Wo ist Lutz Kayser, der Mann, der in den 1970er Jahren die Welt mit einer privaten All-Eroberungs-Firma in Aufregung versetzte? Der Ingenieur, der auf seinem Testgelände in Afrika daran arbeitete, die Raumfahrt mit preiswerten Antriebssystemen zu revolutionieren? Der Raketenforscher, der berühmte Kollegen wie Wernher von Braun für seine Sache begeisterte, bald auch erfolgreiche Starts vorweisen konnte und dann von der Politik abrupt ausgebremst wurde? Nein, sie hätten nichts mehr von ihrem ehemaligen Chef gehört, sagen in Oliver Schwehms Dokumentarfilm "Fly, Rocket, Fly" frühere Mitarbeiter. Kayser sei abgetaucht, es gebe nur ein paar Gerüchte darüber, wo er sich jetzt aufhalte. Doch dann taucht Kayser buchstäblich wieder auf: Ein stattlicher älterer Herr, der sich vor seiner eigenen Pazifik-Insel im Meer treiben lässt, so dass es aussieht, als sei er schwerelos. Und schon sitzt er in seinem Haus am Strand und beginnt zu erzählen.
Es ist eine Abenteuergeschichte, in welcher der Regisseur nicht nur den kurz nach den Dreharbeiten gestorbenen Kayser und einige seiner Mitstreiter rückblickend zu Wort kommen lässt. Schwehm hat auch noch eine Unmenge von zeitgenössischem Bild- und Filmmaterial aufgetrieben, das er mit seinen aktuellen Interviews virtuos zusammenmontiert und mittels eines dynamischen Soundtracks vorantreibt. Oder auch hinauf: Denn Kayser und Co. sind ja Raketenmänner, sie richten ihre Blicke ins All. Aber ein bisschen Erde muss natürlich auch sein, und in Lutz Kaysers Fall ist sie sogar sehr regional: Er wird 1939 in Stuttgart als Sohn des Direktors der Süddeutschen Zucker AG geboren, sammelt mit Freunden in den Ruinen der Stadt Kriegsmunition und lässt das Pulver explodieren, macht am Karls-Gymnasium das Abitur und wird dann als Student der hiesigen Universität Mitglied einer Arbeitsgruppe für Raumfahrt und Raketentechnik.
Ein Bubentraum wird wahr. Raus aus der Vergangenheit und deren Trümmern, hinein in die Zukunft! Der Traum wird unterstützt von Raumfahrtforschern wie Braun oder Kurt Debus, die ihre Nazi-Vergangenheiten bei der NASA vergessen konnten, und finanziert wird er von der baden-württembergischen und der deutschen Regierung und zudem über eine Art frühes Crowdfunding, bei dem das berüchtigte Modell der Steuerabschreibung eine Rolle spielt. Kayser gründet nun die Orbital Transport und Raketen Aktiengesellschaft, genannt Otrag. Und weil die öffentlichen Gelder, unter anderem wohl wegen der europäischen Ariane-Konkurrenz, irgendwann nicht mehr richtig fließen und sich auch kein geeignetes Versuchsgelände findet, bricht er mit seinen Mitarbeitern auf nach Afrika.
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Wolfgang Zaininger
am 26.09.2018