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Arbeitspflicht für Asylbewerber:innen

Die CDU und die faulen Ausländer

Arbeitspflicht für Asylbewerber:innen: Die CDU und die faulen Ausländer
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Die Stuttgarter CDU will Asylbewerber:innen zur gemeinnützigen Arbeit für 80 Cent pro Stunde verpflichten. Freiwilligkeit habe bisher nicht funktioniert, argumentiert sie. Diejenigen, die solche Arbeitsplätze anbieten, zeichnen ein völlig anderes Bild.

Seit drei Jahren ist der 60-jährige Jeside im Asylverfahren, doch Deutsch spricht Jameel Alsilo so gut wie gar nicht. Trotzdem klappt die Kommunikation irgendwie. Wenn der Mann mit pechschwarzem Scheitel und dunklen Augen seinem Gegenüber eine Tasse für den Kaffee und eine Börekstange in die Hand drückt – auch wenn man eigentlich mit den Armen fuchtelnd dankend ablehnt –, ist die Botschaft klar: Iss und trink etwas. Er zeigt noch auf die zwei Kaffeekannen, stellt sicher, dass man sich auch wirklich Kaffee einschenkt, dann dreht er sich schon wieder um und macht sich wieder an die Arbeit. Es ist kurz vor 10 Uhr, die Stuttgarter Tafel in der Hauptstätter Straße hat gerade geöffnet, die Leute drängen hinein. Der gebürtige Iraker ist hier in einer sogenannten Arbeitsgelegenheit beschäftigt, schleppt Kisten, füllt Regale auf. 80 Cent pro Stunde bekommt er dafür als Aufwandsentschädigung, maximal 100 Stunden im Monat, macht insgesamt bis zu 80 Euro zusätzlich zu den Asylleistungen für ihn.

Wenn es nach den Stuttgarter CDU-Stadträt:innen ginge, sollten deutlich mehr Asylbewerber:innen in solchen "Weniger-als-ein-Euro-Jobs" wie Alsilo arbeiten. Oder vielmehr: müssen. "Arbeitspflicht statt Leerlauf" überschrieb die Fraktion einen Beitrag im Amtsblatt vom 7. August. Darin beklagt sie, dass nur 17 von 70 der Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber:innen Ende Juni belegt waren. Der Grund, so liest sich der Text, sei die mangelnde Freiwilligkeit der Aslybewerber:innen: "Gerade im Hinblick auf die häufig geäußerte Aussage, Asylbewerber würden 'gerne arbeiten, dürften aber nicht', stellt sich zunehmend die Frage, was passiert, wenn ihnen ein freiwilliges, niedrigschwelliges Angebot unterbreitet wird, das sie bis zur arbeitsrechtlichen Zulassung in Deutschland wahrnehmen könnten." Deshalb fordert die Union: Arbeitspflicht – oder das Ende des Programms. Einen entsprechenden Antrag reichte die Fraktion Anfang August ein, er soll im Verwaltungsausschuss besprochen werden.

Als im thüringischen Saale-Orla-Kreis der CDU-Landrat Christian Herrgott im Frühjahr 2024 Asylbewerber:innen zur Arbeit verpflichtete, sorgte das bundesweit für Schlagzeilen. Es hagelte Kritik von SPD und Linken sowie von Organisationen der Geflüchtetenhilfe. Pro Asyl sprach von "ausbeuterischen Verhältnissen", die Vorschläge grenzten an "Zwangsarbeit". Die Arbeitspflicht kam trotzdem. Wer sich weigerte, bekam die Leistungen gekürzt – um bis zu 180 Euro. Möglich macht das der fünfte Paragraf des Asylbewerberleistungsgesetzes, der bis dato kaum Anwendung fand. Demnach seien Asylbewerber:innen "zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet", die auch kommunale und gemeinnützige Träger anbieten können. Inzwischen sind einige Kommunen nachgezogen oder wollen bald eine Pflicht einführen. Vor wenigen Wochen verpflichtete Kornwestheim zwischen Stuttgart und Ludwigsburg den ersten Asylbewerber zur gemeinnützigen Arbeit für 80 Cent.

Nicht "mit Lasso fangen" müssen

Stuttgart soll mitziehen, wenn es nach der CDU geht. Dass nicht alle Asylbewerber:innen angesichts der nur 70 geschaffenen Plätze verpflichtet werden können, gesteht auch der Fraktionsvorsitzende Alexander Kotz auf Nachfrage ein. Aber mindestens die bestehenden Plätze sollten doch belegt werden, meint er am Telefon. Die Arbeitsgelegenheiten sieht er als "wichtigen Baustein der Integration", sie würden einen geregelten Arbeitsablauf liefern, beim Sprachelernen helfen. Und aus Arbeitgebersicht – Kotz führt ein Unternehmen für Haustechnik – würde er bei Bewerbungen eher denjenigen einstellen, der sich in solch einer Arbeitsgelegenheit engagiert hat. Die "handelnden Akteure", die mit den Asylbewerber:innen in Kontakt stehen – er meint Amt, Träger und Bekanntenkreis –, würden über ausreichend Möglichkeiten verfügen, um die Arbeitsgelegenheiten bekannt zu machen. Er betont, es brauche mehr Eigeninitiative seitens der Asylbewerber:innen, nicht mehr Werbung. In Kotz' Worten: "Ich will sie auch nicht mit dem Lasso fangen müssen." Bevor über Anpassungen beim Programm entschieden wird, wolle er aber den Bericht der Stadtverwaltung im Ausschuss abwarten. Das klingt dann doch abwägender als die eindeutige Forderung im Amtsblatt.

