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Afghanistan

Blumen von den Taliban

Afghanistan: Blumen von den Taliban
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Wenige Wochen ist es her, dass Fotojournalist und Kontext-Vereinsvorstand Uli Reinhardt in Afghanistan gewesen ist. Dort interessieren ihn seit 30 Jahren besonders zwei Hilfsprojekte: eine Schule und ein Krankenhaus. Ein Gespräch über Erlebnisse in einem geschundenen Land.

Herr Reinhardt, Sie haben von Taliban einen Blumenstrauß bekommen. Wie schafft man das?

Das weiß ich nicht. Aber es ist passiert. Ich war Ende Juni, Anfang Juli für 14 Tage in Afghanistan für eine Reportage über das Schulprojekt Ofarin. Das wurde 1996, also unter der ersten Talibanherrschaft, von dem deutschen Mathematikprofessor Peter Schwittek gegründet und läuft bis heute. Die Idee: Vor allem Mädchen lernen in Moscheen lesen, schreiben und rechnen. Durch die Moschee hat das Projekt die Unterstützung der örtlichen Mullahs und die Eltern tun sich leichter, ihre Töchter lernen zu lassen. Das ist unglaublich beeindruckend und wir sind dorthin gefahren für das Projekt "Bildung verändert", in dem es um die Wirkung von Bildung in den ärmsten Ländern geht. Erschienen ist die Reportage in der Frankfurter Rundschau.

Und in der Schule haben Sie Blumen bekommen?

Nein. Das war in den Bergen in einem Krankenhaus. Dorthin bin ich alleine gefahren, weil ich fand, es reicht, wenn einer sich dem Risiko aussetzt.

Wieso Risiko?

Das Hospital liegt etwa 65 Kilometer weg von Kabul und war auch schon vor dem jetzigen Abzug der westlichen Truppen Talibangebiet, also Kriegsgebiet.

Wie kommt man dann dahin?

Ich war 1997 das erste Mal in dem Hospital, in der Zeit, als die Taliban die Macht übernommen hatten, bis die USA sie dann 2001/2002 vertrieben haben. Damals war es schwierig, nach Afghanistan einzureisen. Die Taliban waren damals isoliert, es gab keine Visa, der Flughafen war zerstört. Also sind wir nach Peschawar in Pakistan, wo die Taliban ein Büro hatten. Da musste man vorreiten und sagen, was man wollte, also dass wir Journalisten waren. Die sagten dann nicht "Ja" oder "Nein", sondern "Wir arbeiten dran". Manchmal sagten sie irgendwann "Nein", bei uns sagten sie "Ja". Damals wollten wir zu dem Hospital Chak-e-Wardak. Für die eigentlich kurze Strecke brauchte man einen Tag mit dem Auto, weil es keine Straßen gab. Das Hospital hat Karla Schefter, eine deutsche Krankenschwester, seit 1989 aufgebaut in einem ehemaligen Wasserkraftwerk von Siemens. Das muss man sich vorstellen: Eine Frau hat sich durchgesetzt in dieser extremen Männerwelt! Aber es wurde akzeptiert – weil es dort in der Region sonst keine medizinische Versorgung gibt. Dort arbeiten afghanische Ärzte und Ärztinnen, Pfleger und Pflegerinnen. Dass da Frauen arbeiten, wussten die Taliban auch damals, aber sie schlossen die Augen, wohl weil das Hospital notwendig war. Es heißt, das Krankenhaus versorgt 100.000 Menschen in der Provinz.

Kommen wir zu Ihrem jüngsten Besuch. Wie sind Sie jetzt, Ende Juli, dorthin gekommen?

Ich hatte über meine Kontakte in dem Hospital angefragt, ob ich kommen darf. Meine Kontaktleute haben dann die Taliban, die direkt daneben eine Station haben, gefragt. Und es hieß, ja, ich könne kommen, die Taliban würden für meine Sicherheit garantieren.

