Natürlich hat Zoodirektor Tierlieb vollstes Verständnis für die Interessen seines Personals, und er würde sie ja auch wirklich gerne noch besser bezahlen. Aber das letzte Jahr war hart für ihn, als Realist muss er einsehen, dass die finanziellen Spielräume leider begrenzt sind und jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. So bemüht sich der Arbeitgeber, die Belegschaft zu vertrösten. Aber Tierpfleger Karl hat genug, nachdem er die Lange Nacht des Zoos ohne Zulage durcharbeiten musste. Mit ebenfalls Unzufriedenen hat er eine Betriebsgruppe gegründet, die den Arbeitskampf organisiert. Und nun sitzt Benjamin Blümchen zwischen allen Stühlen. Er mag die Beschäftigten, möchte, dass es ihnen gut geht und dass sie zufrieden sind mit ihren Arbeitsbedingungen. Aber falls er sich mit ihrem Streik solidarisieren sollte, droht der Klassenfeind mit gekürzten Zuckerrationen.
In der Vorlage für ihre Parodie, den Benjamin-Blümchen-Hörbüchern, "schafft es dieser unbedarfte Elefant immer wieder, den Zoo zu retten und allen zu helfen", erläutert der Historiker Matheus Hagedorny. Zusammen mit Lara Wenzel, Studentin der Theaterwissenschaft, hat er die Figur in ein Dilemma gestürzt: Was macht der Protagonist, wenn sich Harmonie als unmöglich erweist? Wenn sich Benjamin wünscht, dass der Neustädter Zoo eine große und glückliche Familie ist – aber die zuwiderlaufenden Interessen im Arbeitskampf unvereinbar bleiben?
Als wäre das Oben gegen Unten nicht schon kompliziert genug, stellt die Ausbeutung der Lohnabhängigen nicht die einzige Konfliktlinie dar: Auch untereinander erweist sich die vereinigte Arbeiterschaft als zerstritten. Vom marxistisch-leninistisch geschulten Eintrittskartenverkäufer über die anarchistische Würstchenbräter:in bis zum gemäßigt-konstruktiven Tierpfleger quält sich die Betriebsgruppe mit den gleichen Grundsatzfragen herum, über die sich einst Rosa Luxemburg und Gustav Noske die Köpfe zerbrachen: Lohnt sich der kompromisslose Kampf ums Ganze? Für eine Revolution und die Befreiung aller Tiere? Oder ist es geschickter, sich auf das Erreichbare zu konzentrieren: auf bessere Löhne und mehr Urlaub vielleicht?
Als Rüssel fungiert eine Socke
Mit den innerlinken Kontroversen kennen sich Wenzel und Hagedorny gut aus: Wenzel, Jahrgang 1998, schreibt parallel zum Studium an der Universität Leipzig für das "nd" und den "Freitag". Hagedorny, Jahrgang 1986, publizierte bereits in der "konkret" und der "jungle world", veröffentlichte 2019 ein Buch über den kommunistischen Widerstandskämpfer Georg Elser und promoviert aktuell an der Universität Potsdam zu Islambildern der Neuen Rechten. Ihr Stück haben sie in den vergangenen Monaten unter anderem bei den Einführungstagen der Universität Halle gezeigt, beim Sommerzeltlager der marxistisch inspirierten Theorie-Gruppe "Krisis" und kürzlich auf der Vergesellschaftungskonferenz in Brandenburg vor etwa 200 Leuten.
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Jürgen Falkenstein
am 04.04.2024