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Bauern in Biberach

Viel verscherzt

Bauern in Biberach: Viel verscherzt
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Die Randale rund um den Grünen Aschermittwoch in Biberach hinterlässt tiefe Spuren. Im Netz feiern Beteiligte begeistert ihren vermeintlichen Erfolg. Biberacher:innen, die das Gespräch mit der Politik suchen wollten, sind verstört.

Jedes Jahr stellen sich Frauen aus Biberach gegen Gewalt gegen Frauen. Vor zehn Jahren griffen sie die Idee von One Billion Rising auf und machen tanzend, mit Filmvorführungen, Diskussionen und Flugblättern darauf aufmerksam, dass statistisch jede dritte Frau in ihrem Leben Gewalt erfährt. Die Biberacherin Maria Willburger ist von Anfang an dabei und erzählt, wie gut die Aktionen ankommen. "Beim ersten Mal 2014 kamen 300 Leute auf den Marktplatz. Das war gigantisch." Sie strahlt. Als Sozialarbeiterin im Landratsamt berät sie Schwangere – "eine schöne Tätigkeit" – und da bekomme sie so einige Frauenschicksale mit. Auch in diesem Jahr wollte die 63-Jährige mit ihren Mitstreiterinnen darauf hinweisen. 133 Paar Frauenschuhe hatten sie neben der Biberacher Stadthalle auf einen Teppich gelegt, um an 133 Morde an Frauen durch ihre Partner in Deutschland zu erinnern. Aber registriert hat das kaum jemand. Denn es war der politische Aschermittwoch, der es in die bundesweiten Schlagzeilen schaffte. Das traditionelle Grünen-Treffen wurde abgesagt, weil vor der Halle Bauern blockierten und randalierten.

Die Bilder von grölenden Landwirt:innen, ohrenbetäubendem Sirenengeheul, einem brennenden Misthaufen und einer überforderten Polizei, die es nicht mal mit Hilfe von Pfefferspray schaffte, den Weg für die eintreffenden Politiker:innen freizumachen, gingen durch die Medien. Zurück bleibt Ratlosigkeit.

Auch bei Maria Willburger. "An dem Tag selbst war so viel los, da habe ich manches gar nicht an mich rangelassen", sagt sie. Sie sitzt zwei Tage später im Eiscafé am 900 Jahre alten Marktplatz, der als einer der schönsten Süddeutschlands gilt. Die schmale Frau rührt nachdenklich in ihrem Cappuccino. "Jetzt merke ich, wie mich das bewegt." Sie wollte an dem Tag in der Halle einen Infostand zum Thema Gewalt gegen Frauen aufbauen. Aufgewacht war sie in aller Frühe vom ohrenbetäubenden Sirenengeheul der Traktoren. "Erst dachte ich an Katastrophenalarm oder dass es einen Anschlag auf die Halle gegeben hat." Über Schleichwege fuhr sie in die Innenstadt zur Stadthalle. "Da hatten die alles blockiert mit ihren Treckern. Da darf man aber nicht parken." Warum habe die Polizei die nicht vertrieben?

Ihr Infostand drinnen blieb publikumslos. Genauso wie die Infostände von DGB, Friedensinitiativen, Öko-Landwirtschaft. Was auch als Treffpunkt für Gespräche gedacht war, wurde durch die pöbelnde Menge vor der Halle verhindert. Zwar hätten die Frauen später ihre Aktion draußen noch gemacht, "aber normalerweise wären wir am nächsten Tag damit in der Zeitung gewesen. Diesmal nicht".

Willburger findet es richtig, dass die Grünen die Veranstaltung schließlich absagten. Die Leute vor der Halle mit ihrem Gepöbel – "Eine Frau schrie mich an, ob wir jetzt Angst vor ihnen hätten" – und dem Dauerlärm – "Einer hat ständig seine Motorsäge laufen lassen" – empfand sie als gewaltbereit. Und viel Bier sei auch im Spiel gewesen. "Die Bauern haben sich damit viel verscherzt", ist Willburger überzeugt. Ihr Eindruck sei, dass zudem viele aus der Coronaleugner-Blase dabei waren.

