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Ravensburger Umweltaktivist im Knast

Die Solidarität trägt

Ravensburger Umweltaktivist im Knast: Die Solidarität trägt
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Eine Erfahrung, die es in sich hat: 15 Tage saß Samuel Bosch, 21, im Jugendarrest in Göppingen, bis das Verfassungsgericht anordnete, ihn freizulassen. Der Umweltaktivist war wegen eines Protestbanners eingesperrt worden. Für Kontext hat er seine Gedanken in der Haft aufgeschrieben.

Nachdem sich die Türen am 21. März hinter mir schlossen, begann meine Bestrafung. Ich machte viele neue Erfahrungen, aber es war vor allem trist und beengend. In den ersten Tagen war ich nicht so gut drauf, saß ziemlich traurig in meiner Einzelzelle. Ich hatte mir zwar einige Aufgaben mitgenommen, aber ohne schnelle Kommunikation und fast ohne äußere Reize kam ich anfangs zu nichts, obwohl ich nichts zu tun hatte. Der Wechsel von einem unregelmäßigen Alltag mit vielen Begegnungen und immer unterschiedlichen Erlebnissen, wie ich ihn sonst genieße, hin zu einem sinnlosen tristen Tagesablauf war gravierend.

Ausgabe 680 vom 10.4.2024

Ein Urteil für die Meinungsfreiheit

Von Wolfram Frommlet

Erst versteckte er sich, dann trat er seine Haft in Göppingen zu einem ihm passenden Termin an, nun musste er über Nacht freigelassen werden. Samuel Bosch, Klimaaktivist aus Ravensburg, hat gegen seine bayerischen Richter einen formidablen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten.

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Haftantritt: Donnerstag, 21. März

Vor dem Jugendarrest haben sich Sympathisant:innen und Mitstreiter:innen versammelt, um mich zu verabschieden. Die Rufe der Versammlung draußen konnte ich leider nicht mehr hören, weil ich erst mehrere Stunden nachdem ich reingegangen bin, auf die Zelle komme. Die Versammlung muss aber irgendwas hinterlassen haben, Plakate oder Flugblätter. Denn am späteren Nachmittag höre ich in meiner Zelle ein Kind draußen mit fragender Stimme laut die Worte "ihr seid nicht allein" vorlesen.

Der Ablauf in Göppingen ist sehr durchgetaktet. Aufstehen muss man, je nach Wochentag, um 7:15 Uhr oder um 7:45 Uhr. Einschluss ist am Wochenende um 17 Uhr und unter der Woche um 20 Uhr, das bedeutet, dass man dann bis zum Morgen allein auf der Zelle eingesperrt ist. Dazwischen verschiedene, teils wiederkehrende Programmpunkte, wie zum Beispiel das Essen von Weißbrot mit 20 Gramm Margarine und Marmelade, das Mittagessen, der tägliche Hofgang.

Alles, was die Menschenrechte vorschreiben, also Essen, eine Stunde Hofgang und die sogenannte Freizeit, bei der man sich mit einer anderen Person für 1,5 bis 2 Stunden in einer Zelle einschließen lassen darf, gibt es auch am Wochenende und an Feiertagen. Sport und Aktivitäten zur "Resozialisation" wie Schule oder Gesprächsrunden gibt es nur unter der Woche von Ehrenamtlichen. Zwischen jeder Aktivität wird man, auch wenn es nur zehn Minuten sind, wieder in die Zellen geführt und eingeschlossen.

Tag 3, Samstag, 23. März

10 Uhr Hofgang: Ich gehe nochmal zurück, um meine Jacke zu holen. "Schlechtes Wetter" lautet die Ansage, aber eigentlich ganz normal für März: 8 Grad, Wind und Nieselregen. Ich bin froh über die Abkühlung. Ich hab bei Regen das Gefühl, näher an der Natur zu sein. Und Wind, der auf der anderen Seite der Mauer weht, lässt alles endlich echt und nicht wie eine Kulisse aussehen.

In der Haftzeit habe ich viel Zeit, Dinge vorzubereiten. Ich plane aus meiner Zelle per Briefpost eine Workshop-Woche vom 17. bis 26. Mai im Altdorfer Wald, für die wir europaweit mobilisieren und bei der wir ein breites kulturelles und aktivistisches Programm anbieten werden. Ich male mit meinen Holzstiften Plakate zum Aufhängen und für Social Media.

Wahrscheinlich wegen der großen Öffentlichkeit sind die Wärter*innen alle sehr darauf bedacht, keine Fehler zu machen. Wer hat schon Lust auf schlechte Presse? Ich merke, dass ich oft freundlicher behandelt werde als meine Mitgefangenen. Bestimmt, weil die Wärter*innen wissen, dass ich mich wehren, dass ich Anträge stellen kann, und wegen der großen Unterstützung von draußen.

