unterricht zu nehmen.

Frauen ja, aber gerne nackt

"Die Kunst ist vom Mann für den Mann gemacht", hatte der einflussreiche Kunstkritiker Karl Scheffler 1908 in seinem antifeministischen Pamphlet "Die Frau und die Kunst" behauptet. Während die meisten Künstler den weiblichen Körper vorzugsweise ausgezogen als Objekt für Aktstudien ansahen, unterrichtete Adolf Hölzel ganz anders. Und er hatte viele Schülerinnen. Erst heute werden sie nach und nach wiederentdeckt.

Anne Pahl ist ein typischer Fall. Ihr Mann nahm sehr bald in seiner Karriere an Ausstellungen teil, verkaufte, erhielt Aufträge, gründete 1929 die Künstlervereinigung Stuttgarter Neue Sezession, ging dann aber nach Berlin, weil ihm Stuttgart zu eng geworden war. Noch im Alter von 80 Jahren erhielt er ein Stipendium der Villa Massimo in Rom. Gemälde verkaufte er zu dieser Zeit für fünfstellige Summen.

Anne Pahl hat zeitlebens immer gemalt, ihre Werke aber nie öffentlich ausgestellt. Es gibt dafür aber noch einen anderen Grund: Geboren als Anne Frank, stammte sie aus einer jüdischen Familie. Deshalb erhielt ihr Mann 1938 Berufsverbot. 1945 kam sie in ein jüdisches Frauengefängnis und er in ein Arbeitslager. Sie hatten Glück, beide überlebten, sie blieb aber vermutlich ihr Leben lang traumatisiert.

 "Dem Meister in größter Verehrung"

Bei Gertrud Koref verhielt es sich umgekehrt: Sie erhielt Berufsverbot wegen ihres jüdischen Mannes, des Arztes Fritz Koref. Es gelang ihnen, 1939 nach Paris und später in die Schweiz zu entkommen. Geboren 1889 als Gertrud Musculus, hatte sie 1911 ihr Studium bei Hölzel begonnen und 1917 den Maler Hermann Stemmler geheiratet. Doch ein Jahr später war sie schon wieder Witwe, da er im Krieg gefallen war. "Dem Meister in größter Verehrung" steht auf einer kubistischen Kreidezeichnung in Brauntönen. Sie gehört zu einer Gratulationsmappe zum 70. Geburtstag Hölzels, die sich heute im Kunstmuseum Stuttgart befindet. Fast die Hälfte der 30 Gratulant:innen sind Frauen. Vor den Männern braucht sich die Arbeit von Gertrud Stemmler, wie sie damals hieß, in Punkto Modernität nicht zu verstecken.

Ähnliches gilt für eine Zirkusszene von Hedwig Pfizenmayer. Die Tochter des Oberförsters von Bebenhausen war auf Empfehlung von Königin Juliane zum Studium nach Stuttgart gekommen. "Die feinsten und interessantesten graphischen Arbeiten dieser Ausstellung liefert Hedwig Pfizenmayer", schrieb ein Kritiker zu einer Gruppenausstellung 1928 im Kunsthaus Schaller. Drei Jahre später, in der Wirtschaftskrise, kehrte sie nach Bebenhausen zurück und lebte von da an auf niedrigstem Niveau von Kunst und kunsthandwerklichen Arbeiten.

Das Kunsthaus Schaller war damals in Stuttgart führend. Hans Otto Schaller, ein Enkel des Gründers, hatte 1911 die Hölzel-Schülerin Käte Härlin geheiratet, einen Ausstellungsraum angebaut und bereits 1914 eine erste Malerinnen-Ausstellung veranstaltet: unter anderem mit Paula Modersohn-Becker, der Pionierin moderner Kunst, die auch in Anne Pahl den Wunsch geweckt hatte, Künstlerin zu werden. Die Ehe währte nicht lange: Auch Hans Otto Schaller fiel dem Ersten Weltkrieg zum Opfer.

Damenklasse ab 1892

Im indischen Mangalore als Tochter eines evangelischen Missionars geboren, schlug sich Käte Schaller-Härlin nun allein durch. Wie viele andere Künstlerinnen hatte sie im Württembergischen Malerinnenverein, heute Bund bildender Künstlerinnen Württembergs (BBKW), angefangen und dann 1909 ein Semester bei Hölzel studiert. Sie wurde eine gefragte Porträtistin und erhielt durch den Architekten Martin Elsaesser zahlreiche Aufträge für Wandbilder und Glasfenster in Kirchen.

