"Inhaltlich und künstlerisch sind Oper und Ballett selbst zukunftsentwerfend und ‑gestaltend", behaupten die Württembergischen Staatstheater in ihren selbst gestellten Fragen und Antworten zur Sanierung des Stuttgarter Opernhauses. Und: "Die Werke handeln von uns, von Menschen in besonderen Situationen und Konflikten."
Wirklich? Ein Blick in den aktuellen Spielplan: "Iphigénie en Tauride" von Christoph Willibald Gluck handelt von der Familiengeschichte der Atriden zur Zeit der Trojanerkriege. "Rigoletto", die Oper, die Giuseppe Verdi zum Durchbruch verhalf, wurde wegen der Zensur nach der 1848er-Revolution von einem französischen König auf einen fiktiven Herzog von Mantua umgeschrieben. "Boris Godunow", die Oper von Modest Mussorgski, handelt von einem Zaren um 1600: Menschen wie du und ich.
Um von dort aus in die Zukunft zu gelangen, behilft sich die Oper mit einem Trick: Sie strickt die Mussorgski-Oper zusammen mit einem Auftrag an den Komponisten Sergej Newski. Dieses Doppelprogramm "Boris" ist die erste Veranstaltung des Frühjahrsfestivals "Futur II". Futur zwei bedeutet: was gewesen sein wird. Von heute aus kann das Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft sein. Und schwuppdiwupp erhält die Neuinszenierung eines Werks von vor 150 Jahren eine futuristische Dimension.
Die Moderne misstraut musikalischem Pomp
Warum nicht einfach mit der Gegenwart anfangen? Nur fehlt diese weitgehend im Repertoire der Opernhäuser. Eine Aufführung des "Boris" ist aber zugleich Teil des Eclat-Festivals für neue Musik, das vom 5. bis 9. Februar in Stuttgart stattfand. Dabei kann zeitgenössische Musik in der Regel mit dem Format der klassischen Oper nur wenig anfangen, aus vielen Gründen: Den großen Erzählungen stand und steht die Moderne misstrauisch gegenüber, ebenso allem musikalischem Pomp. Das heißt freilich nicht, dass es in der Gegenwart kein Musiktheater gäbe.
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