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Performance "fragile bodies" über Menschenhandel

Am Ende nichts als Scham

Performance "fragile bodies" über Menschenhandel: Am Ende nichts als Scham
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Der Mensch als Ware, versandt und benutzt: Die Performance "fragile bodies" bringt das Thema Menschenhandel auf die Bühne. Und benötigt dafür nichts weiter als einen Container und eine Geschichte, wie sie tagtäglich passiert.

Sie könne keine Limonade mehr sehen. Auch ihre Tochter bekomme nie Limonade, "nur Wasser", sagt Laura Becker mit klarer Stimme. In manchen Momenten wird sie brüchig, fragil. "fragile bodies" heißt die Peformance, für die die Schauspielerin in die Rolle einer serbischen Frau schlüpft, die falsche Versprechungen auf eine gut bezahlte Arbeit nach Deutschland locken. Dort erwartet sie Arbeitsausbeutung in einem Recycling-Werk für Pfandflaschen. Das Stück basiert auf einem wahren Fall – einem von vielen – und endet in einer Razzia und einem schleppenden Gerichtsverfahren.

Zwischen der Kulturinsel und den Backsteinhäusern steht mitten auf dem Marga-von-Etzdorf-Platz in Stuttgart-Bad Cannstatt ein dunkelblauer Container. Er passt ästhetisch gut zu der riesigen Baustelle direkt nebenan. Und er dient als Bühne für die Performance, die Ende Juli hier öffentlich vorgeführt wird. Eine Mischung aus Text und Tanz, Audiodateien der im Vorfeld geführten Interviews, zweisprachig, großteils auf Deutsch, manches auf Englisch. Keine Dialoge, die serbische Arbeiterin bleibt namenlos. Sie – verkörpert durch Laura Becker – erzählt ihre Geschichte. Das Publikum ist Teil des Ganzen, soll sich mitbewegen, in manchen Momenten mit in den Container gehen und sich in die vor allem aus Süd- und Osteuropa eingeschleusten Arbeiter:innen hineinfühlen.

Erst mal Schulden machen bei Freunden

Die serbische Frau ist gelernte Friseurin, sie kommt aus einer kleinen Stadt nördlich von Belgrad. Die Arbeitslosigkeit dort ist sehr hoch, erzählt Becker in ihrer Rolle im Stück, die Lebenshaltungskosten auch – fast genauso wie in Deutschland. Nur die Löhne sind viel niedriger. Sie hatte nie einen eigenen Laden, hat keine Arbeit, nur Gelegenheitsjobs, ab und zu kommen Kundinnen direkt zu ihr nach Hause. Es reicht, um sich und ihre Tochter gerade so über Wasser zu halten. Eines Tages erzählt ihr Nachbar von einem Jobangebot in Deutschland, gibt ihr eine Telefonnummer, sie ruft dort an: Es gehe um eine Getränkefabrik, was genau, erfahre sie vor Ort. Alles werde organisiert, von der Arbeitsbewilligung bis zur Unterkunft. Sie brauche keine Ausbildung, keine Deutschkenntninsse, es seien sowieso viele Serben dort. Er, der Mann am Telefon, arbeite als Fahrer für die Firma, könne deswegen die Hand dafür ins Feuer legen. Kosten: 50.000 Dinar, etwa 400 Euro, für die Fahrt und für die Papiere. Für sie heißt das: erst mal Schulden machen bei Freunden und Verwandten.

2022 wurden in Deutschland 34 Ermittlungsverfahren im Bereich der Arbeitsausbeutung abgeschlossen, es gab über 1.000 Opfer, zeigt das Bundeslagebild des Bundeskriminalamts – ein neuer Höchststand. Trotzdem sei weiterhin von einem großen Dunkelfeld auszugehen. "Wir sind nicht naiv. Auch nicht dumm", spricht Becker in der Rolle als serbische Arbeiterin direkt ins Publikum. "Denken Sie nicht: 'Das könnte mir nicht passieren.' Ziemlich gefährlich, so zu denken." In einer schwierigen Situation seien solche Angebote nun mal verlockend. Seit 2005 gilt Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft in Deutschland als Straftat. Die Paragrafen 232 und 233 des Strafgesetzbuches (StGB) verstehen darunter die "Ausnutzung" der "persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder Hilflosigkeit" eines Menschen oder das Anwerben einer Person, wenn diese "ausgebeutet werden soll". Ausbeutung liegt hingegen dann vor, wenn "die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis [...] stehen".