Was im Vergleich zu den anderen Gefangenen den größten Unterschied für meine psychische Verfassung macht, ist der starke Support durch Mahnwachen, Massen an Post und Besuche, die Aktivist*innen von draußen organisieren. Ohne diese Unterstützung hätte ich vielleicht einen "Haftschaden" bekommen. Zumindest hatten die anderen immer Angst davor, ihn zu bekommen.

Tag 10, Ostersamstag, 30. März

Am Tag vorher haben die Aktivist*innen ein Karfreitagspicknick vor der Anstalt gemacht. Es ist krass, was für eine gute Stimmung und Dankbarkeit für die Mahnwache gestern da war. Bei der Mahnwache haben Menschen draußen wohl ein Schild mit "Musikwünsche" hochgehalten und meine Mitgefangenen haben durch Zettel oder Zeichensprache kommuniziert, welche Wünsche sie haben, die Lieder wurden dann abgespielt. Einer erzählte, dass er so ein neues Lied von seinem Lieblingskünstler hören konnte. Sie wollen unbedingt, dass es nochmal eine Mahnwache gibt. Vielen hier macht das Alleinsein sehr zu schaffen, sie reden immer wieder von Sachen wie "Haftschaden" und fürchten das Wochenende und Feiertage. Ich glaube, die Aktion hat ihnen sehr viel Kraft und Energie gegeben sowie Spaß gemacht. Sie haben, im Gegensatz zu mir, keine Solistrukturen, erhalten fast keine Briefe und wenig Verständnis von anderen für ihre Taten.

Gespräche über den Altdorfer Wald

Bei den Gesprächen mit den Mitgefangenen, beim Hofgang, beim Essen und bei den "Aktivitäten" erzähle ich viel über unsere Proteste und den Altdorfer Wald. Die Reaktionen: interessiert, mit einigen diskutierte ich über Autos (die sie gut finden), ein paar versprechen, zu uns in den Altdorfer Wald zu kommen.

Ich habe auch viel Zeit, darüber nachzudenken, wie ich an diesen Ort gekommen bin, wie ich gezwungen war, meinen Aktivismus auf eine immer radikalere Ebene zu heben, weil das bisherige Appellieren offensichtlich zu wenig gebracht hatte. So kam ich von Fridays for Future zum Klimacamp, zum Altdorfer Wald und dann in den Knast.

Tag 11, Ostersonntag, 31. März

Der Frühling schreitet auch voran. Die Knospen der Linde, die am Amtsgericht stehen, gehen schon auf. Hoffentlich dauert es noch ein bisschen, bis die restlichen und vor allem die Knospen im Altdorfer Wald aufgehen. Diesen Moment will ich unbedingt miterleben. Er ist einer der schönsten im Jahr.

Der Kampf für Klimagerechtigkeit ist mir so wichtig, dass ich es okay finde, dafür in den Knast zu gehen. Ich persönlich werde mich davon nicht einschüchtern lassen, weil es weiterhin wichtig ist, dafür zu kämpfen, dass die Existenzgrundlagen von Menschen und Umwelt nicht zerstört werden.

Vermutlich ist es sogar unklug, hier zu verkünden, dass mich das Gefängnis nicht einschüchtert – zukünftige Richter*innen werden sich womöglich denken, dass ich eben länger weggesperrt werden müsse, um mich endlich regelkonform und wie ein "guter" Bürger zu verhalten. Aber wie kann ich mich denn regelkonform verhalten, während Großkonzerne, Regierungen und die ganze westliche Gesellschaft alle moralischen und menschlichen Regeln brechen und damit Tieren, Ökosystemen und Menschen riesiges Leid zufügen? Wäre es nicht fatal, wenn wir alle uns ducken und einfach "normal" weitermachen?

Tag 12, Ostermontag, 1. April

Am Ende ist die Solidarität, wie ich sie gerade erlebe, auch eine Ermutigung für alle anderen, die sich bei ihren Aktionen sicher sein können, dass auch sie große Solidarität erfahren werden, falls sie doch mal in Haft kommen.

Ich frage mich, wie es sein kann, dass Verbrechen an der Menschlichkeit und der Erde nicht verhindert oder verfolgt werden, aus dem einfachen Grund, dass sie unter dem Deckmantel der Normalität, des Anstands und mit viel Geld geschehen. Verbrecher*innen in Anzügen sind vor den Gerichten in den meisten Fällen sicher. Wer hingegen die zerstörerische Ordnung kritisiert, wird weggesperrt. Man kann aber keine Bewegung wegsperren. Es muss aufhören, dass im globalen Süden durch neokoloniale Strukturen auf extrem menschen- und umweltschädliche Weise Ressourcen für den vermeintlichen Wohlstand des globalen Nordens abgebaut werden.

Angesichts der unmessbaren Ungerechtigkeit, die Großkonzerne und die Staaten des globalen Nordens in der Welt und vor allem im globalen Süden verbrechen, hat sich jede der gegen uns verhängten Repressionen für Proteste gelohnt. Und wenn staatliche Strukturen ihre eigenen Positionen zu Meinungsfreiheit und Demokratie durch ihr Handeln gegen uns als Lippenbekenntnisse entblößen, zeigt uns das, dass wir sie an der richtigen Stelle kritisiert haben.

