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Belarus

"Das ist entsetzlich"

Belarus: "Das ist entsetzlich"
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Ihr Shirt und ihre Maske sind weiß und rot. Wer die Farben der Revolution auf den Straßen von Belarus trägt, läuft Gefahr, im Gefängnis zu landen, erzählt Olga. Am vergangenen Sonntag hat die Stuttgarterin eine Kundgebung auf dem Marienplatz organisiert – für Solidarität mit den Oppositionellen. Ein Kontext-Podcast.

Ihren vollen Namen will sie im Gespräch lieber nicht genannt wissen, denn wer weiß schon, wie weit der Arm von Alexander Lukaschenko reicht. Nach den jüngsten Ereignissen in Europas letzter Diktatur, der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine FR4978 in Belarus und der anschließenden Verhaftung des Bloggers Roman Protasewitsch und dessen Freundin, müsse man vorsichtig sein, sagt Olga, Exil-Belarussin und Profi-Geigerin aus Stuttgart. Am vergangenen Sonntag hat sie eine Kundgebung unter dem Motto "Stuttgart stands with Belarus" auf dem Marienplatz organisiert, für die Freilassung politischer Gefangener und für Solidarität mit der Oppositionsbewegung gegen das autokratische Lukaschenko-Regime, das seine Kritiker und Demonstranten willkürlich ins Gefängnis wirft.

"Wenn man heute in Belarus die Wohnung verlässt, nimmt man eine Zahnbürste und Unterwäsche mit", sagt am Sonntag eine junge Weißrussin. "Leider nicht, weil man fürchten müsste, der Abend bei Freunden zieht sich zu sehr. Sondern weil man jederzeit ohne Grund verhaftet werden kann. Auf dem Weg zur Arbeit, in der Sauna, sogar in den eigenen vier Wänden ist man in Belarus nicht mehr sicher." Haft- oder empfindliche Geldstrafen, manchmal ein halbes Jahresgehalt, drohen, sagt sie, ihre Eltern und ihre Tante seien erst Ende März bei einem Spaziergang aufgegriffen worden. Grund dafür, erzählt die Frau: rote und weiße Kleidungsstücke, die Farben der Revolutionsflagge und unter Lukaschenko illegal.

Etwa 50 DemonstrantInnen sind am Sonntag da, eine Band spielt Songs, die in Belarus nicht mehr öffentlich gespielt werden dürfen. Auch Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter der Grünen, ist gekommen und spricht. "Der Mut der Belarussen ist eine Inspiration, für uns in Stuttgart, in Deutschland und in der ganzen Welt", sagt er. "Seit Monaten begegnen die Bundesregierung und die EU dem anhaltenden Staatsterror gegen die belarussische Opposition viel zu zögerlich." Demokraten überall auf der Welt müssten zusammenstehen in diesen Tagen.

Özdemir hat auch eine Patenschaft für den verhafteten Blogger Protasewitsch übernommen, es sei ihm "eine Ehre und Verpflichtung, mich für die Freilassung von ihm, aber auch von allen anderen politischen Gefangenen einzusetzen."

Eine davon ist Maryja Kalesnikawa, Musikpädagogin und Flötistin aus Stuttgart und Freundin von Olga. Nach den Präsidentschaftswahlen in Belarus im August des vergangenen Jahres, als sich Machthaber Lukaschenko wieder zum Präsidenten ausrufen ließ, wurden sie und ihre zwei Mitstreiterinnen, die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja und die Bürgerrechtlerin Veronika Zepkalo international bekannt als die Gesichter der belarusischen Protestbewegung. "Für ihr Engagement kann ich sie nur bewundern", sagt Olga im Interview mit Stefan Siller. Für Kontext hat er nach der Demo mit ihr gesprochen: über Maryja Kalesnikawa, über Strafkolonien und die Paranoia von Lukaschenko.

Das Gespräch mit Geigeneinlage gibt es im Podcast.


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