Ein Selfie als erstes Souvenir

Becker steht im blauen Container und blickt durch die offene Tür ins Freie. "Ich hatte einen Kloß im Hals, als ich die Tür hinter mir zugemacht habe. Aber irgendwie war ich auch stolz", erzählt sie im Namen der serbischen Arbeiterin. Hinter ihr steht die Tänzerin Kira Senkpiel und zieht ihr ein Kostüm aus Verpackungsmüll über, heftet es fest, sodass es eng an Beckers Körper anliegt. "Das Plastik liegt bereits im Titel der Performance", erklärt Senkpiel später. "Der Körper ist nicht mehr die Person, sondern wird im Menschenhandel zum Service oder zur Ware. Wie wir Waren einpacken, damit sie nicht kaputtgehen, so machen wir das ebenso mit den Menschen."

Dann setzt sich Becker, ihre Beine eng umschlungen, auf den Boden im leeren Container und fährt mit der Geschichte der serbischen Frau fort: An einem Samstagabend um 20 Uhr geht's los, mit neun weiteren angeworbenen Arbeiter:innen von Serbien nach Deutschland. Der Wagen ist vollgepackt mit Koffern, mit eingelegtem Fleisch, Konserven, Nudeln, um die Zeit bis zur ersten Entlohnung zu überbrücken. Sie halten das erste Mal hinter der österreichischen Grenze: Raststätte Donautal Ost. Hier macht die Arbeiterin ein Selfie. "Für alle, die mir Geld geliehen haben." Ihr erstes Souvenir aus Deutschland. Nach vielen Stunden erreichen sie ihr Ziel: Knittlingen.

"Menschenhandel mit Arbeitskräften – angelockt und ausgebeutet" titelt "ZDF Frontal" am 18. April 2023 einen Beitrag und bringt damit die 8.000-Seelen-Stadt im Nordschwarzwald in die bundesweite Presse. 150 Zwangsarbeiter:innen wurden dort vom Zoll entdeckt, heißt es im Beitrag. Untergebracht waren sie "in einem baufälligen Hotel voller Kakerlaken". In "fragile bodies" beschreibt Becker das "Hotel" als dreistöckiges Gebäude, sie schläft gemeinsam mit drei Frauen in einem Zimmer so groß wie der Container – sie zeigt auf den 12 Quadratmeter großen Innenraum. Pro Person, pro Schlafplatz zahlt jede 250 Euro. "Alles verdreckt und kaputt. Das Bad völlig versifft." Immerhin gibt es in ihrer Etage fließend Wasser. Den einen Flur mit lauter Männern meide sie, dort würde viel Alkohol getrunken, es gebe auch Gewalt. Der Mann, der ihr den Pass abgenommen hat, ist gemeinsam mit seiner Frau ihr Chef. Die Subunternehmer. Der eigentliche Unternehmer behauptet, er könne sich keinen Mindestlohn leisten, sonst hätte er kein Subunternehmen einstellen müssen. Doch "dem passiert ja nichts", sagt die serbische Arbeiterin im Stück.

Wissen, dass es die eigene Baustelle ist

Das findet Adelheid Schulz, die gemeinsam mit Senkpiel die Performance künstllerisch leitet, besonders perfide: "Dass die deutschen Unternehmer immer eine weiße Weste behalten." Tatsächlich soll im Knittlinger Fall dem eigentlichen Unternehmer nichts passiert sein, geht aus dem ZDF-Beitrag hervor. Der habe den Werkvertrag mit dem Subunternehmer nach der Razzia mit sofortiger Wirkung beendet und im späteren Ermittlungsverfahren lediglich Zeugenstatus gehabt. Der Beitrag diente dem Performance-Team als Recherchegrundlage. Eigene Recherchen führten sie nach Broumov, Tschechien, wo Pavla Jenková, die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts, Koordinatorin für Partizipation ist. Um die Geschichte der serbischen Frau in "fragile bodies" nachzuzeichnen, die es in tausendfacher ähnlicher Ausführung tatsächlich gibt, sprachen sie mit der Organisation "La Strada", die sich für die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Frauen einsetzt, mit Vertreter:innen der Roma-Community, mit Expats, die in Serbien wohnen. Sie besuchten Arbeiter:innen in einer Textilfabrik. "Das war schon sehr prekär", erzählt Senkpiel. Bereits nachmittags hätten viele Arbeiter nach Alkohol gestunken. In Deutschland hat das Team mit einer Polizistin gesprochen, die sich intensiv mit Menschenhandel befasst, und mit der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ). Nur an tatsächlich Betroffene seien sie nicht herangekommen. Ein rumänischer Berater vom FIZ, berichtet Schulz, habe erzählt, dass viele angeworbene Arbeitskräfte trotz Ausbeutung am Ende mehr verdienen als in ihrem Herkunftsland – deshalb ließen sie sich darauf ein. Diese Transporte aus Rumänien nach Deutschland, die gebe es die ganze Zeit, vor allem für den Bau. "Und die dürfen ja, ist ja schließlich EU", sagt Schulz.

