Es gibt viele Wege, einem Betrug aufzusitzen. Manche werden ausgenommen, weil sie Mitleid haben: zum Beispiel, wenn ein angeblicher Enkel in großen Schwierigkeiten steckt. Weniger edel sind die Motive jener Gelackmeierten, die aus purer Gier an schöne Lügen glauben wollen. Kaum steht eine dreistellige Rendite in Aussicht, schon ist die Altersvorsorge pulverisiert; sich einzureden, das Geschäft mit Kryptowährungen sei ein geniales Investment, ist kinderleicht, wenn der Köder nur attraktiv genug ist.
Doch nicht nur Gier macht Lockvögel verlockend. Überall, wo Begehrlichkeiten vorliegen, wächst die Gefahr, absurden Hoffnungen zu verfallen. Was im Privaten schon tragisch ist, ist es in der Politik umso mehr: Manche in Gemeinderäten oder im Bundestag wollen vielleicht einfach nur eine schönere Stadt – und lassen sich allzu leicht blenden von den süßen Verheißungen dubioser Immobilienscharlatane, die eine schillernde Zukunft versprechen und Ruinenlandschaften zurücklassen, wo immer Brachflächen lukrativer sind als Stadtentwicklung.
Wie viele Pläne wurden wohl schon konterkariert, weil das Grundstück, auf dem die Urbanität der Zukunft Gestalt annehmen sollte, noch während der Bauarbeiten an den Meistbietenden weiterverhökert wurde? Oder anders gefragt: Warum gibt es immer noch Politiker:innen, die so sehr auf das Modell der investorenorientierten Stadtentwicklung vertrauen, dass sie auf Absicherungen für den Krisenfall verzichten?
Ein besonders verstörendes Beispiel für den Verzicht, wichtige Details schriftlich festzuhalten, stellen die völlig aus dem Ruder laufenden Kosten für Stuttgart 21 dar. Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart streiten sich die Projektbeteiligten seit einigen Monaten, wer das eigentlich bezahlen soll, sobald die Kosten den vertraglich fixierten Rahmen übersteigen (was sie seit rund elf Jahren tun). Dass es dazu keine eindeutige Festlegung im Finanzierungsvertrag von 2009 gibt, hat den Vorsitzenden Richter Manfred Kern sichtlich irritiert. "Sie bauen also einfach weiter seit 2013, seit Sie wissen, dass die Kosten hochgehen und es ist nicht geklärt, wer es zahlt", stellte er im vergangenen August fest. In der Zwischenzeit ist klar geworden, dass das Projekt noch einmal circa 1,7 Milliarden Euro teurer wird, als zu diesem Zeitpunkt angenommen – aber ernsthaft zu verwundern scheint das niemanden mehr.
Da lohnt es sich, an die Anfänge des Projekts zu erinnern. Denn ursprünglich stand das Versprechen, der neue Tiefbahnhof werde sich quasi von selbst finanzieren: Weil das in den Untergrund verlegte Gleisvorfeld Grundstücke zum Verkauf frei werden lässt, aus denen ehrenwerte Investoren eines fernen Tages das Stadtquartier der Zukunft machen sollen. Aus der langen Geschichte der kleingeredeten Projektkosten haben Johanna Henkel-Waidhofer und Oliver Stenzel einige bemerkenswerte Aussagen in einer Chronologie zusammengetragen. Besonders nett ist ein Bonmot des ehemaligen Bahnchefs Rüdiger Grube, der das Risiko eskalierender Mehrkosten stets zurückwies. Er gab 2010 zu Protokoll: "Lieber lasse ich mich anspucken, als dass ich mich als Lügner bezeichnen lasse."
Manchmal reicht vielleicht auch schon die Aussicht darauf, ein kniffliges Problem lasse sich ganz komfortabel lösen, um den kritischen Verstand auf einen Zuschauerplatz zu verweisen. Nachdem die Menschheit seit Anbeginn der Industrialisierung obszöne Mengen CO2 in die Atmosphäre geblasen hat, wäre es natürlich nett, wenn sich das Zeug einfach wieder absaugen ließe. Doch wie unserer Autor Jürgen Lessat am Beispiel der E-Fuels von Porsche zeigt, gibt es gegenwärtig wenig rationale Gründe anzunehmen, dass das tatsächlich klappt wie geplant. Was aber vermutlich wenig ändern wird am in der Politik weitverbreiteten Vertrauen, technische Innovation werde die Öko-Katastrophe schon noch irgendwie verhüten.
2 Kommentare verfügbar
Gast
am 16.12.2023Stuttgart S21 ist wie andere Bauprojekt, eg Altona Bahnhof, oder Tegel Berlin, Ber Berlin, aber auch viele Stadtentwicklungen seit dem 70ern das Schema Auspluenderung des Gemeinwesens fuer Immobilie haie und…