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Theater Lindenhof

Wenn Hebammen auspacken

Theater Lindenhof: Wenn Hebammen auspacken
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Das Theater Lindenhof in Melchingen spielt "Am Ursprung der Welt" – ein Stück, in dem Hebammen von einem Beruf im Wandel erzählen. Ein dokumentarisches Spiel über Schönes, aber auch über Gewalt im Kreißsaal.

Zu dritt stehen sie auf der Bühne, erzählen mal heiter, mal sehr emotional, manchmal verstörend. Sie sind Hebammen und sprechen über ihren Beruf. Sie berichten von der Geburtshilfe als einem alltäglichen Geschäft, von sehr unterschiedlichen Arten, auf die Welt zu kommen, von Traditionen, Veränderungen, Widerständen, Sichtweisen auf die Geburt – und sie erzählen von Männern, die manchmal überfordert sind.

Sagt ein Mann: "Nein. da will ich nicht hingucken, ich will mir das so in Erinnerung behalten, wie‘s war." Sagt die Hebamme: "Geht's noch?" – und erklärt: "Ich will denen mal so’n bisschen den Zahn ziehen, dass es in dem Moment keine Scheide oder Schamlippen sind, sondern der Geburtskanal und dass sie das einfach versuchen sollen zu trennen. Bei vielen hat‘s geklappt, die fanden das auch ganz witzig. Aber so der Großteil, der will von unten gar nix mitkriegen."

"Der Ursprung der Welt" heißt das Stück, das im November in Melchingen Premiere hatte. Jedes Wort, das auf der Bühne gesprochen wird, ist ein O-Ton. Das Theater Lindenhof interviewte zahlreiche Hebammen, montierte seinen Text schließlich aus drei Quellen. Drei Frauenfiguren treten auf, die unterschiedlichen Generationen entstammen, in verschiedenen Kontexten tätig sind, über jeweils andere Erfahrungen verfügen. Hannah Im Hof, Linda Schlepps, Rino Hosennen, zwei Schauspielerinnen und ein Schauspieler, spielen die Hebammen. Entstanden ist ein vielschichtiges und mitunter provokantes Portrait eines Berufes, das Fragen aufwirft.

Der Beruf wird aufgewertet

Hebammen als nichtärztliche Personen, die Frauen durch die Schwangerschaft begleiten, waren schon im Altertum bekannt. Im frühen 19. Jahrhundert entstanden erste Entbindungsanstalten und die Arbeit der Hebammen wurde bereits der Aufsicht akademischer, also männlicher Lehrer unterstellt. Diese Situation verändert sich erneut, aktuell auch in Deutschland: Die letzten Ausbildungsgänge für Hebammen enden, künftig wird ein Studium Voraussetzung für die Ausübung des Berufes sein – europaweit. Der Zugang wird auf diese Weise zwar erschwert, das Abitur Voraussetzung, aber die Position der Hebammen gestärkt.

Christa Spitzner ist freie Hebamme und gründete nach 16 Jahren Arbeit in der Klinik vor zehn Jahren das Geburtshaus in Tübingen Hagelloch. Das allererste Geburtshaus, als eine von Hebammen selbstständig betriebene Einrichtung zur Betreuung von Geburten, entstand 1987 in Berlin-Charlottenburg. Geburtshäuser verstehen sich als Schutzräume für Frauen, die ihre Schwangerschaft in eigener Erfahrung erleben möchten. "Frauen sind fähig, selbst zu gebären, und müssen nicht entbunden werden" – so ein Leitsatz des Tübinger Hauses.

Im Tübinger Geburtshaus arbeiten zehn Hebammen in der Geburtshilfe, 13 weitere besuchen Frauen im Wochenbett und bereiten sie auf ihre Geburt vor. Etwa 240 Kinder werden jährlich von den Hebammen zur Welt gebracht, davon etwa 180 im Geburtshaus und rund 60 als betreute Hausgeburten. In der Tübinger Frauenklinik, die ein großes Einzugsgebiet abdeckt, werden jährlich etwa 3.500 Kinder geboren. Die Weiterleitungsrate des Geburtshauses, also die Anzahl jener Frauen, die zur Geburt an eine Klinik überwiesen werden müssen, liegt bei 20 Prozent. Im Geburtshaus entscheiden sich bis zu 70 Prozent der Frauen für eine Wassergeburt, in einer Klinik sind es etwa fünf Prozent. Im Geburtshaus wird eine Frau individuell während ihrer ganzen Schwangerschaft begleitet. Große Kliniken verfügen über Monitore, Überwachungssysteme, die Betreuung der Frauen ist optimiert.

Keine Räucherstäbchenhebammen

Geburtshäuser stießen bei ihrer Entstehung auf mitunter starken Widerstand. Vieles hat sich seither gewandelt. "Früher wurden die Frauen regelrecht abgestraft, wenn sie eine Hausgeburt wollten", sagt Christa Spitzner. "Längst schon kommen die jungen Kolleginnen während ihrer Ausbildung zu uns ins Haus, lernen, wie wir arbeiten, und sehen, dass wir nicht irgendwelche Räucherstäbchenhebammen sind, sondern sehr fundiert an unsere Aufgaben herangehen und über ein gutes Qualitätsmanagement verfügen."

