Am Schreibtisch, sagt Walter grinsend beim Redaktionsbesuch, saß er wie an einem Mischpult: Wenn es einmal zu tiefgründig wurde, musste er die Ironie hochschrauben, sorgsam darauf bedacht, dass es nicht ins Alberne abdriftet. Walter, der unter anderem an der japanischen Universität Kanazawa Deutsch unterrichtet hat und viele Jahre als Lehrkraft an der Hochschule für Kunsttherapie in Nürtingen wirkte, warnt davor, dass es im Publikum immer Leute geben könnte, die einen Bluff durchschauen, erst recht, wenn es ein anspruchsvolles ist.
Ursprünglich angefertigt hat er seine Stücke für die Fotokolumne eines renommierten Magazins, wo sie von 2016 bis 2017 erschienen sind. Schon über die Erstveröffentlichung in der bekannten Bleiwüste namens "Merkur" schreibt Herausgeber Christian Demand: "Dass die Fotos aus Kostengründen ausschließlich schwarz/weiß gedruckt werden konnten, Farbwerte also grundsätzlich unter den Tisch fallen mussten, war einerseits misslich, sorgte andererseits aber auch dafür, dass die Text-Bild-Strecke im eindeutig typografisch dominierten Gesamtbild der Zeitschrift nicht als Fremdkörper wahrgenommen wurde." Und nun, in der gesammelten Schau der 24 Stücke, ermuntert die auf dem Werkpapier des Schlaufen-Verlags gegen das Absaufen ankämpfende Druckqualität der Bilder, bei der Betrachtung selbst zur Lupe zu greifen.
Vermutlich hat es dem Verfasser einigen Genuss bereitet, mit halbzuverlässiger Regelmäßigkeit die banalste Stelle in einem Text kursiv hervorzuheben, um vom Tiefsinn, der zwei Zeilen später lauert, abzulenken. Wo strapaziertes Schnaufen vorherrscht, weil den heutigen Lesegewohnheiten schon eine SMS-Länge als Drohung erscheint, sieht Walter die Zukunft der Schriftkultur in sprachlichen Brühwürfeln: also Konzentraten, die "den Spieß umdrehen und zeigen, dass solche Kurzformen nicht nur trivial und dispersiv, sondern durchaus auch 'dicht' sein können".
Ganz in diesem Geiste zeigt auch Kontext den Beitrag, mit dem die zusammenhangslose Serie ihren Anfang nahm.
Buchauszug: "Prosit"
Von Harry Walter
Fotos werden gemacht, um einen Augenblick für die Nachwelt festzuhalten. Die Nachwelt ist jedoch keine genaue Adresse, und der fotografierte Augenblick hat keine eindeutige Botschaft. Reißt der Erzählfaden ab, sagt also niemand mehr das ist der, die oder das, verlieren die meisten Fotos auf einen Schlag ihren Inhalt – oder aber sie entwickeln, nachdem der biografische Dampf abgelassen ist, aus zumeist unerfindlichen Gründen ein Eigenleben und füllen sich auf mit allem, was die Neugier an sie heranträgt. Dann fangen sie an zu knistern und irgendwie von sich selber zu handeln, also nicht mehr nur bloß von dem, was drauf ist, sondern immer auch von der Tatsache, dass sie Fotografien sind.
1 Kommentar verfügbar
Ully Bear
am 04.01.2023Was sie schon immer über Fotografie wissen wollten eine nicht technische Ergänzung