"Rotting Hegel" nennen sie den Vorgang, in dieser Einfachheit kaum ins Deutsche zu übersetzen. Ähnlich wie das Motto ihres Programms für das Künstlerhaus: "Farm everything!" Alles wie landwirtschaftliche Produkte anbauen, säen, pflanzen, züchten: Das ist anders, als wenn ein:e Künstler:in ein Werk produziert. Es kommt noch etwas hinzu, was ohne menschliches Zutun passiert: die Arbeit pflanzlicher oder tierischer Akteure. "Rotting Hegel" wiederum impliziert mehr als ein bloß passives "Verrottenlassen": Es ist ein aktives Eingreifen, das die Verrottung herbeiführt.
Ideen säen vom Zentralmassiv bis Stuttgart
Wright, Kunsttheoretiker aus Vancouver, Kanada, dem man seine 60 Lebensjahre kaum ansieht, lebt seit 30 Jahren in Frankreich. Rossetti, 1976 in Kalifornien, USA, geboren, dokumentiert ihre künstlerischen Aktivitäten gern mit Aquarellen. Beide unterrichten an verschiedenen französischen Hochschulen und haben vor sechs Jahren im Zentralmassiv südlich von Limoges einen "Bauernhof in der Wildnis" gegründet – ihre "ferme au sauvage", ein 2.000 Quadratmeter großes Versuchsfeld der Landwirtschaft als künstlerische Praxis.
Das klingt nach idealistischen Träumereien, die unweigerlich auf eine harte Probe gestellt werden. Tatsächlich mussten die beiden schnell feststellen, warum das Ackern sprichwörtlich viel Arbeit steht – in diesem Fall zudem für wenig Geld. Sie gaben nicht auf und fanden eine Lösung: gehobene Küche, Farm-to-Table, mit selbst angebautem Gemüse. Das lief so gut, dass die Leute sagten: Warum stellt ihr für die Landwirtschaft nicht jemanden ein und konzentriert euch aufs Kochen? Sie dachten darüber nach, entschieden sich aber dagegen. Sie wollen keine Hierarchien.
Das Versuchsfeld von Rossetti und Wright ist nicht nur dafür da, Landwirtschaftsprodukte biologisch zu erzeugen. Sie wollen Ideen säen. Das impliziert einen weiten Radius, weit über ihr Dorf im Zentralmassiv hinaus. Als 2023 die Stelle der künstlerischen Leitung des Stuttgarter Künstlerhauses wie alle vier Jahre neu ausgeschrieben wurde, schickten sie eine Bewerbung. Ohne sich große Chancen auszurechnen. Doch unter 57 Bewerber:innen machten sie das Rennen.
Vier Beutel Austernpilze
Was die Berufungskommission überzeugt hat, war gerade der Vorschlag, nicht im üblichen Sinne Ausstellungen zu kuratieren, sondern sich als "usership coordinators" zu verstehen, die alle Aktivitäten der Nutzer:innen des Künstlerhauses koordinieren. "One usership", lautet ihr Slogan. Alle Nutzer:innen sind gleich: ob sie die Siebdruck-, Töpfer- oder Kinderwerkstatt benutzen, im Haus ausstellen, ein Atelier haben, oder dort angestellt sind. Keine Hierarchien.
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