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Der Feind in ihrem Bett

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In James Kents Film „Niemandsland“ spielt Keira Knightley die Frau eines britischen Besatzungsoffiziers, die sich im Nachkriegs-Hamburg in einen deutschen Architekten verliebt.

Der Krieg ist gerade ein halbes Jahr zu Ende, als die Engländerin Rachael (Keira Knightley) zu ihrem Mann Lewis Morgan (Jason Clarke), einem Colonel der britischen Besatzungsmacht, nach Hamburg reist. Er wartet schon auf dem Bahnsteig, sie gehen aufeinander zu, sie lächeln ein bisschen und umarmen sich, all dies eher höflich als herzlich. Nein, es ist kein stürmisches Wiedersehen, sogar der Kuss verrutscht, er landet nicht auf den Mündern, sondern gleitet auf seiner Backe ab ins Leere. Nun fährt das Paar in einer schweren Limousine an elenden Gestalten und endlosen Trümmerhaufen vorbei und Lewis erklärt seiner Frau, dass immer noch Tote gefunden werden und die Bombardements der Alliierten 25.000 Einwohnern der Stadt das Leben gekostet haben. Er scheint das zu bedauern, Rachael aber bleibt unbeeindruckt, sie hasst die Deutschen.

Und deshalb ignoriert sie die ausgestreckte Begrüßungshand von Stefan Lubert (Alexander Skarsgård), in dessen unbeschädigt-luxuriöser Villa am Elbufer Lewis Quartier bezogen hat. Der deutsche Architekt und seine halbwüchsige Tochter Freda werden allerdings nicht einem Auffanglager zugewiesen, der Colonel lässt sie trotz Rachaels Missbilligung weiter hier wohnen, wenn auch nun im Dachgeschoss. Anders als seine Kollegen nimmt der mit Entnazifizierung und Wiederaufbau betraute Lewis gegenüber den Deutschen eine verständnisvolle und fast freundliche Haltung ein, hinter vorgehaltener Hand wird er deshalb "Lawrence von Hamburg" genannt. Es ist fast schon ein geistiges Fraternisieren. Die physische Variante aber bleibt Rachael vorbehalten, sie wird sich in eine Affäre mit Stefan Lubert stürzen.

Schon das altmodisch-nostalgische Filmplakat, das vor dunklem Hintergrund eine glamouröse Frau zwischen zwei Männern zeigt, setzt den Ton für "Niemandsland": Der Regisseur James Kent will seine Dreiecksgeschichte als großes, schicksalhaftes Melodram inszenieren. Alle seine Protagonisten wurden aus ihren Bahnen geworfen, alle sind sie auf die eine oder andere Art kriegsversehrt.

Der auf Haltung bedachte Lubert, dessen Frau bei den Luftangriffen der Alliierten getötet wurde, hat sich eingeschlossen in eine Aura aristokratischer Traurigkeit. Seine Tochter fühlt sich zu einem jungen Nazi hingezogen. Rachael und Lewis wiederum haben ihr Kind bei den deutschen Attacken auf London verloren und danach auch sich selbst. Immer weiter driften sie auseinander, verkapselt in Befangenheit und stummen Schuldvorwürfen.

Während Lewis sich in seine Arbeit zurückzieht, streift Rachael melancholisch durch die großen Räume. Beobachtet auch mal Lubert durchs Fenster beim Holzhacken, weicht ihm auf der Treppe aus – und weicht ihm dann nicht mehr aus. Es passiert dann quasi nach Melo-Vorschrift, nämlich vor einem knisternden Kaminfeuer. Allerdings bleibt es zunächst beim Versuch, weil der Colonel früher kommt und das neue Liebespaar deshalb noch nicht. Pardon! Der Ton dieser Kritik hat sich gerade von dem des Films entfernt, solch frivole Formulierungen sind nicht kompatibel mit der in jeder Szene ernsten Intention des Regisseurs. Sie würden eher zu Billy Wilders im Nachkriegs-Berlin spielenden Film "Eine auswärtige Affäre" (1948) passen, in dem zwar auch von verbotenen Verhältnissen im besetzten Deutschland erzählt wird, dies aber nicht in einem Melodram, sondern in einer aufgeklärt-sarkastischen Komödie. Doch dies soll keine Kritik am Genre sein, nur an dessen Ausführung.