"Dass die Leute nicht arbeiten wollen, stimmt nicht", sagt die stellvertretende Projektleiterin der Stuttgarter Tafel Hilli Pressel. Der Iraker Alsilo steht beispielhaft dafür, dass sich Geflüchtete sehr wohl engagieren wollen: Er arbeite weit mehr als die 25 Stunden pro Woche, die er bezahlt bekommt, sagt Pressel. Die zusätzlichen Stunden leistet er dann unbezahlt als Ehrenamtlicher. Seit über einem Jahr engagiert er sich bei der Tafel, schon bevor die Stadt die Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber:innen geschaffen hat.

Erst im Dezember vergangenen Jahres hat der Stuttgarter Gemeinderat für die 70 Plätze bei der Tafel und den Sozialkaufhäusern der Caritas und Neuen Arbeit gestimmt. Der Beschluss fiel kurzfristig und vielmehr aus der Not heraus: Das Jobcenter musste wegen knapper Mittel viele Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose streichen. Damit die Kapazitäten der Sozialträger, deren Sozialarbeiter:innen für Betreuung zuständig waren, weiterhin ausgeschöpft werden, beschloss der Gemeinderat, die Stellen für Asylbewerber:innen zu schaffen.

Übergangsweise müssen die Sozialträger das Geld für die Betreuung der Asylbewerber:innen dieses Jahr noch beim Jobcenter beantragen, die 80 Cent Aufwandsentschädigung pro Stunde zahlt aber das Sozialamt, das eigentlich für Geflüchtete zuständig ist. Ab nächstem Jahr soll das Amt dann allein für die Arbeitsgelegenheiten zuständig sein, eineinhalb zusätzliche Stellen sind im Amt dafür vorhergesehen, außerdem sollen 130 Arbeitsgelegenheiten in Stuttgart hinzukommen.

Sozialträger widersprechen CDU-Darstellung

Alles in allem ein kompliziertes Geflecht. Hinzukommt, dass die Stuttgarter Tafel im Gegensatz zur Caritas oder Neuen Arbeit selbst keine Sozialarbeiter:innen beschäftigt, die Geflüchtete betreuen könnten. Hier springt die Gesellschaft für Jugendsozialarbeit und Bildungsförderung (GJB) ein. Dort ist Volker Kraft tätig. Was hält er von der Arbeitspflicht? Im Idealfall melde sich ein Asylbewerber freiwillig, sagt er, "manchmal helfe aber auch eine Ansage". Der bisher überschaubare Erfolg liege aber an der kurzfristigen Umsetzung durch die Stadtverwaltung. Außerdem nennt er als Herausforderung fehlende Werbemaßnahmen, etwa Flyer mit Übersetzung für diejenigen, die kein Deutsch sprechen. Aber letztendlich könne man "jemanden nicht fragen, warum er nicht kommt, wenn er nicht da ist". Man müsse eben Geduld haben, sagt er. Rückblickend lief es zwar zunächst schleppend, gesteht Kraft. Aber: "Nach den letzten ein, zwei Wochen bin ich immer zuversichtlicher." Vergangene Woche hätten sich an einem einzigen Tag zehn Interessenten über die Arbeitsgelegenheiten bei der Tafel erkundigt. Fünf oder sechs von ihnen, so schätzt Kraft, werden vermutlich auch wirklich anfangen. Er setzt auf persönliche Weiterempfehlungen in den Unterkünften.

Von anderen Sozialträgern kommen auf Nachfrage ähnliche Antworten. "Der Gemeinderatsbeschluss war erst kurz vor Weihnachten. Dann hat es einige Zeit gedauert, bis die Rahmendaten und die Abrechnungsprozesse mit der Verwaltung (Sozialamt) festgelegt waren", heißt es seitens der Caritas. Mittlerweile sei man dabei, das Angebot bekannt zu machen, aber auch das brauche Zeit, weil es keine etablierten Kommunikationswege zwischen den Sozialträgern und den Asylbewerber:innen gebe. Ein Sprecher der Neuen Arbeit schreibt: "Wir stellen fest, dass in der Anfangsphase die Abstimmung der beteiligten Akteure und der Weg von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Arbeitsbeginn noch recht mühsam war. In den letzten Wochen greifen die Bemühungen jedoch und wir stellen wirklich eine zunehmende Dynamik fest." Allein in den vergangenen zwei Wochen hätten sich zwölf Asylbewerber:innen bei der Neuen Arbeit gemeldet, die würden erfahrungsgemäß "in den meisten Fällen auch zu einem tatsächlichen Eintritt" führen. Die bereits in Arbeitsgelengeheiten tätigen Asylbewerber seien sehr motiviert und dankbar, arbeiten zu dürfen. Die Aussagen der Sozialträger laufen damit der Einschätzung des CDU-Fraktionschefs Kotz eindeutig zuwider.

