Haftantritt: Donnerstag, 21. März
Vor dem Jugendarrest haben sich Sympathisant:innen und Mitstreiter:innen versammelt, um mich zu verabschieden. Die Rufe der Versammlung draußen konnte ich leider nicht mehr hören, weil ich erst mehrere Stunden nachdem ich reingegangen bin, auf die Zelle komme. Die Versammlung muss aber irgendwas hinterlassen haben, Plakate oder Flugblätter. Denn am späteren Nachmittag höre ich in meiner Zelle ein Kind draußen mit fragender Stimme laut die Worte "ihr seid nicht allein" vorlesen.
Der Ablauf in Göppingen ist sehr durchgetaktet. Aufstehen muss man, je nach Wochentag, um 7:15 Uhr oder um 7:45 Uhr. Einschluss ist am Wochenende um 17 Uhr und unter der Woche um 20 Uhr, das bedeutet, dass man dann bis zum Morgen allein auf der Zelle eingesperrt ist. Dazwischen verschiedene, teils wiederkehrende Programmpunkte, wie zum Beispiel das Essen von Weißbrot mit 20 Gramm Margarine und Marmelade, das Mittagessen, der tägliche Hofgang.
Alles, was die Menschenrechte vorschreiben, also Essen, eine Stunde Hofgang und die sogenannte Freizeit, bei der man sich mit einer anderen Person für 1,5 bis 2 Stunden in einer Zelle einschließen lassen darf, gibt es auch am Wochenende und an Feiertagen. Sport und Aktivitäten zur "Resozialisation" wie Schule oder Gesprächsrunden gibt es nur unter der Woche von Ehrenamtlichen. Zwischen jeder Aktivität wird man, auch wenn es nur zehn Minuten sind, wieder in die Zellen geführt und eingeschlossen.
Tag 3, Samstag, 23. März
10 Uhr Hofgang: Ich gehe nochmal zurück, um meine Jacke zu holen. "Schlechtes Wetter" lautet die Ansage, aber eigentlich ganz normal für März: 8 Grad, Wind und Nieselregen. Ich bin froh über die Abkühlung. Ich hab bei Regen das Gefühl, näher an der Natur zu sein. Und Wind, der auf der anderen Seite der Mauer weht, lässt alles endlich echt und nicht wie eine Kulisse aussehen.
In der Haftzeit habe ich viel Zeit, Dinge vorzubereiten. Ich plane aus meiner Zelle per Briefpost eine Workshop-Woche vom 17. bis 26. Mai im Altdorfer Wald, für die wir europaweit mobilisieren und bei der wir ein breites kulturelles und aktivistisches Programm anbieten werden. Ich male mit meinen Holzstiften Plakate zum Aufhängen und für Social Media.
Wahrscheinlich wegen der großen Öffentlichkeit sind die Wärter*innen alle sehr darauf bedacht, keine Fehler zu machen. Wer hat schon Lust auf schlechte Presse? Ich merke, dass ich oft freundlicher behandelt werde als meine Mitgefangenen. Bestimmt, weil die Wärter*innen wissen, dass ich mich wehren, dass ich Anträge stellen kann, und wegen der großen Unterstützung von draußen.
Was im Vergleich zu den anderen Gefangenen den größten Unterschied für meine psychische Verfassung macht, ist der starke Support durch Mahnwachen, Massen an Post und Besuche, die Aktivist*innen von draußen organisieren. Ohne diese Unterstützung hätte ich vielleicht einen "Haftschaden" bekommen. Zumindest hatten die anderen immer Angst davor, ihn zu bekommen.
Tag 10, Ostersamstag, 30. März
Am Tag vorher haben die Aktivist*innen ein Karfreitagspicknick vor der Anstalt gemacht. Es ist krass, was für eine gute Stimmung und Dankbarkeit für die Mahnwache gestern da war. Bei der Mahnwache haben Menschen draußen wohl ein Schild mit "Musikwünsche" hochgehalten und meine Mitgefangenen haben durch Zettel oder Zeichensprache kommuniziert, welche Wünsche sie haben, die Lieder wurden dann abgespielt. Einer erzählte, dass er so ein neues Lied von seinem Lieblingskünstler hören konnte. Sie wollen unbedingt, dass es nochmal eine Mahnwache gibt. Vielen hier macht das Alleinsein sehr zu schaffen, sie reden immer wieder von Sachen wie "Haftschaden" und fürchten das Wochenende und Feiertage. Ich glaube, die Aktion hat ihnen sehr viel Kraft und Energie gegeben sowie Spaß gemacht. Sie haben, im Gegensatz zu mir, keine Solistrukturen, erhalten fast keine Briefe und wenig Verständnis von anderen für ihre Taten.