Figuren und Plot bleiben skizzenhaft

Dass James Kents zweisprachiger Film bei uns eingedeutscht wurde, so dass also Rachaels Personal in ihrer Hörweite über sie als "eine Made im Speck" lästern kann, trägt auch dazu bei, dass dieses "Niemandsland" oft steril wirkt. Die größeren Schwächen aber leistet sich die in sehr aufgeräumten Bildern inszenierte Geschichte schon in der Originalfassung. Wenn Rachael endlich nach erlösendem Orgasmus zu Lubert sagt: "Ich dachte, ich würde nie wieder so glücklich sein!", will diese Leidenschaft für den Zuschauer nämlich nicht recht zünden. Was weniger an den Schauspielern liegt denn an einem Drehbuch, das seine Figuren nicht zu lebendigen Charakteren entwickelt, sondern im fast schon Skizzenhaften belässt. Und das gilt leider auch für den Plot, in dem etwa eine Nazi-Werwolf-Verschwörung eher angerissen denn wirklich ausgeführt wird. Das thrillerhafte Finale wirkt aufgesetzt.

Diese Kritik hakt sich aber vor allem fest an der Figur des Stefan Lubert, der hier als guter Deutscher vorgestellt wird. War er im Widerstand? Nein, dies nicht. Aber er ist ein Architekt der Moderne, wie es ein im Dachboden herumstehendes Modell zeigt, und er preist auch das Bauhaus, mit dessen Möbeln er seine Salons bestückt hat. Als Rachael sich mal an den Steinway-Flügel von Luberts toter Frau setzt und Debussys "Clair de Lune" anspielt (und eben nicht Wagner!), klimpert sogar die bezopfte Freda mit. Diese Villa ist hier also ein Ort, mehr noch: ein Hort, dessen Besitzer sich sozusagen durch Kultur imprägniert hat gegen alles Böse. So fällt "Niemandsland" auf gefährlich naive Weise zurück hinter die Erkenntnis, dass Kultur und Faschismus sich keineswegs ausschließen. In diesem Film aber wird schon das Anhörungsverfahren gegen den aufrechten Lubert ("Wussten Sie von den KZs?") als Zumutung geschildert. Auf die Frage, ob die Bomben auf Hamburg auch seine Gesundheit oder die seiner Familie beeinträchtigt hätten, darf dieser rein gebliebene Kulturmensch dann auch trotzig-indigniert antworten: "Jawohl, die Gesundheit meiner Frau!"

Wenn die britischen Boulevard-Medien bis heute keine Gelegenheit auslassen, auf plumpe Weise alte Ressentiments gegen den Ex-Feind zu pflegen, so zeigt sich dieser Film in seinem Rückblick auf geradezu unheimliche Weise versöhnungs- und vergebungsbereit. Mehr noch: Man hat fast den Eindruck, als würde ein guter Deutscher den Engländern vergeben! Stefan Lubert, der Rachael einlädt, mit ihm in sein selbst gebautes und natürlich modernes Domizil im Alpenvorland zu ziehen, ist in dieser deutsch-britischen Dreierkonstellation jedenfalls der einzige, den keine Schuldgefühle plagen. Als Billy Wilder seine schon erwähnte Komödie "Eine auswärtige Affäre" drehte, ein brillantes, manchmal zynisches und eben nicht versöhnlerisches Stück, schaute er sich mit einem Assistenten Luftaufnahmen von Berlin an, auf denen ein Häuserblock nach dem anderen plattgebombt war. Er habe ein bisschen Mitleid mit den Deutschen, gestand der Assistent bei diesem Anblick. Wilder aber sprang auf und schrie voller Zorn: "Zur Hölle mit diesen Bastarden! Sie haben fast meine ganze Familie in ihren Öfen verbrannt! Ich hoffe, dass sie in der Hölle schmoren werden!" Für ihn war dieses Nachkriegs-Deutschland kein Niemandsland, sondern noch immer Nazi-Land.

James Kents "Niemandsland" ist ab ist ab Donnerstag, 11. April, in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, <link https: www.kino-zeit.de _blank external-link-new-window>sehen Sie hier.


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