Hölzel war 1905 nach Stuttgart gekommen. Vom Architekten Theodor Fischer mit der Ausmalung der Pfullinger Hallen beauftragt, hatte er den Auftrag an seine Schüler weitergegeben: ausschließlich Männer. Aber an einer Sommerexkursion nach Pfullingen nahmen unter anderem auch die Schwedin Agnes Wieslander und Marusja Foell aus Odessa teil, ebenso wie Gertrud Alber und ihr späterer Mann Josef Eberz.

Seit 1892 konnten Frauen in Stuttgart in einer gesonderten Damenklasse studieren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts leitete diese der Genremaler Gustav Igler, der diese Tätigkeit wohl nur als Zubrot betrachtete. Jedenfalls ging die Zahl der Schülerinnen immer weiter zurück. Marusja Foell, Luise Deicher und Käthe Loewenthal waren die drei letzten, die noch bis 1910 ausharrten, als Hölzel die Klasse übernahm. Und sofort stieg die Zahl auf 16 Schülerinnen.

Alle drei konnten später von ihrer Kunst leben. Marusja Foell erhielt 1922 den Auftrag für ein nicht erhaltenes Wandbild im Speisesaal des Stuttgarter Hauptbahnhofs, das wartende Frauen zeigte. Nach ihrer Ehe mit dem Architekten Theodor Hiller im folgenden Jahr nannte sie sich Maria Hiller-Foell. Dank zahlreicher kirchlicher Aufträge war sie ökonomisch nicht von ihm abhängig. Doch nach 1933 verlieren sich ihre Spuren, bekannt ist lediglich, dass 1937 ein Werk von ihr aus dem Ulmer Museum beschlagnahmt wurde und sie 1943 starb.

Opfer des NS-Rassenwahns

Käthe Loewenthal, 1878 als Tochter eines Medizinprofessors in Berlin geboren, hatte bereits einen längeren Weg hinter sich, als sie 1910 in Hölzels Damenklasse eintrat. Vor allem ihren ersten Lehrer Ferdinand Hodler sieht man ihren gleichwohl sehr eigenständigen Landschaften an. Jüdischer Herkunft, war sie – wie Anne Pahl – zum Protestantismus konvertiert und kam möglicherweise wegen der Anthroposophie nach Stuttgart. Ihr Haus an der Uhlandshöhe steht noch. Bereits in der Schweiz emigriert, kehrte sie 1935 wieder nach Stuttgart zurück, um ihre kranke Malerfreundin Erna Raabe zu pflegen. Letztendlich war dies ihr Todesurteil: Sie fiel, wie Klara Neuburger und Maria Lemmé, zwei weitere jüdische Hölzel-Schülerinnen, dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer.

Lebendiger Lehrer

Adolf Hölzel war schon über 50 Jahre alt, als er 1905 an die Stuttgarter Kunstakademie berufen wurde. "Vielleicht nie hat die deutsche Kunst einen so lebendigen Lehrer gesehen", schwärmt 1920 der Schriftsteller Wilhelm Schäfer, "das hat der Residenz Stuttgart eine künstlerische Jugend gebracht, die eine Zeitlang nicht ihresgleichen in Deutschland hatte." 1882 hatte Hölzel in Paris die impressionistische Malerei kennengelernt. Er gelangte zu der Erkenntnis, dass es mit der Malerei alles ganz anders war als bis dahin angenommen und zog sich nach Dachau zurück. Grundlage des akademischen Studiums war normalerweise das Aktzeichnen. Frauen, die in Stuttgart schon relativ früh Kunst studieren konnten, durften daran nicht teilnehmen: aus sittlichen Gründen, hieß es. Für Männer spielte dies keine Rolle – es war eine reichlich sexistische Angelegenheit. Hölzel unterrichtete ganz anders. Er begann mit Lockerungsübungen, setzte seinen Studierenden dunkle Brillen auf die Nasen, damit sie lernten, die Umrisse der Landschaft zu abstrahieren, und hatte offenbar ein gutes Verhältnis zu seinen Schülerinnen. Sie kamen aus ganz Europa – unter anderem aus Odessa, Riga und Schweden.  (dh)

