In einem Aufruf auf Twitter an die New Yorker Bevölkerung fordert Donald Trump die 100.000 Obdachlosen der Millionenstadt auf, wegen der Corona-Epedemie zu Hause zu bleiben und viel Obst und Gemüse zu essen. Möglich, dass sich unsere Ordnungsträger bald mit einem ähnlichen Appell an die 750.000 hiesigen Wohnungslosen wenden. Die Sache mit dem Obst und Gemüse gilt naturgemäß eher den Hartz-IV-Empfängern, denn der Obdachlose als solcher hat ja keinen Ofen. Flüchtlinge andererseits, so die Klage derer ohne Dach, haben's trocken und warm, wenn auch zu fünft in einem Raum. Fehlt bloß noch die Empfehlung des Gesundheitsministers, wie oft im Asylbewerber-"Heim" die Unterhosen gewechselt werden müssen.
In der Vor-Corona-Zeit, als es noch Kultur gab, konnte man sich nächtens auf die Abluftkanäle vor der Stuttgarter Staatsoper legen und Schuberts Winterreise lauschen – der Liederzyklus war aber um halber Zehne vorbei. Ab dann konnte der Kunde aber noch zum Fläschle Wehmut greifen und im fahlen Nachtlicht am Eckensee das Programmheft aus der Hosentasche fummeln, das er immer für den nächsten Gang zum Abort bereithielt.
In der Werkbetrachtung zur Winterreise las er dort mit feinem Schmunzeln einen bescheidenen Teil der eigenen Lebensgeschichte – wie er allein, "schemenhaft singend, wandert durch fahle, düstere Winterlandschaften, ein Fremdling, ein Mensch ohne Heimat (...) ein unglücklich Verliebter, der weiterziehen muss ohne Ziel, allein mit seinen Träumen (...) ein Suchender, der sein Lebensschicksal selbst in die Hand nimmt." Er reißt das Blatt heraus und macht sich auf die Suche nach seinem Freiluft-Klo. Auch diese Sache muss er selbst in die Hand nehmen.
In der guten alten Zeit, vor Corona, als noch etwas Verlass war auf Sozialstaat und Grundgesetz, da hat er mit den anderen das Leben in die Stadt zurückgebracht, sich fürs Grün verkämpft, für Frauen- und Theaterhäuser, kommunale Wohnungen, Demokratie und Selbstbestimmung. Jetzt ist er an der Regierung, irgendwie, und sucht ein Klo ...
Der Deutsche an sich verachtet bekanntlich (noch) den chinesischen Weg in die Gesundheit, verscheuert den roten Brüdern lieber einen Mercedes mit edler Betrugssoftware und kriegt im Gegenzug Arzneien, virenhemmende Kittel und Schutzmasken – sofern er rechtzeitig bestellt hat. Hat er aber nicht. Über eine weltweite Corona-Pandemie hat das Robert-Koch-Institut schon 2013 dem Bundestag einen "Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz" vorgelegt, samt Warnung vor Engpässen und einem Massenanfall an Leichen (Bundestagsdrucksache 17/12051). Und jetzt? Systemrelevantes Versagen der Regierenden. Die Opposition sitzt in der Anstalt.
Diese Zeit hat aber auch ihre Qualitäten für alle unter 75. Für die Alten beginnt jetzt der Kalte Krieg: früher erben, schneller beten. In die Ruhe vor dem Sturm haucht der Heilige Vater sein Urbi et Orbi: "Wir können nicht ignorieren, dass unser Wirtschaftssystem tötet, weil es das Geld in den Mittelpunkt stellt."
Oha! Das könnt' von Omi Glimbzsch aus Zittau sein oder auch von mir. Sammelt Gedanken statt Unterschriften.
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter. Alle Wettern-Videos gibt es hier zum Nachgucken.
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