Gespräche über den Altdorfer Wald
Bei den Gesprächen mit den Mitgefangenen, beim Hofgang, beim Essen und bei den "Aktivitäten" erzähle ich viel über unsere Proteste und den Altdorfer Wald. Die Reaktionen: interessiert, mit einigen diskutierte ich über Autos (die sie gut finden), ein paar versprechen, zu uns in den Altdorfer Wald zu kommen.
Ich habe auch viel Zeit, darüber nachzudenken, wie ich an diesen Ort gekommen bin, wie ich gezwungen war, meinen Aktivismus auf eine immer radikalere Ebene zu heben, weil das bisherige Appellieren offensichtlich zu wenig gebracht hatte. So kam ich von Fridays for Future zum Klimacamp, zum Altdorfer Wald und dann in den Knast.
Tag 11, Ostersonntag, 31. März
Der Frühling schreitet auch voran. Die Knospen der Linde, die am Amtsgericht stehen, gehen schon auf. Hoffentlich dauert es noch ein bisschen, bis die restlichen und vor allem die Knospen im Altdorfer Wald aufgehen. Diesen Moment will ich unbedingt miterleben. Er ist einer der schönsten im Jahr.
Der Kampf für Klimagerechtigkeit ist mir so wichtig, dass ich es okay finde, dafür in den Knast zu gehen. Ich persönlich werde mich davon nicht einschüchtern lassen, weil es weiterhin wichtig ist, dafür zu kämpfen, dass die Existenzgrundlagen von Menschen und Umwelt nicht zerstört werden.
Vermutlich ist es sogar unklug, hier zu verkünden, dass mich das Gefängnis nicht einschüchtert – zukünftige Richter*innen werden sich womöglich denken, dass ich eben länger weggesperrt werden müsse, um mich endlich regelkonform und wie ein "guter" Bürger zu verhalten. Aber wie kann ich mich denn regelkonform verhalten, während Großkonzerne, Regierungen und die ganze westliche Gesellschaft alle moralischen und menschlichen Regeln brechen und damit Tieren, Ökosystemen und Menschen riesiges Leid zufügen? Wäre es nicht fatal, wenn wir alle uns ducken und einfach "normal" weitermachen?
Tag 12, Ostermontag, 1. April
Am Ende ist die Solidarität, wie ich sie gerade erlebe, auch eine Ermutigung für alle anderen, die sich bei ihren Aktionen sicher sein können, dass auch sie große Solidarität erfahren werden, falls sie doch mal in Haft kommen.
Ich frage mich, wie es sein kann, dass Verbrechen an der Menschlichkeit und der Erde nicht verhindert oder verfolgt werden, aus dem einfachen Grund, dass sie unter dem Deckmantel der Normalität, des Anstands und mit viel Geld geschehen. Verbrecher*innen in Anzügen sind vor den Gerichten in den meisten Fällen sicher. Wer hingegen die zerstörerische Ordnung kritisiert, wird weggesperrt. Man kann aber keine Bewegung wegsperren. Es muss aufhören, dass im globalen Süden durch neokoloniale Strukturen auf extrem menschen- und umweltschädliche Weise Ressourcen für den vermeintlichen Wohlstand des globalen Nordens abgebaut werden.
Angesichts der unmessbaren Ungerechtigkeit, die Großkonzerne und die Staaten des globalen Nordens in der Welt und vor allem im globalen Süden verbrechen, hat sich jede der gegen uns verhängten Repressionen für Proteste gelohnt. Und wenn staatliche Strukturen ihre eigenen Positionen zu Meinungsfreiheit und Demokratie durch ihr Handeln gegen uns als Lippenbekenntnisse entblößen, zeigt uns das, dass wir sie an der richtigen Stelle kritisiert haben.
Tag 13, Dienstag, 2. April
Ich habe in einem der großen Briefe viele gleiche Bilder mit einem Blumenstrauß und einem Holzstück davor, in dem "Du bist nicht allein" eingebrannt ist, bekommen. Sie kommen von meiner Mutter und ich soll sie an alle verteilen. Die Mitgefangenen freuen sich sehr, das habe ich so nicht erwartet. Ich dachte, sie finden das kitschig. Ich gehe auch verbotenerweise in den anderen Essensraum und verteile sie dort.
4 Kommentare verfügbar
Gärtnerin
am 19.04.2024die Mehrheit der Menschen in diesem Land versuchen, immer häufiger werdende Extremwetterereignisse und deren Folgen so weit wie möglich aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen. Seid dankbar dafür, dass es dagegen (hoffentlich immer mehr) Protest gibt.
Und zum Glück…