Auf dem Gelände der Cannstatter Kulturinsel steht in Großbuchstaben an eine Wand gemalt: "Ohne Kunst und Kultur wird's still". Das wollen Schulz, Senkpiel und Co. verhindern: das Schweigen über die vielen Missstände. "Anfangen wahrzunehmen, sich überhaupt mal Gedanken zu machen. Sich erstmal vorstellen, woher die Produkte kommen, ist ein erster Schritt", sagt Schulz. "Und sich bewusst sein, es ist genau meine Baustelle, es ist der Bauarbeiter in meinem Bad", wirft Senkpiel ein.

Fall liegt auf Halde

Kisten schleppen, Flaschen sortieren: Glas, Plastik, Dosen – mit oder ohne Etikett. Die Schicht der serbischen Arbeiterin im Recycling-Werk beginnt um vier Uhr morgens, geht bis zu 14 Stunden, samstags auch, beschreibt Becker in ihrer Rolle. Im Sommer ist der Gestank der süßen klebrigen Getränke kaum auszuhalten. Ihre Schuhe pappen am Boden. Im Winter frieren sich die Arbeiter:innen die Finger und Zehen ab. Wer krank ist, muss Strafe zahlen. Das alles für 600 Euro im Monat. Sie esse nicht viel, um wenigstens 50 Euro nach Hause schicken zu können. Am Ende erzählt sie von der Razzia, wie es sie im April 2023 auch in Knittlingen gegeben hat.

"Der Fall aus Knittlingen ist super aufgedeckt und recherchiert, aber es kommt nicht zum Prozess", ärgert sich Schulz. Die Anklage gegen die Tatverdächtigen liege jetzt beim Landgericht Heilbronn, schreibt die dortige Staatsanwaltschaft auf Anfrage: "wegen des Verdachts des bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit gewerbsmäßigem bandenmäßigem Menschenhandel" und "wegen gemeinschaftlichen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt". Eine Angeklagte sei zwischenzeitlich verstorben, teilt das Landgericht auf Anfrage mit. Gegen die anderen beiden werde die Hauptverhandlung vorbereitet. Doch das Ganze "könnte angesichts des Umfangs der Akten, die aus mehr als 70 Stehordnern bestehen, auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen". Der Prozessbeginn sei deshalb nicht absehbar. Eine außergerichtliche Entschädigung für die Arbeitnehmer:innen gab es bisher nicht. Auch warten sie bis heute auf die Auszahlung ihrer letzten zwei Monatslöhne.

"Wir stecken unser Geld in den Getränkeautomaten oder kaufen Erdbeeren im Supermarkt, doch wir sehen die Arbeit dahinter nicht", sagt Schulz. Deshalb steht Becker am Anfang der Performance nicht sichtbar im geschlossenen Container. Ihre Stimme als Stimme der serbischen Arbeiterin gelangt über den Lautsprecher nach außen. "Alles wird besser, wenn ich in Deutschland bin. Es geht mit Recht und Ordnung zu. Gute Gesetze, die eingehalten werden. Ein gerechtes System. Das ist, was wir von Deutschland denken." Kurze Pause. "Gedacht haben." Am Ende, die Serbin ist mittlerweile wieder in ihrem Heimatland, liegt sie umwickelt mit Verpackungsmüll auf dem Boden. Was bleibt, sind Schulden und Scham. "Ich konnte meiner Tochter nicht mal Schokolade mitbringen."


Die Performance "fragile bodies" ist vom 25. bis 28. Juli zu sehen auf dem Marga-von-Etzdorf-Platz, Stuttgart-Bad Cannstatt. Mehr Infos hier.

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