Ein schwarzer Mittwoch

Diese Blase kennt Biberach, denn die Stadt war in der Corona-Zeit ein Schwerpunkt von Montagsspaziergänger:innen, sagt Oberbürgermeister Norbert Zeidler. Auch jetzt am Aschermittwoch habe er vor der Stadthalle Menschen aus der Coronaleugner- und Reichsbürgerszene erkannt. Allerdings sei die Mehrheit nicht aus Biberach gewesen, ist der konservative Parteilose überzeugt. Denn nach elf Jahren OB kenne er seine Leute. "Dieser Mittwoch passt nicht in die DNA unserer Stadt", befindet der 56-Jährige. Biberach sei weltoffen, prosperierend, habe eine starke Bürgerschaft. Er legt ein Foto vor von der Anti-Rechts-Demo am 27. Januar. Die Luftaufnahme zeigt den mit rund 3.000 Menschen gefüllten Marktplatz. Das sei ein guter Tag gewesen, ein Tag des Aufbruchs.

Das 35.000-Einwohner-Städtchen hat 30.000 Arbeitsplätze, alleine Böhringer und Liebherr beschäftigen mehr als 10.000 Menschen. Der Landkreis ist schuldenfrei und den Reichtum sieht man: gepflegte Fachwerkhäuser, gepflegte Kopfsteingassen, Weinhandlung, Tapas-Bar, Töpferwaren, Klamottenboutiquen. Hier ist Kaufkraft unterwegs und politisch sei es auch ruhig. 870 Geflüchtete leben derzeit in Biberach, "vor Flüchtlingsheimen haben wir noch nie etwas Negatives erlebt", sagt der OB. Im Gemeinderat sitzt keine AfD – ob sie sich in diesem Jahr zur Wahl stellt, ist unbekannt. Auch im Kreistag ist sie nicht, sie sei "hier die Partei der Gesichtslosen". Zeidler hätte nichts dagegen, wenn es dabei bliebe.

Und nun das. Den "schwarzen Mittwoch", nennt er den 14. Februar. "Für unsere Stadt, aber auch für unser Land." Doch die Bauerndemo auf dem Gigelberg, eine Anhöhe hinter der Stadthalle, die sei in Ordnung gewesen, schiebt er hinterher. Dort war unter dem Motto "Aus der Mitte für die Mitte" zum Protest aufgerufen worden. Mit Anmeldung. 800 Menschen seien da gewesen, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sprach und es war ganz normal, so Zeidler. Klar, mit Buhrufen und Pfiffen gegen den Minister, aber soweit normal. Unten, also vor der Stadthalle, das Gegenprogramm. Damit habe man nicht gerechnet in dem Gespräch mit der Polizei am Tag vor der Veranstaltung, sagt er. Einerseits. Andererseits meint er, die Grünen hätten es doch irgendwie riechen sollen, dass da etwas dräut. Zwar ehre es die Partei, dass zu ihrem Aschermittwoch jede und jeder kommen könne, doch dass es in diesem Jahr schwierig werden könnte, ja, das hätten sie ahnen können. "Die Zeit, wo man etwas so offen zugänglich machen kann, ist vorbei", befindet der Diplom-Verwaltungswirt.

Die Grünen sind schuld

Auch der Bundespolitik gibt Zeidler noch eine mit. In den vergangenen 15 Jahren hätte der Staat Politik mit Scheckheft gemacht. 2015 mit den Flüchtlingen gab es viel Geld für Unterkünfte und so weiter, beim Hochwasser gab es Geld, bei Corona auch. "Jetzt existiert eine Anspruchshaltung, weil die Politik suggeriert hat, wir nehmen euch jedes Problem ab." So erklärt Zeidler sich das zunehmend zügellose Gemotze. Warum es so explizit gegen die Grünen geht, ist für ihn allerdings nicht nachvollziehbar. "Minister Özdemir habe ich ausdrücklich meinen Respekt ausgedrückt. Ich fand gut, dass er zur Kundgebung auf dem Gigelberg gegangen ist und da gesprochen hat." Er selbst wolle jedenfalls derzeit nicht Landwirtschaftsminister sein. Was er hingegen will: "Dass von allen Beteiligten aufgeklärt wird, wer dahintersteckt." Bislang gebe es ja nur Mutmaßungen.

