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Kontext-Sommerserie

Ciao!

Kontext-Sommerserie: Ciao!
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Die Freibadsaison 2025 steuert unweigerlich ihrem Ende zu – was bei unserem Autor schon jetzt Phantomschmerzen hervorruft.

Sommergedanken

"Was für ein schönes Angebot!", hieß es vielfach, als wir unsere Autor:innen für unsere Sommerserie anfragten. Ob sie nicht ein Thema hätten, über das sie schon immer mal schreiben wollten? Selbstverständlich. Angesichts konkfliktvoller Zeiten wird nicht alles leicht und luftig werden. Rassismus und Systemkritik kommen vor, Armut und Lachen, aber auch Sylt und sogar das Videospiel Counter-Strike. Zum Auftakt haben wir Don Eulogio, eine echte Type in Mexiko-Stadt, vorgestellt. Dann ließen wir uns von einer geheimnisvollen Postkarte entführen, begleiteten eine Frau, die Inklusion tagtäglich lebt, staunten über Zufälle und Weichenstellungen. Mit Counter-Strike holten wir aus zum Gegenschlag, wir sinnierten über Kapitalismus und gefräßige Raubtiere und nahmen Reißaus nach Sylt. Die achte und letzte Folge betrauert das Ende der Freibadsaison.  (red)

Wie werde ich sie vermissen! Die ganze Korona: angefangen bei der Schwätzbas' über das Krampfadergeschwader, den alles und jeden niederwalzenden Krauler, die Aquajogger, die Parfümbombe. All jene, die mir Sommermorgen für Sommermorgen mit unschöner Regelmäßigkeit so granatenmäßig auf den Wecker gegangen sind. Doch jetzt ist sie schon wieder vorbei, die wunderbare Freibadsaison 2025. Eigentlich unfassbar: Da regt man sich beinahe ein halbes Jahr lang künstlich übereinander auf – und kaum hat man alle endlich von der Backe, da meldet sich sofort der Phantomschmerz. Typischer Fall von Masochismus, klar. Aber der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier. Und wenn du es dir wegen der Körperertüchtigung zur Routine gemacht hast, jeden Morgen um dieselbe Uhrzeit mit der zweiten Frühschwimmerwelle in die Fluten zu hüpfen, dann hast du dich irgendwann halt auch an das eine oder andere Exemplar gewöhnt, das mit seiner absolut lichtundurchlässigen Sonnenbrille im Zickzackkurs durchs Chlorwasser pflügt und dir dabei genauso regelmäßig wie völlig überraschend in die Quere donnert.

Es war schon eine erstaunliche Entwicklung, die ich in diesem Sommer im städtischen Freibädle durchlaufen habe – also nicht nur in sportlicher Hinsicht (da selbstredend auch!), sondern vor allem in der Disziplin "Psychologie des Alltags". Denn kaum hatte ausgerechnet jene Sympathieträgerin, die gerade eben noch grußlos mit gesenktem Haupt an einem vorbeigeschlappt war, mit dem großen Zeh ihren Erstkontakt mit dem Schwimmbadwasser hergestellt, da schnappte ihr Sprechwerkzeug bereits grottenbreit auseinander, um hinfort nicht mehr stillzustehen, solange der Aufenthalt im kühlen Nass andauerte. So weit, so erstaunlich. Nur: Zum Tratschen gehören fatalerweise bekanntlich mindestens zwei. Besser aber noch drei oder gar vier Gleichgepolte. Und die sollten natürlich, wenn irgendwie machbar, auf maximaler Augenhöhe parlieren können, wg. besserer Übermittelbarkeit der neuesten Neuigkeiten aus der Welt der goldenen und rosaroten Blätter versteht sich.

Fußpilz: War das jetzt 1948 oder 1949?

Was im Fall des einsam seine Bahnen ziehenden Autors mit unschöner Regelmäßigkeit dazu führte, dass es mit der freien Bahn für freie Schwimmer ratzfatz vorbei war. Es war eine beeindruckende Phalanx aus munter diskutierenden Schwätzbasen, die sich sekundenschnell und undurchdringbar im Becken aufbaute und dabei ihre sämtlichen bereits überstandenen, als auch die noch zu überstehenden Krankheiten durchhechelte, beginnend spätestens beim Fußpilz anno 1948, "oder war das doch schon 1947?". Wann auch immer: Da war weder ein Durchkommen noch die Einsicht, dass es Zeitgenossen geben könnte, die ein Schwimmbecken zum Schwimmen benutzen wollen.

Nun zumindest auf der Außenbahn einen heldenhaften Abwehrkampf um die Wasserrechte zu starten, beispielsweise in Form wilder Wasserspritzer, erschien mir kurzzeitig erwägenswert – wenngleich im Hinblick auf die erdrückende personelle Übermacht der Tratschenden relativ aussichtslos. Erst recht, als sich zu allem Überfluss weitere Verstärkung für die Gegenseite in Gestalt der morgendlichen Aquajogger im Anmarsch befand. Und als aus der Ferne auch noch die Duftwolke der dauerparfümierten Uroma ruchbar wurde, habe ich die Segel gestrichen und mich flugs in die abgeteilte Sportbahn für die Triathleten verkrümelt. Wo mich keine zwanzig Sekunden später der erste Krauler kompromisslos unter Wasser getunkt hat. Die solchermaßen überbrachte Botschaft war eindeutig: ab mit dir in Richtung Kinderbecken – und dort geduldig ausharren, bis sich beim Geschwader im großen Becken die ersten blauen Lippen zeigen.

Was jetzt? Nase bohren?

Im Nachhinein betrachtet war es eine wunderbare Übung in Sachen Ausdauer und Geduld, um den permanenten Herausforderungen des Alltagslebens künftig mit neu gewonnener Coolness zu begegnen. Zugegeben: Es hat Wochen gedauert, bis ich jenen Pfad der meditativen Gelassenheit endlich erklommen habe. Und ausgerechnet jetzt ist Schluss. Ende der Saison! Pfff ...

Was also tun in den nächsten Monaten, wenn nicht Nase bohren? Mutmaßlich bleibt nur das Thermalbad. Was speziell in Stuttgart die Frage nach sich zieht: ins "Berg" oder ins "Leuze". Also zu den Unerschrockenen oder zu den Warmduschern? Wobei ich in letzterem auch schon wenig erbauliche Erfahrungen mit einer dauerquasselnden Wasserbarriere habe machen dürfen. Denn die Eiszeit, die auf meinen dezenten Hinweis folgte, dass die Mauer doch schon vor über 30 Jahren gefallen sei, hätte es mir jederzeit ermöglicht, künftig im Warmwasserbecken Schlittschuh zu laufen.

Ach, du schönes Freibad, Hort meiner allmorgendlichen Fitnessbestrebungen, wann sehen wir uns endlich wieder? Spätestens im nächsten Sommer – und bis dahin: immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel! Ciao!

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