"In mir sind gerade 2 Naturen", hält Marie Polack 1917, während ihres Studiums bei Adolf Hölzel, in ihrem Tagebuch fest: "Die eine will ganz frei und unabhängig sein, nur arbeiten u. sich zu einer möglichst großen Höhe im Können bringen … die andere … möchte ihrem Hans eine ganz furchtbar nette u. eine feine stimmungsvolle urgemütliche Häuslichkeit schaffen." Ein Jahr später heiratete die Apothekertochter aus Schöntal an der Jagst den Chemiker Hans Sieger, folgte ihm nach Rheinfelden und Frankfurt, half ihm in der Weltwirtschaftskrise durch die Arbeitslosigkeit. Die Malerei gab sie dennoch nie auf, unterbrochen nur durch die Mitarbeit in der Apotheke ihrer Familie. Ihre erste Einzelausstellung fand 1971, ein Jahr nach ihrem Tod, in Schwäbisch Hall im Hällisch-Fränkischen Museum statt, wo sich seit 2003 auch ihr Nachlass befindet.

"Dieser Beitrag gleicht mehr einer Verlustanzeige als einer Künstlerbiografie", schreibt der 89-jährige Limburger Architekt Franz Josef Hamm im kürzlich erschienenen Sammelband "Stuttgarter Kunstgeschichten" über Gertrud Eberz-Alber, auch sie Apothekertochter. "Die Malerin war zu ihrer Zeit durchaus anerkannt", so Hamm, "und das Werk in ganz unterschiedlichen Publikationen behandelt, wenn auch oft mit Hinweis auf den Gatten Josef Eberz." Dem sie sich auch selbst unterordnete.

Der Hölzelschüler war 1918 Mitglied mehrerer revolutionärer Künstlergruppen und aktiv in der Münchner Räterepublik. Deshalb, und wegen seiner expressionistischen Malweise, geriet er 1933 ins Visier der Nazis, die 17 seiner Werke beschlagnahmten und ihm auch sonst das Leben schwer machten. Als er 1942 starb, lebte Gertrud Eberz-Alber gelähmt und in Pflege in Stuttgart. Nach dem Krieg ging es ihr etwas besser, doch sie erholte sich nie wieder ganz. Ohne Hamm, der mit dem Nachlass ihres Mannes auch 180 ihrer Aquarelle an die Kunstsammlung der Stadt Limburg vermittelte, wäre über sie noch viel weniger bekannt.

Heimliche Ausstellungen verbotener Kunst

Eine anerkannte Malerin war auch Marie Lautenschlager, die Schwester des Stuttgarter Oberbürgermeisters Karl Lautenschlager. Und das lange bevor sie 1919 bei Adolf Hölzel Privatunterricht nahm. Damals 60 Jahre alt, änderte sie noch einmal ihren Stil, von einer altmeisterlichen zu einer neusachlichen Malweise, und wurde für elf Jahre noch Vorsitzende des Württembergischen Malerinnenvereins.

Hanna Bekker, geboren als Hanna vom Rath, stammte aus einer wohlhabenden Familie. Ungefähr zur selben Zeit wie Anne Pahl nahm sie Unterricht bei Ida Kerkovius und heiratete dann den renommierten Musikkritiker Paul Bekker, später Intendant der Staatstheater von Kassel und Wiesbaden. Jüdischer Herkunft, emigrierte er 1933 über Paris nach New York. Derweil stellte Hanna Bekker in ihrer Berliner Atelierwohnung heimlich moderne Kunst von Alexej Jawlensky und Karl Schmidt-Rottluff aus, die sie in ihrem "Blauen Haus" in Hofheim im Taunus mit Sammlern zusammenbrachte. Nach dem Krieg war ihr Frankfurter Kunstkabinett eine der ersten Anlaufstellen für die zuvor verfemte moderne Kunst. Ihre eigene künstlerische Arbeit stellte Hanna Bekker vom Rath, wie sie sich ab 1947 in der Öffentlichkeit nannte, nie in den Vordergrund.
 

Noch bis Sonntag, 9. März läuft in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen die Ausstellung "Schwäbische Impressionistinnen", zu sehen sind Werke von Käte Schaller-Härlin, Maria Hiller-Foell und 13 weiteren Künstlerinnen.

Am 1. Mai eröffnet im Pahl-Museum Mainhardt-Gailsbach die Ausstellung zum 50-jährigen Bestehen, in einem Raum sind Werke von Anne Pahl zu sehen.

Mehr zu Lily Hildebrandt, Käte Schaller-Härlin, Maria Hiller-Foell, Luise Deicher, Käthe Loewenthal und Gertrud Eberz-Alber in: Stuttgarter Kunstgeschichten. Von den schwäbischen Impressionisten bis zur Stuttgarter Avantgarde, herausgegeben von Carla Heussler und Christoph Wagner, Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2022.

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