Arbeitsgelegenheiten sind umstritten

Doch wie sinnvoll sind solche Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber:innen überhaupt? "Alles ist besser als in der Asylunterkunft rumzusitzen", sagt Hilli Pressel von der Tafel. Und auch Volker Kraft spricht von einem "integrativen Aspekt", etwa weil sie dort Deutsch lernen würden. Wer noch keinen Sprachkurs belegt habe, könne schließlich sonst noch nirgends arbeiten.

Doch nicht alle Sozialarbeiter:innen stehen gänzlich unkritisch hinter der Maßnahme. Dass deutsche Langzeitarbeitslose in Ein-Euro-Jobs 1,50 Euro pro Stunde bekommen, Asylbewerber:innen aber nur 80 Cent, sei "extrem diskriminierend", heißt es hinter vorgehaltener Hand. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!" Früher gab es tatsächlich mehr für Asylbewerber:innen, nämlich 1,05 Euro. 2016 senkte die schwarz-rote Bundesregierung mit dem "Integrationsgesetz", entworfen von Andrea Nahles (SPD) und Thomas de Maizière (CDU), die Aufwandsentschädigung um 25 Cent.

Der baden-württembergische Flüchtlingsrat geht mit seiner Kritik noch einen Schritt weiter. Am liebsten wäre der Organisation, das Asylbewerberleistungsgesetz würde komplett gestrichen. Es schaffe nämlich ein "Zwei-Klassen-System", sagt Bärbel Mauch vom Sprecher:innenrat, eine hauptamtliche Gewerkschafterin. Schließlich gebe es bereits das Sozialsystem, sprich Bürgergeld, das ein Existenzminimum sichern soll. "Warum gibt es Menschen, die noch schlechter eingestuft werden?", fragt sie und verweist auf die Geflüchteten aus der Ukraine, die schließlich auch Bürgergeld bekommen. Ihrer Ansicht nach sollte das für alle gelten. Finanzieren ließe sich das mit höheren Steuern für Reiche.

Am Sinn und Zweck verpflichtender Arbeitsgelegenheiten, "frühzeitig Struktur, Verantwortung und Teilhabe zu ermöglichen", wie die CDU schreibt, äußert sie große Zweifel. Die Geflüchteten seien schließlich "keine kleinen Kinder, denen ich Verantwortung beibringen muss". Auch die geringe Entschädigung von 80 Cent pro Stunde kritisiert Mauch: So ein "Taschengeld" für Arbeit sei nicht "wertschätzend". Stattdessen sollten denjenigen, die nicht arbeiten dürfen, Sprachkurse oder Programme angeboten werden, die Geflüchtete tatsächlich an die Gemeinschaft heranführen, beispielsweise Ausflüge in der Region. Oder Programme, die Mülltrennung und Kehrwoche erklären. Da sie Räume an eine syrische Familie vermietet, weiß Mauch aus erster Hand, dass das durchaus Probleme bereitet.

Forderung bleibt Symbolpolitik

Jameel Alsilo jedenfalls zeigt sich betont dankbar, wenn er auf seine Stelle bei der Tafel angesprochen wird. Er möchte etwas zurückgeben, weil Deutschland seine Familie aufgenommen habe, sagt er. Kritisch will er nicht werden. Eine Kollegin bei der Tafel, die 2001 aus dem Irak nach Deutschland kam und mittlerweile eingebürgert ist, übersetzt. In seinem Herkunftsland war Alsilo Taxifahrer. Diesen Beruf könne er ohne Deutschkenntnisse hierzulande nicht ausüben. Hilft da die Arbeitsgelegenheit beim Lernen der Sprache? "Soll ich mal meine Meinung sagen?", wirft dann die Kollegin ein. Jeden Tag treffe sie Alsilo bei der Tafel – beim Deutschlernen helfe es nicht. Und das sei eigentlich die wichtigste Voraussetzung, um einen regulären Job zu bekommen.

Ob solche Arbeitsgelegenheiten, geschweige denn eine Arbeitspflicht ein geeignetes Mittel zur Integration von Asylbewerber:innen ist, darf getrost angezweifelt werden. Am besten wäre es, wenn sie eine Stelle am ersten Arbeitsmarkt bekämen – da sind sich Flüchtlingsrat, Sozialarbeiter:innen und auch Alexander Kotz' CDU einig. Am Ende bleibt der Vorschlag seiner Partei Symbolpolitik, da eine Zustimmung im Gemeinderat ohnehin nicht erfolgen wird: FDP, Grüne, Puls, SPD/Volt und Linke/SÖS, die zusammen eine Mehrheit bilden, erklärten auf Anfrage, sie würden eine Arbeitspflicht ablehnen.

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