Es ist frühlingshaft warm an diesem Freitagnachmittag in Mannheim, am Eingang der Planken, der zentralen Fußgängerzone der Stadt, steht ein roter Container der Feuerwehr, davor sind Bierbankgarnituren aufgebaut. Vier Tage zuvor raste zur Mittagszeit des Rosenmontags ein 40-jähriger Mann mit hoher Geschwindigkeit vom Wasserturm kommend in die Planken, tötete dabei zwei Menschen und verletzte vierzehn teils schwer. Nun sitzen hier auf den Bierbänken Seelsorger:innen in lila Warnwesten und unterhalten sich mit Passant:innen. Diese breit aufgestellte und sichtbare Seelsorge ist neu in Mannheim nach Anschlägen. Auch ist der politische und der mediale Umgang dieses Mal komplett anders als bei der letzten Bluttat in der Stadt, die bundesweit Aufsehen erregte: dem Mord an dem Polizisten Rouven Laur im Mai 2024.
Zum Beispiel, was das Tatmotiv angeht. Als Laur am Mannheimer Marktplatz beim Messerangriff eines Mannes auf einen Stand der islamfeindlichen Pax-Europa-Bewegung ums Leben kam, wurde sehr schnell von einer islamistischen Tat gesprochen. Nach der Amokfahrt in Mannheim vergangene Woche gehen die Ermittlungsbehörden bisher davon aus, dass der deutsche Täter psychisch erkrankt ist. Eine politische oder religiöse Motivation schließen sie zurzeit aus. Dabei hat eine Recherche des antifaschistischen Recherchenetzwerks Exif schon einen Tag nach der Tat Hinweise offengelegt, dass der Täter Kontakt in die extreme Rechte hatte.
Mehrere rechtsextreme Kontakte belegt
Die Recherche belegt mit Fotos, dass der heute 40-Jährige 2018 bei einer Demonstration des Vereins "Wir für Deutschland" in Berlin teilnahm. Dort kamen circa 2.000 Rechte unter Mitorganisation der rechtsextremen Partei NPD, die sich mittlerweile in "Die Heimat" umbenannt hat, zusammen. Außerdem soll der Täter laut Exif zumindest Kontakt in die Reichsbürger-Szene gehabt haben, zu einer Gruppe namens "Ring Bund". Die wiederum ist gut vernetzt mit extrem rechten Größen wie dem Neonazi und "Die Heimat"-Bundesvorstand Thorsten Heise aus Thüringen, aber auch zum rechtsextremen Vorsitzenden der Thüringer AfD Björn Höcke.
2010 wurde der Amokfahrer zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er war angeklagt wegen gefährlicher Köperverletzung. Er soll eine Frau unter anderem mit einem Elektroschocker angegriffen haben. 2018 wurde er wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt.
Die Mannheimer Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigen diese Fakten und Hinweise, wollen sie nach eigenen Aussagen auch prüfen. Bislang scheinen sie den Ermittlungsbehörden aber zu lange her und daher eher unrelevant. Trotz der bekannten Hinweise betonte die Staatsanwaltschaft am vergangenen Mittwoch, dass es "nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen weiterhin keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der konkreten Tat ein extremistisches oder politisches Motiv zugrunde lag". Am gleichen Tag forderte der Mannheimer SPD-Landtagsabgeordnete Boris Weirauch dennoch Aufklärung über die rechten Verbindungen des Amokfahrers. "Es treten jetzt verstärkt Anhaltspunkte für eine Verbindung des Amokfahrers in die rechte Szene auf, die ungeachtet möglicher psychischer Auffälligkeiten politische Tatmotive nicht ausschließen", sagte Weirauch. "Das muss jetzt alles auf den Tisch."
Verengter Blick auf psychische Erkrankung
Der Thinktank Cemas (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) hat 2024 eine "Datenbank zum Rechtsterrorismus in Deutschland seit dem NSU" veröffentlicht. Darin schreiben die Wissenschaftler:innen, dass bei vermeintlich einzeln handelnden Täter:innen oft durch den engen Blick auf eine psychische Erkrankung die ideologische Überzeugung "heruntergespielt oder ganz verkannt" wird. Dabei können Menschen selbstverständlich rechten Ideologien anhängen und gleichzeitig psychisch krank sein. Was bei einer Analyse, die nur die psychische Erkrankung in den Blick nimmt, unter den Tisch fällt, ist, dass "die ideologische Motivation über die Auswahl der Anschlagsziele entscheidet". Das rechte Gedankengut der Täter ist also ausschlaggebend für "Planung, Vorbereitung und Ausführung".
3 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
vor 2 WochenIst es eine Ablenkung? Oder war es nicht in den 1970er Jahren so, dass mit dem Verweis auf die psychische Krankheit…