Negative Haltungen bei Ärzten, sagt Christa Spitzner, gebe es nach wie vor. "Die sagen zum Beispiel: Eine Hebamme schreibt nicht in meinen Mutterpass. Oder sie werfen eine Frau einfach raus, wenn sie sagt, sie möchte die Hilfe einer Hebamme in der Schwangerschaftsvorsorge. Es gibt auch Ärzte, die verlangen von den Frauen zu unterschreiben, dass sie keine Hebammenleistung in Anspruch nehmen." Aber es gebe auch Hebammen, die ihrerseits die Zusammenarbeit mit Ärzten verweigern. "Mir wäre es am liebsten, wenn beide Berufsgruppen sich an einen Tisch setzen und miteinander reden würden", sagt Christa Spitzner.

Allerdings glaubt die Hebamme auch, dass die Generation, die solche Vorurteile hegte, nun in Rente geht. Der gesamte Bereich, sagt sie, sei im Umbruch, die Arbeit der Hebammen werde durch das Studium entschieden aufgewertet, neue Handlungsspielräume kämen für sie hinzu. Seit zwei Jahren macht sich nun ein deutlicher Geburtenrückgang bemerkbar, auch im Geburtshaus. Christa Spitzner sieht den Grund in der weltpolitischen Lage: "Die Menschen sind zurückhaltender geworden bei der Familienplanung."

Das Studium jedoch gibt den Hebammen großen Aufschwung. Viele von ihnen werden anschließend Professorinnen und widmen sich der Lehre. Eine junge Frau, die ein duales Studium absolviert, im Tübinger Geburtenhaus die Praxis erlebt und in Stuttgart die Theorie lernt, sagt: "In meinem Jahrgang gibt es 13 Studentinnen und es werden mehr. Ich musste mich mehrmals bewerben. Ich glaube, dass viele junge Frauen Hebamme studieren möchten."

Auf der Bühne wird frei gelästert

Im Theater Lindenhof treten drei sehr unterschiedlichen Hebammen auf. Da ist die vom alten Schlag, die sehr pragmatisch und nicht zimperlich an ihre Arbeit geht. Die andere fühlt sich tief ein, beschreibt ganz schwärmerisch eine Wassergeburt. Die dritte arbeitete zuerst im Altenheim, ließ sich dann weiterbilden zur Geburtsvorbereiterin und erklärt im breitesten Schwäbisch: "Ja, verrückt, ich arbeite wirklich am Anfang und Ende vom Leben."

Letztere spielt der Schauspieler Rino Hosennen. Der tatsächliche Anteil an Männern in der Geburtsvorbereitung ist in Deutschland, im Gegensatz zum Beispiel zu den Niederlanden, sehr gering, auch weil Männer erst seit 1985 im Beruf zugelassen sind. Gegen die Bezeichnung "Entbindungshelfer" wehrten sie sich. "Sie fühlten sich diskriminiert", sagt Christa Spitzner. "Sie wollten ebenfalls Hebammen heißen und bekamen Recht. Wenn Männer aufbegehren, dann tut sich eben doch immer schnell etwas."

"Der Ursprung der Welt" ist ein Stück, das vollgepackt ist mit Informationen zu einem Beruf, über den man sonst – vor allem als Mann – nicht viel weiß. Aber das Stück ist auch Schauspiel, Charakterportrait. Da begegnet der Zuschauer drei Frauen, die daherreden, wie ihnen der buchstäbliche Schnabel gewachsen ist, die manchmal auch lästern über Ärzte, Kolleginnen, Männer und Frauen. Und die dabei immer wieder Themen ansprechen, die aufhorchen lassen.

Seit 2001 gilt der 25. November international als "Roses Revolution Day". Frauen legen an diesem Tag Rosen nieder vor Krankenhäusern, in denen sie im Rahmen einer Geburtshilfe Übergriffe erfahren haben. Gemeint sein kann verbale Gewalt, aber auch Eingriffe, die ohne Einvernehmen stattfanden, oder die Verweigerung von Schmerzmitteln. Im Theaterstück berichtet eine Hebamme von ihrer Ausbildung. Ein Gynäkologe fordert seine Schüler:innen auf, der Reihe nach die Vagina einer narkotisierten Frau zu betasten. Eine weigert sich, sagt: "Wenn ich das mitkriegen würde, dass Sie das bei mir machen, ich würde Sie verklagen. Ich muss nicht damit rechnen, dass ich in Narkose da liege und mir irgendwie zehn Ärzte die Finger in die Scheide stecken."

Christa Spitzner erlebte die Premiere des Stückes am Theater Lindenhof und war sehr berührt, wie sie erzählt. "Ich kannte alles, was dort gesagt wurde. Ich frage mich dabei aber auch, ob ich nicht auch schon selbst zur Täterin wurde. In einer Klinik ist man Teil einer Hierarchie, man muss bestimmten Regeln gehorchen, wenn man dort überleben will."


Die nächsten Aufführungen von "Am Ursprung der Welt" am Theater Lindenhof, Unter den Linden 18, 72393 Burladingen-Melchingen, sind am 28. Dezember, 2. Januar, 28. Februar und 2. März.

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