Ich kann mir es nicht vorstellen. Ich muss auch sagen, rein empirisch hat es noch nie eine Bahn vergleichbar gemacht. Wir sanieren unseren Hauensteintunnel jetzt zum zweiten Mal auf zwei Spuren, durch den geht der ganze Transitverkehr, Güter- und Personenverkehr. Der wird im Betrieb saniert und das geht. Wir wissen von der Sperrung bei Rastatt, dort war es wegen einer Havarie. 51 Tage war die Strecke außer Betrieb, das hat volkswirtschaftliche Kosten von zwei Milliarden verursacht. Ich meine, es gibt etwas sehr Positives in Deutschland, dass jedes Mal – und ich bin im letzten Jahr sehr viel Bahn gefahren in Deutschland – die Züge ja alle voll sind. Und wenn ich mir vorstelle, was die alle machen – ich kann mir es nicht vorstellen! Ich kann die Idee wirklich nicht begreifen.
Die neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken in Deutschland bestehen großteils nur noch aus Tunnels.
Es ist unglaublich teuer, wenn sie nur noch Viadukte haben und Tunnels, und wenn es dann noch eine Hochgeschwindigkeitslinie ist, auf der kein Regionalverkehr, kein Güterverkehr fährt, dann ist es einfach auch ökonomisch gesehen ein Unsinn – ich muss es einfach sagen.
Was halten Sie von der in Deutschland versuchten Trennung von Netz und Betrieb?
Da bin ich absolut dagegen, das ist mein einziges Dogma, das ich je hatte. Wenn man das auseinandertrennt und jeder Bereich optimiert sich selber, dann geht das zulasten des Gesamtsystems, und ich muss Ihnen sagen, ich weiß, wovon ich rede. Ich war nicht nur Chef einer Staatsbahn, ich war zwölf Jahre lang Aufsichtsratsvorsitzender der Westbahn, die fährt auf den Gleisen der ÖBB, und wir haben die Macht der ÖBB spüren gelernt. Und trotzdem bin ich der Meinung, es ist richtig, dass die ÖBB die Infrastruktur in ihren Händen hält, anders geht es einfach nicht.
Die DB verlangt für das Netz sehr hohe Trassenpreise. Ist das nicht ein Nachteil?
Was ich nicht begreife, ist, dass die Bahn – die Staatsbahn – die Trassenpreise festlegt, in Österreich übrigens auch. Das ist eigentlich wirklich unbegreiflich, weil in der Schweiz ist das eine Verordnung der Regierung, und sie hat einen Regulator, der dafür sorgt, dass die Trassenzuteilung diskriminierungsfrei ist. Und dann haben sie das System, auch den Wettbewerb im Griff. Aber dass diese Bande die Infrastruktur benutzt, autonom die Trassenpreise festlegt, halte ich wirklich für eine Maßnahme, die untolerierbar sein müsste!
Die DB tritt seit der Bahnreform 1994 als Global Player auf. Sollte sie sich nicht lieber auf das Bahnfahren in Deutschland konzentrieren?
Diese Global-Player-Attitüde ist natürlich Teil des Problems, das ist klar. Wenn Sie im Management den Kopf im weltweiten Logistikmarkt haben, dann vergessen Sie natürlich den Kunden in Mainz. Also da bin ich ganz klar, das hat zum Teil dazu beigetragen, dass die Kultur der Eisenbahner schwer beschädigt worden ist.
Müsste also ein Eisenbahner oder eine Eisenbahnerin an die Spitze der Deutschen Bahn?
Es müsste jemand mit Sachverstand sein, der das System kennt, davon bin ich absolut überzeugt. Ich habe viele Bahnchefs gekannt, auch gut gemocht, muss ich ehrlich sagen – aber keiner kam vom Bahnsektor her. Das wäre doch in keiner anderen Branche möglich. Können Sie sich vorstellen, dass sie einen Branchenfremden an die Spitze eines Automobilkonzerns stellen würden? Undenkbar! Aber bei der Bahn macht man das bedenkenlos. Obschon ich sagen will, die Produktion ist komplexer als bei Volkswagen.
Warum setzt die Ampel-Regierung da kein Signal?
Die Regierung hat natürlich mit der unabhängigen Geschäftsführung auch mental die Verantwortung weggelegt, aber immer bedenkenlos Milliarden reingebuttert ins System. Und das geht einfach nicht.
Haben Sie nicht gesagt, den integralen Taktverkehr der Schweiz, den könnte man nicht auf Deutschland übertragen?
Habe ich nicht gesagt!
Was dann?
Dass die Züge sich in den Knoten kreuzen und dann der Halbstundentakt, das hat sehr viel gebracht: nämlich häufige rasche direkte Anschlüsse. Und ich habe mich gewundert, warum diese Idee, die aus Mitte der 80er-Jahre stammt, von Deutschland nie nur im Ansatz überhaupt diskutiert worden ist.
Also ein Halbstundentakt, braucht man dazu Hochgeschwindigkeit?
Nein, also sicher braucht man nicht Hochgeschwindigkeit dafür. Man muss zwischen den Knoten eine Fahrzeit haben von etwas unter einer halben Stunde oder ein Vielfaches davon, und das muss man halt optimieren. Punkt!
Das vorliegende Interview ist eine leicht bearbeitete Fassung eines Video-Interviews, das Klaus Gietinger am 14. Januar mit Benedikt Weibel geführt hatte.
Am Montag, 19. Februar ist Benedikt Weibel zu Gast im Rathaus Stuttgart. Im Rahmen einer Veranstaltung der Fraktionsgemeinschaft Die FrAktion und des Gäubahnkomittees Stuttgart hält der ehemalige Chef der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) einen Vortrag mit dem Titel "Die Gäubahn im transeuropäischen Eisenbahnnetz erhalten" (19 Uhr, Großer Sitzungssaal).
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Matthias Becker
am 09.03.2024