Hat Sie das überrascht?

Nicht so sehr. Denn das war mein Kalkül gewesen: Die brauchen das Hospital, und es ist klar, dass das Hospital Geld braucht, also Spenden – die EU hat die Unterstützung schon 1992 eingestellt. Die Menschen bei uns spenden aber nur, wenn sie sicher sind, dass das Geld ankommt und wenn sie wissen, dass das Hospital auch arbeitet. Da ist der Besuch von einem Journalisten eine vertrauensbildende Maßnahme. Andersherum: Denen war klar, wenn sie mich meucheln oder entführen, ist Schluss mit Hospital. Und das hat funktioniert.

Was haben Sie vorgefunden?

Ich wurde zunächst in einem Raum im Krankenhaus von einer Talibandelegation empfangen. Fünf Männer, zwei mit Maschinengewehren, einer mit einem Block, von dem er ablas, welche Forderungen sie für das Krankenhaus haben.

Wie bitte?

Ja, sie wollten, dass ich dem Verein in Deutschland übermittle, dass sie mehr Frauenärztinnen brauchen, bestimmtes medizinisches Gerät und so was. Die waren total gut vorbereitet, fokussiert – ganz anders als Ende der 1990er. Als wir damals dorthin gefahren sind, wurden wir an einem Checkpoint angehalten, unser Fahrer wurde rausgezogen, wir in einen Raum geführt, in den Typen mit Kalaschnikows in der Hand durchs Fenster grinsten. Unser Fahrer wurde mit einem Schlauch verprügelt, vermutlich weil sein Bart nicht lang genug war. Das war sehr übel. Dann durften wir wieder gehen.

Und wie ging es nun in dem Hospital zu?

Wie vor 30 Jahren standen die Leute am Morgen Schlange, das Personal arbeitete, ich habe mit einer Ärztin geredet. Es ist unglaublich beeindruckend, wie dieses Hospital läuft. Die Taliban haben sich lobend über das Hospital geäußert, sagten, dass sie dessen Existenz garantieren. Das glaube ich sogar. Das Hospital hat für die einen Wert. Die wissen, dass sie keine Lorbeeren bei den Menschen in der Region ernten, wenn sie das zerstören.

Es erstaunt, das zu hören: Taliban wollten mehr Frauenärztinnen. Schon jetzt, wenige Tage nach deren erneuter Machtübernahme, häufen sich die Meldungen, dass Frauen entgegen offizieller Versprechungen aus ihren Berufen gedrängt werden. Wie passt das zu Ihren Erfahrungen?

Die Taliban sind keine homogene Gruppe. Sonst hätte das Krankenhaus von Karla Schefter nicht all die Jahre überleben können. Es kommt auch auf die örtlichen Machthaber an. Und die haben in einigen Gebieten schon lange das Sagen. Wenn heute Politiker oder Journalisten sagen, es sei überraschend, wie schnell die Taliban das Land eingenommen haben, ist das Quatsch. Die Taliban hatten in den vergangenen Jahren schon viel übernommen, die sind gut organisiert. Und die westlichen Kräfte vor Ort, na ja. Die Leute in den Botschaften leben hinter vier Meter hohen Mauern, die durften gar nicht raus, weil das zu gefährlich war. Mich haben die Leute dort gefragt: Was hast du draußen erlebt? Bei den Journalisten das gleiche: Die sind dahin geflogen und waren die ganze Zeit nur in diesem Compound und haben die Soldaten befragt, wenn die zurückkamen. Nur am Anfang waren die deutschen Soldaten wohlgelitten, konnten auf den Markt gehen und so. Anfangs sollten sie ja auch nur Wahlen absichern. Aber je mehr Kampfhandlungen es gab, und zwar auf Geheiß der USA, desto größer wurde die Feindschaft. Die Amerikaner haben sich da ja auch benommen wie die Axt im Walde.

