Filme, die politische und gesellschaftliche Themen reflektieren, gab es immer beim Stuttgarter Trickfilmfestival, das vor 35 Jahre seine erste Auflage erlebte. Seitdem ist es gewachsen und läuft, nach anfänglich zweijährlichem Rhythmus, seit 2006 jedes Jahr. Ein dezidiert politisches Festival ist es deswegen nicht, aber eines, das dem künstlerischen, oft experimentellen Trickfilm gewidmet ist. Vor dem der Zuschauer auch mal ratlos zurückbleiben kann. Oder nachdenklich. Oder einfach amüsiert. Mit dem, was der gemeine Deutsche an Disney-Trickfilmen kennt, haben die gezeigten Werke jedenfalls meist nur wenig am Hut.
Durchaus politisch verstanden werden darf allerdings das diesjährige Motto "Animation without Borders", Animation ohne Grenzen. "In einer Zeit, in der wieder mehr über Grenzen als über deren Überwindung gesprochen wird, gilt es für ein Festival mit internationaler Ausrichtung, noch mehr zu verdeutlichen, wofür die Kunst der Animation steht: für Offenheit und Universalität, Kommunikation und Austausch", schreiben die beiden Geschäftsführer Dittmar Lumpp und Uli Wegenast im Vorwort des Festivalkatalogs. Das könnte man auch als Konsens-Prosa abtun, die bei der Zielgruppe ohnehin offene Türen einrennt. Andererseits: Selten fühlt sich Stuttgart so kosmopolitisch an wie in den sechs Festivaltagen, wenn sich Trickfilmschaffende aus allen Ecken des Globus durch die Innenstadt schieben.
Bei Festivalgründung gab es kaum deutsche Animationsfilme
International war das Festival schon bei seiner ersten Auflage 1982. Damals fand es im Planetarium statt, im dort untergebrachten Kommunalen Kino, und Internationalität war eine schiere Notwendigkeit: Es gab einfach zu wenig Animationsfilme aus Deutschland. Albrecht Ade, der Gründer des Festivals, leitete zu dieser Zeit und seit 1976 die erste Trickfilmklasse an der Stuttgarter Kunstakademie: "In der Klasse entstanden viele Animationsfilme, von denen einige auch auf Festivals in London oder Hiroshima liefen", so Ade. "Und da stellte sich irgendwann die Frage: Soll man die nicht einmal auch hier jemandem zeigen?" Die Stuttgarter Kinos allerdings hatten kein Interesse, erst beim Kommunalen Kino stieß Ade auf offene Ohren.
Er habe das Festival gegründet, "damit man sieht, was international und in Deutschland gemacht wird", sagt Ade. Kontakte zu Trickfilmern auch außerhalb des Landes brachte er schon aus seiner Zeit an der Werkkunstschule Wuppertal mit, an der er ab 1960 lehrte. 1964 hatte er Animationsfilmer aus Prag kennengelernt. Das sei die "Initialzündung" gewesen, wie er später sagte. Denn "der tschechische Trickfilm war damals die Spitze weltweit, Prag war die Stadt, in der die interessantesten Animationsfilme gemacht wurden." Ostkontakte während des kalten Krieges scheute Ade nicht. Viele seiner Verbindungen in osteuropäische Staaten, nach Polen oder nach Russland, entstanden auf dem Zagreber Trickfilmfestival Animafest, das 1972 gegründet wurde. Etwa zum großen russischen Animationskünstler Fjodor Chitruk (1917-2012), dem das diesjährige ITFS eine Hommage widmet.
Tragischer Vorteil: Das ITFS profitierte von den Balkankriegen
Das Animafest galt lange als das zweitgrößte Animationsfilmfestival Europas, hinter dem bis heute unangefochten größten im französischen Annecy. Zagreb habe Stuttgart auch durchaus als Konkurrenz betrachtet, sagt Ade, "und tragischerweise hat uns ausgerechnet der Jugoslawienkrieg hier einen Vorteil verschafft". Stuttgart zog vorbei.
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