Tag 13, Dienstag, 2. April

Ich habe in einem der großen Briefe viele gleiche Bilder mit einem Blumenstrauß und einem Holzstück davor, in dem "Du bist nicht allein" eingebrannt ist, bekommen. Sie kommen von meiner Mutter und ich soll sie an alle verteilen. Die Mitgefangenen freuen sich sehr, das habe ich so nicht erwartet. Ich dachte, sie finden das kitschig. Ich gehe auch verbotenerweise in den anderen Essensraum und verteile sie dort.

Wem nutzt die Haft?

Der Knast in Göppingen ist ein Brennglas der Gesellschaft und ihrer sozialen Probleme. Das habe ich durch den Austausch mit den anderen Gefangenen gelernt. Die Menschen, die im Knast landen, sind dort nicht, weil sie schlechte Menschen sind, sondern weil sie vom Rest der Zivilgesellschaft in diese Rolle gedrängt wurden. Die meisten dort kommen aus Flüchtlings- oder Einwandererfamilien. Die Eltern arbeiten meist sehr viel, haben aber trotzdem wenig Geld. Sie kommen nicht so leicht an gut bezahlte Jobs wie die "Deutschen". Fast alle Gefangenen in Göppingen haben wenig Geld.

Das Absurde an dem Gefängnis ist, dass ungefähr zwei Drittel der Menschen dort nicht wegen einer direkt verhängten Jugendarreststrafe einsitzen. Nein, sie waren nur zu unorganisiert, um Urintests auf Cannabis, Sozialstunden oder andere Auflagen rechtzeitig zu erfüllen. Viele sind auch schlicht zu arm, um eine Geldstrafe zu bezahlen, meistens geht es um 100 bis 500 Euro. All diese Menschen kommen dann ersatzweise – meistens für zwei Wochen – in diesen Knast. Anstatt eine passende Lösung für ihre Probleme zu finden, rächt sich der Staat an ihnen durch Bestrafung.

Die anderen etwa 30 Prozent sitzen, wie ich, wegen direkter Verurteilungen. Meistens wegen Schlägereien, Fahren ohne Führerschein, Drogenhandel oder weil sie nicht zur Schule gingen. Durchschnittlich zwei Wochen, wenige sind kürzer dort und einige länger.

Ob und wie viel es den Gefangenen und der Gesellschaft bringt oder nimmt, dass Menschen eingesperrt werden, steht auf einem ganz anderen Blatt und ist natürlich sehr individuell. Manchmal "hilft" eine Haft Menschen tatsächlich, mit Dingen aufzuhören, die anderen oder ihnen selbst schaden.

Das ist aber reiner Zufall. Die Bandbreite an Bestrafung, die die Gerichte im Auftrag höherer gesellschaftlicher Schichten auf alle loslassen, die sich nicht an die formalen Gesetze halten, trifft die Menschen fast ohne Differenzierung. Ich konnte einige von ihnen über zwei Wochen auf Augenhöhe und persönlich kennenlernen. Was für ein Übermensch muss ein*e Richter*in sein, um innerhalb einer oft nur wenige Minuten langen Verhandlung herauszufinden, was einer Angeklagten helfen wird? Das ist schlicht unmöglich. Zudem ist es natürlich Unsinn, sich immer dadurch zu rächen, dass es dem Straftäter nun auch schlecht gehen muss. Das ist nicht lösungsorientiert. Weil einige Mitgefangene erzählten, wie mies sie von manchen Richter*innen behandelt worden waren, habe ich ihnen gezeigt, wie man Befangenheitsanträge schreibt.

Der Jugendarrest ist bewusst so konzipiert, dass man viel alleine ist, und die Bedingungen sind knapp über den Vorgaben durch die Menschenrechte, so dass potentiell noch etwas gekürzt werden könnte, um intern zu bestrafen. Gesellschaftlich müssten die großen klassistischen und rassistischen Ungerechtigkeiten aufgelöst werden. Dann gäbe es auch weniger "Kriminalität".

Am Ende hab ich in den zwei Wochen viel gelernt und es geschafft, das Beste aus der Situation zu machen. Ich kann mit Glück sagen, dass ich mich gestärkt fühle und dass ich den Kampf für eine klimagerechte Welt weiterführen werde.

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4 Kommentare verfügbar

  • Gärtnerin
    am 19.04.2024
    Antworten
    Lieber Christoph, lieber Leser,
    die Mehrheit der Menschen in diesem Land versuchen, immer häufiger werdende Extremwetterereignisse und deren Folgen so weit wie möglich aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen. Seid dankbar dafür, dass es dagegen (hoffentlich immer mehr) Protest gibt.

    Und zum Glück…
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