Das Problem bestand konkret darin, dass Romani Rose Geschäftsführer des Dokumentationszentrums ist, und das ist unter Kontrolle des Vorstands des Dokumentationszentrums. Aber der Vorstandsvorsitzende ist auch Herr Rose, der wiederum damals auch zugleich de facto als Vorsitzender des zweiten Kontrollorgans, des Kuratoriums, fungierte. Also Geschäftsführer und Kontrollorgan waren zu der Zeit identisch. Und damit nicht genug: Das Dokumentationszentrum ist auch Mitglied im Zentralrat der Sinti und Roma und untersteht damit sozusagen der Aufsicht auch des Zentralrats. Der Vorstandsvorsitzende dort und der faktische Geschäftsführer ist ebenfalls Herr Rose, also der, der ihn kontrollieren soll, ist er selbst. Es hat darum schon vor einer Weile eine Satzungsänderung gegeben, dass auch die zwei Stellvertreter im Vorstand des Dokumentationszentrums – zumindest für finanzielle Fragen – zeichnungsberechtigt sind. Ich war einer der Stellvertreter, bin aber vor rund acht Jahren zurückgetreten, weil das nicht meiner Vorstellung von Teamarbeit entsprach. Man war einfach nicht eingebunden und durfte nur abnicken. Selbst Nachfragen waren ein Problem.
Das klingt wie eine One-Man-Show, ein richtiggehend patriarchales System?
Diese Konzentration auf eine Führungsperson hat sich nicht nur verselbständigt, sondern ist weiterhin noch schwieriger geworden: dahingehend, dass die Unabhängigkeit, die das Dokumentationszentrum per Definition und Finanzierungszusage hat, nicht mehr gegeben ist. Konkret heißt das: Wir haben als Verband Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg, in dessen Vorstand ich bin, viele verschiedene Bürgerrechtsgruppen, Stiftungen etc. aus der Community unterstützt, die ansonsten im Zentralrat keine Stimme hatten oder nicht gehört wurden. Im Gegenteil, man wollte diese Gruppen nicht, gleichwohl wollte man auch keine vermeintlich konkurrierenden Einrichtungen haben – nicht einmal die 2021 gegründete Bundesvereinigung der Sinti und Roma (BVSR) mit ihren vielen Untergruppen, die von Anfang an dem Zentralrat eine enge Zusammenarbeit angeboten hat, aber auch neuen Stimmen Raum geben wollte. Ich habe zuvor die Interessen dieser Gruppen im Zentralrat versucht zu thematisieren, im Sinne einer demokratischen Teilhabe, und die Konsequenz war, dass unser Landesverband, der vielleicht größte in Deutschland, sowohl aus dem Zentralrat als auch aus dem Dokumentationszentrum ausgeschlossen wurde.
Wie viele Menschen der Sinti-und-Roma-Minderheit in Deutschland repräsentiert der Zentralrat unter Herrn Rose eigentlich?
Wir haben in Deutschland 128 Vereinigungen und Initiativen der Sinti und Roma, und von diesen 128 sind etwa 20 im Zentralrat organisiert und davon 18 im Dokumentationszentrum, das sind insgesamt nur 15 Prozent aller Sinti-und-Roma-Gruppen. Und eine davon, das heißt deren Vorsitzender, gibt vor, für die gesamte Minderheit in Deutschland zu sprechen. Es hat nie ein Zusammentreffen der gesamten Community gegeben, weil Romani Rose das verweigert hat. Er besteht darauf, für alle zu sprechen.
Also das Verhalten eines alten Patriarchen, der niemanden neben sich dulden kann?
Ich würde das jetzt weniger auf eine bestimmte Persönlichkeit zurückführen, sondern auf eine Struktur, die sich seit mehreren Jahrzehnten herausgebildet hat. Es gibt seit vierzig Jahren immer den gleichen Vorsitzenden, und aus dieser Zeit ergeben sich auch Abhängigkeiten, wenn wir genauer hinschauen: Ein Großteil der Vereinsmitglieder ist zugleich Mitarbeiter, Arbeitnehmer und Angestellter. Und dann gibt es auch noch Verwandtschaftsbeziehungen. Auf der Homepage des Dokumentationszentrums kann ich mir das genau anschauen: Da sind die abhängig Beschäftigten, da ist die Familie – und sie sind diejenigen, die bei Abstimmungen dabei sind, mit eigenen Anträgen komme ich da nicht durch. Alle anderen werden ausgegrenzt.
Noch einmal: Krankt die derzeitige Situation in der Sinti-und-Roma-Community nicht einfach daran, dass da ein Machtsystem mit dem entsprechenden Machthaber vorhanden ist?
Ich würde es so ausdrücken: Es ist im Laufe der Jahre eine monokratische Struktur entstanden, die sich so verfestigt hat und sich in der Person von Romani Rose nicht mehr verändern lässt. Aus eigener Kraft schafft es Herr Rose nicht mehr, all das, was er ja wirklich bewegt und geschaffen hat, seinen Ruf, den er sich erkämpft hat, dies alles zu erhalten. Er baut dies alles allmählich ab, und das bedaure ich zutiefst. Seine Fähigkeiten zu führen und zu leiten sind beschränkt. Es gibt viele unzufriedene Mitarbeiter. Nicht wenige aus der Minderheit haben ihre Arbeit niedergelegt. Es gibt Mitgliedsvereine, die nehmen seit vielen Jahren schon gar nicht mehr an den Sitzungen teil, andere haben ihren Austritt aus dem Zentralrat erklärt.
Und wie geht es jetzt weiter mit all den aktuellen Problemen wie dem Neubau und der Erweiterung des Heidelberger Dokumentationszentrums, dem bevorstehenden nationalen Staatsvertrag oder dem Streit um das Berliner Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma?
8 Kommentare verfügbar
Alexander Diepold
am 18.12.2023Geschäftsführer der Hildegard Lagrenne Stiftung mit Sitz in Mannheim nehme ich Stellung zu den Ausführungen des Senats zur aktuellen Situation des europäischen Denkmals in Berlin für die ermordeten Sinti und Roma Europas.
Herr…