Nicht nur vor der Stadthalle, auch auf dem Gigelberg gefielen sich die Demonstrierenden bestens darin, über Politiker:innen, vor allem Grüne, herzuziehen, ausgiebig auszubuhen und teils ziemliche Plattheiten von sich zu geben. Von wiederkehrenden Witzen über die Parteivorsitzende Ricarda Lang über zu viel Geld für Entwicklungshilfe bis zu "Das Land ist nicht mehr wettbewerbsfähig", "Wir haben ein Ausgabenproblem", "Geht endlich die Probleme an oder lasst es andere machen, die es besser können". Wer das sein könnte, blieb offen. Dass die Streichung der Agrardieselerstattungen und der Steuerfreiheit für die Traktoren bereits zurückgenommen bzw. zeitlich gestreckt wurden, wurde als selbstverständlich genommen. Nun aber gehe es um mehr.

Organisiert war die Kundgebung von drei Einzelpersonen, darunter der Landwirt Gerd Neidlinger, Mitglied von Land schafft Verbindung. Der Verband aber habe damit nichts zu tun, betonen Neidlinger und seine Mitorganisatoren, die sich ausdrücklich von den Protestierenden vor der Stadthalle distanzieren. Auch der Bauernverband will nichts von den Pöbler:innen wissen, wie dessen Kreisvorsitzender Karl Endriß unterstreicht. "Wir haben nicht aufgerufen." Man setze ausschließlich auf Gespräche mit der Politik seit der Großdemo in Berlin im Dezember. Also seit jener Demo, auf der Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied einen "sehr heißen Januar" angekündigt hatte mit Protesten, wie sie "das Land noch nicht erlebt hat".

Der Bio-Bauer schämt sich für seine Kollegen

Josef Weber ist vor einigen Jahren aus dem Bauernverband ausgetreten. Er hat vor 30 Jahren seinen Hof am Rande von Biberach auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Aus Überzeugung. Die heute 270 Hektar mit 120 Kühen und ein paar Schweinen bewirtschaften mittlerweile zwei Söhne. Der 66-Jährige sitzt für die Grünen im Gemeinderat, hat sich lange im Bauernverband engagiert. "Aber dort eine andere Art von Landwirtschaft zu vertreten, bringt nichts", sagt der Mann, der eine freundliche Zähigkeit ausstrahlt. Der Verband sei zu eng mit dem Handel und der Lebensmittelindustrie verbunden. "Die haben nur ein Ziel: billige Lebensmittel." Also trat Weber aus und in die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) ein.

Protest gegen die herrschende Politik kann er nachvollziehen. "Ich bin auch nicht mit allem zufrieden." Allerdings will er oft etwas anderes als die meisten demonstrierenden Bauern. Zum Beispiel einen höheren Dieselpreis, damit auch Landwirte überlegen, wie sie das Fahren mit den schweren Gefährten, das den Boden schädigt, reduzieren. In langer Arbeit habe man erreicht, dass Glyphosat und Spritzmittel zurückgedrängt werden. Nun werde das wieder gelockert. "Schade", sagt Weber. Wie könne es sein, dass angesichts von Artensterben, geschädigten Böden und Nitrat im Grundwasser die konventionelle Landwirtschaft einfach immer so weitermachen wolle? "Und das Wort Klimawandel kommt gar nicht mehr vor."

Am Aschermittwoch war auch er unten an der Halle, wollte wie Maria Willburger einen Infotisch aufbauen – für biologischen Landbau. Nach dem Traktorenlärm in der Nacht habe er gedacht: "Okay, da passiert ein bisschen was." Doch als er an der Stadthalle ankam: "Schockstarre. Ich hab Angst bekommen." Der Zorn, den er dort erlebt habe, auch rechte Sprüche gehen ihm nach. "Ich schäme mich richtig für meine Berufskollegen", sagt er und ihm steigen Tränen in die Augen.

Weil er kein Mann des Jammerns ist, sondern der Tat, hat er zum Stift gegriffen und eine Rede geschrieben für die kurzfristig organisierte Mahnwache in Biberach am Samstagabend. Wegen des Aschermittwochs und um – wie er dort sagte – "für Demokratie, für ein friedliches Miteinander, für eine gute Zukunft in Freiheit und freier Meinungsäußerung zu demonstrieren".

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5 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 23.02.2024
    Antworten
    Ich denke, zu kritisieren ist nicht, dass die Bäuerinnen und Bauern mit ihren Arbeitsgerät demonstrieren und dabei auch laut sind. Dass machen andere Beschäftigte auch, wenn sie auf ihre Interessen aufmerksam machen wollen. Die Lärmgeräte, die bei Gewerkschaftskundgebungen verwendet finden, sind ja…
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