Mit der Digitalisierung zeichnet sich nun schon seit geraumer Zeit ab, wie erneut ein großer Teil menschlicher Arbeit durch technische Innovation überflüssig gemacht wird. Studien zufolge stehen bis zu die Hälfte aller Arbeitsplätze in der Bundesrepublik durch die Digitalisierung zur Disposition. Doch wenn etwa Altkanzlerin Angela Merkel über die Digitalisierung Europas sagt, "dort, wo wir abgeschlagen oder zurückgefallen sind, müssen wir unsere Kräfte bündeln, um darauf die richtigen Antworten zu finden" – wer genau ist dann eigentlich mit "wir" gemeint und was genau ist richtig?
Der Sozialwissenschaftler Peter Schadt, wohnhaft in Reutlingen, hat sich genauer angeschaut, wer von der Digitalisierung profitiert – und identifiziert den Konflikt um die voranschreitende Automatisierung der Arbeit als Klassenfrage. In einem schlanken Taschenbuch hat er seine Beobachtungen und Thesen auf 118 Seiten zusammengefasst. Aufschlussreich ist die Lektüre schon deshalb, weil einer Fußnote zu entnehmen ist, warum das Wort "Technologie" im alltäglichen Sprachgebrauch so gut wie immer falsch verwendet wird: "Es ist der Begriff der Technik, der die Maschinen, Geräte und Apparate der Digitalisierung umfasst. 'Technologie' beschreibt dagegen die Wissenschaft über und von der Technik."
Alles soll vernetzbar sein, nichts ist kompatibel
Die Haltung, die Schadt gegenüber der Digitalisierung einnimmt, ist kritisch, aber nicht technikfeindlich. An keiner Stelle wird suggeriert, dass ein Leben ohne Maschinen und Computer grundsätzlich erstrebenswerter wäre und nirgends werden Roboter per se als Teufelszeug verunglimpft. Vielmehr führt der Autor anhand einer Reihe von Anschauungsmaterial aus der modernen Arbeitswelt vor, wie die kapitalistische Konkurrenzlogik dazu führt, dass Innovationen, die das Potenzial hätten, den menschlichen Alltag zu erleichtern, stattdessen für haufenweise Unsinn eingesetzt werden.
Ein kurioses Beispiel für die Zerrissenheit von Unternehmen im Zuge der Digitalisierung ist die "Konkurrenz um den Standard": Eigentlich wäre es für die Ausschöpfung technischer Potenziale erstrebenswert, wenn möglichst alle Maschinen und Geräte miteinander kommunizieren könnten. Aber: "Der Wunsch nach lückenloser Vernetzung der Betriebsabläufe trifft auf geschäftsbedingte Inkompatibilität ihrer Produkte." Einige Anwendungen funktionieren auf bestimmten Betriebssystemen weniger gut oder überhaupt nicht, ein USB-Kabel ist ungeeignet, damit ein iPhone aufzuladen. Je nach Stellung eines Unternehmens kann sich die Nicht-Kompatibilität als Vor- oder Nachteil erweisen. Das Unternehmen Apple sei laut Schadt das wohl bekannteste Beispiel für eine Exklusivitätsstrategie: "Die Idee: Unter Ausnutzung der eigenen Marktmacht wird davon ausgegangen, dass die Begrenzung der eigenen Kompatibilität mehr Schaden für die Konkurrenz als für das eigene Geschäft bedeutet."
Wenn es in der Marktwirtschaft zu Kooperation zwischen Unternehmen kommt, etwa um einen gemeinsamen Standard zu etablieren, ist diese Zusammenarbeit nach Schadt "nicht das Gegenteil der Konkurrenz, sondern ein Mittel in ihr": mit dem Ziel, durch den Zusammenschluss überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben oder zu werden. Dabei von einer Interessengemeinschaft auszugehen, erscheint aber ebenso deplatziert wie einer gesamten Bevölkerung beim Thema der Digitalisierung einheitliche Ziele anzudichten. Hier von einem "Wir" zu sprechen, fasst Schadt zufolge "diejenigen, die die Digitalisierung ins Werk setzen, um bezahlte Arbeit überflüssig zu machen, und diejenigen, die da überflüssig gemacht werden, als Kollektiv zusammen". Von gemeinsamen Chancen und Risiken zu reden, entpuppe sich "als Nebelkerze, wenn die Chance des Eigentümers auf Extraprofit das Risiko der Lohnabhängigen ist, gar nicht mehr gebraucht zu werden".
Mein Chef ist jetzt der Algorithmus
Im Kern geht es bei der Digitalisierung also um die Fortschreibung eines unternehmerischen Evergreens seit Anbeginn der Industrialisierung: Im Dienste des maximalen Profits soll der Anteil menschlicher Arbeit innerhalb des Produktionsprozesses minimiert werden. Der in diesem Kontext geläufige Begriff der "Rationalisierung" beschreibe dabei eigentlich die Durchsetzung von Kapitalinteressen zu Lasten der Beschäftigten. Das Wort sei daher beides: "Einerseits sehr unpassend, weil die Beschäftigten mit diesem beschönigenden Argument entlassen werden oder ihre Arbeit verdichtet wird. Andererseits auch sehr passend, weil es zur hier gültig gemachten Sorte Rationalität passt." Also zu einer Art Vernunft, die als Ideal auf die "menschenleere Fabrik" zustrebe.
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