Aber warum sollten sich die Taliban nun verändert haben?

Weil sich auch das Land verändert hat. Wenn jetzt gesagt wird, der Einsatz des Westens in den letzten 20 Jahren war umsonst und sinnlos, stimmt das nicht. Vor 20 Jahren gab es keine Straßen, keine Brunnen mit Pumpen – das ist jetzt anders. Mittlerweile gibt es eine Generation, die ein anderes Afghanistan erlebt hat. Klar, unterschiedlich in Stadt und Land, aber es hat sich etwas verändert. Ich glaube nicht, dass die Taliban das wieder komplett zurückdrehen werden. Ja, die wollen einen islamischen Staat, aber so brachial steinzeitmäßig wie vor 25 Jahren – das wird nicht mehr funktionieren. Aber es braucht natürlich internationale Hilfe, man darf Afghanistan nicht alleine lassen.

Zurück zu den Blumen …

Ja, das ist wirklich eine saugute Geschichte. Und zeigt auch die Veränderung zu vor 25 Jahren. Als ich 1997 da war, musste ich unterschreiben, dass ich nichts Lebendiges fotografiere, also keine Menschen, keine Tiere. Außerdem bekamen wir einen Aufpasser an die Seite gestellt, der auch als Übersetzer fungierte. Bei einer Fahrt kamen wir an einem abgeschossenen Hubschrauber vorbei, drum herum Taliban. Ich: Das Bild brauche ich! Ich steige aus, da kommen die Taliban zu mir und fragen, ob ich sie fotografieren kann. Wunderbar! Ich mache meine Fotos. Wir fahren weiter, da kommt eine ähnliche Szenerie. Ich denke, na ja, die sind ja gar nicht so, steige aus, hebe meine Kamera – da heben die ihre Kalaschnikows. Ich nehm' die Kamera runter. Was ich sagen will: Von all dem war jetzt nichts mehr. Ich konnte mich ohne Begleitung bewegen, auch im Krankenhaus.

Foto: Joachim E. Röttgers

Uli Reinhardt, 74, hat zunächst Mathematik studiert, widmete sich nach kurzer Zeit als Lehrer aber ausschließlich der Fotografie. 1985 gründete er mit KollegInnen die Reportage-Agentur Zeitenspiegel, die heute in Weinstadt sitzt, und fotografiert für namhafte deutsche und ausländische Magazine politische und soziale Themen. Aus dem Foto mit dem Blumenstrauß wurde übrigens nichts – die Taliban wollten sich nicht fotografieren lassen. Und Reinhardts Handyfoto ist verschwunden.

Reinhardt ist seit 2017 Vorsitzender von Kontext:Verein für ganzheitlichen Journalismus e.V., ein Posten, den er bereits zur Kontext-Gründung von 2011 bis 2015 innehatte. (sus)

... wo Sie dann die Blumen bekommen haben, oder?

Genau. Ich war im Hospital unterwegs, da kam ein Junge zu mir gerannt: Die Taliban wollen dich sprechen. Aha, denke ich, jetzt kommt die Rechnung. Gehe also zurück in den Empfangsraum, da sitzen wieder die fünf, einigermaßen grimmig aussehend, Kalaschnikow und so weiter. Da sagt der eine: Sie wollten mich nur verabschieden und hätten überlegt, was sie mir schenken könnten. Aber dort gäbe es ja nichts. Also hätten sie Blumen gepflückt – haben sie bestimmt nicht selbst gemacht. Jedenfalls standen zwei Blumensträuße aus Feldblumen in einer Vase, sehr geschmackvoll, schön gebunden mit Gräsern und so. Möglicherweise bin ich also der einzige Journalist, der von den Taliban Blumensträuße bekommen hat.

Uli Reinhardt – ein Freund der Taliban?

Sicher nicht. Aber die Welt ist nun mal nicht schwarz-weiß.


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