Wir sitzen im Hinterhof der Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule und schauen einem Dutzend Jungen und Mädchen aus der Ukraine zu, wie sie auf dem Basketballplatz gegen einen Ball treten. Es sind Gymnasiast:innen aus Ternopil, Zaporizhzhia, Odessa, Hostomel, Kiew. Sie alle kamen mit ihren Eltern nach Stuttgart, nachdem in ihrer Heimat der Krieg ausgebrochen war. Gerade ist große Pause, danach wird es mit Deutsch weitergehen, unterrichtet von Valeria Maksimova. Valeria ist 26, mit ihren lebendigen Augen und dem offenen Lächeln sieht sie selbst aus wie eine Abiturientin. Wenn sie nicht unterrichtet, übersetzt sie für die ukrainischen Kinder in anderen Unterrichtsstunden.
Hast Du hier schnell einen Job gefunden?
Wir sind hier zunächst bei Freunden meines Vaters untergekommen. Die hatten die Nachbarn schon vorgewarnt, dass wir demnächst einziehen. Die Nachbarn kamen beinahe jeden Tag, um uns kennenzulernen, Hilfe anzubieten, sie haben Kleider gebracht, Süßigkeiten. Alle waren besorgt um uns und wollten uns unterstützen. Eine Nachbarin arbeitet hier an der Schule. Sie hat mitbekommen, dass ich Deutschlehrerin bin und hat dem Rektor davon erzählt. Also haben sie mir einen Job angeboten. Ich bin sehr glücklich, dass es so gelaufen ist.
Valeria Maksimova hat ihre Kindheit und Jugend in Kiew verbracht, ein Leben mit Eltern und einem jüngeren Bruder. Nach der Schule wollte sie unbedingt an der Uni studieren, aber ohne klare Pläne. "Ich bin ein bisschen verloren gegangen", lacht Valeria, "also habe ich mich an zwei Universitäten beworben, mit verschiedenen Schwerpunkten: Deutsch und Chinesisch. Es hat sich ergeben, dass ich beides angefangen habe. Chinesisch konnte ich umsonst lernen, auf Kosten des Staates. Aber Deutsch, das ging nur privat. Ich weiß nicht, warum ich mich für Deutsch entschieden habe. Vielleicht war es Intuition. Es passieren seltsame Zufälle im Leben."
Valeria erzählt, dass sie vier Jahre lang als Deutschlehrerin Grundschulklassen an verschiedenen Schulen in Kiew unterrichtet hat. "Dann habe ich realisiert, dass ich vieles an unserem Erziehungssystem und an der Arbeit an den Schulen nicht mag, ich habe mich nicht wohlgefühlt. Ich wollte mich selbst verwirklichen und eine ordentliche Bezahlung. Also habe ich meine Fähigkeiten und Perspektiven abgewogen und angefangen, Programmieren zu lernen. Kurz vor dem Krieg habe ich sogar eine Teilzeit-Anstellung bekommen. Aber nach Beginn des Krieges war das vorbei. Vielleicht werde ich eines Tages wieder zum Programmieren zurückkehren, aber gerade genieße ich das Unterrichten hier so sehr, dass ich nicht darüber nachdenke."
Also bist Du nach Deutschland gekommen, weil du die Sprache sprichst?
Nein, es ist viel interessanter. Mein Partner und ich haben fast den gesamten Winter in der Dominikanischen Republik verbracht, vor dem Krieg sind wir für ein paar Monate dort hingegangen. Als der Krieg anfing, wollten wir in die Ukraine zurück. Wir waren auf dem Weg nach Hause, hatten einen Zwischenstopp in Deutschland. Am selben Tag cancelte Lufthansa alle Flüge in die Ukraine. Und so begann eine Kette von Zufällen.
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