Im Oktober 2019 fährt die Bewegung, so sie noch mobil ist, alles auf, was Rang und Namen hat. Es gilt, das Zehnjährige der Montagsdemos zu feiern. Dem Motto Max Uthoffs ("Dem Feind den Frust nicht gönnen") folgend, sind sie ins Theaterhaus gekommen, Bruhnkelöschprayonrockenbauchschorlau, und erzählen sich, wie es damals war, am Nordflügel, am Südflügel des Bahnhofs, und im Schlossgarten. Die Stimmung ist aufgeräumt, Kontext titelt: Die Kastanie bleibt in der Tasche. Am Ende verliest Walter Sittler die Namen der zu Ehrenden – und vergisst den eigentlich Wichtigsten: Gangolf Stocker, den Vater des Protests. Er habe den Namen schlicht überlesen, wird der Schauspieler später sagen, das tue ihm unendlich leid.
Das Buch des Widerstands ist zugeklappt
Man darf das Sittler glauben. Stocker war einfach weg, aus den Augen, aus dem Sinn. Raus aus der Politik, schwer krank zuhause in seiner Zweizimmer-Butze im Stuttgarter Stadtteil Gaisburg, eingezwängt zwischen Farben, Pinseln, Staffelei und Arzneischachteln, mit Blick auf den Friedhof. Die einstige Zentralfigur des Protests hatte sich zurückgezogen, genug Egos erlebt, das Buch des Widerstands gegen Stuttgart 21 zugeklappt. Eine Geschichte, die untrennbar mit der Person Stocker verbunden war. 1995 hat er die Initiative "Leben in Stuttgart – kein Stuttgart 21" (inspiriert von dem Linken Winfried Wolf) gegründet, 2007 ein Bürgerbegehren (zusammen mit dem Grünen Werner Wölfle) gestartet, 2009 als einer der Ersten die MontagsdemonstrantInnen (gemeinsam mit Helga Strauch-Stöhr) zum Laufen gebracht, die ein Jahr später Zehntausende werden sollten.
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Eberhard Boeck
am 03.04.2021