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Petition Grundeinkommen

Ziemlich sauer

Petition Grundeinkommen: Ziemlich sauer
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Tonia Merz hat im März eine Petition für ein Coronakrisen-Grundeinkommen ins Leben gerufen. Fast eine halbe Million Menschen unterstützen die Unternehmerin. Was ist daraus geworden?

Frau Merz, knapp 470.000 Unterschriften konnten Sie sammeln. Was passiert jetzt damit?

Das frage ich mich auch. Die Petition ist nur noch aus dem Grund offen, weil ich sie so lange laufen lassen wollte, bis ich eine Antwort bekomme. Wie man sehen kann, kam keine Antwort. Ich bin ziemlich sauer.

Korsetts in der Krise

Nach der Pressekonferenz von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am 13. März verlor Tonia Merz keine Zeit. Sie setzte sofort eine Petition auf der Plattform change.org auf, forderte ein Krisen-Grundeinkommen für alle. Etwa 800 bis 1200 Euro, sechs Monate lang, für alle. Das mediale Echo war groß, das bedingungslose Grundeinkommen wieder in der Diskussion. Geld sei doch da, das sehe man jetzt, meint die 46-Jährige. Merz kommt aus Heidelberg und wohnt in Berlin. Dort hat sie einst Modedesign studiert und sich dann selbstständig gemacht – mit einer Manufaktur für maßgeschneiderte Korsetts. Innerhalb weniger Monate konnte Merz fast eine halbe Million Unterschriften sammeln. Auf eine Reaktion aus der Politik wartet die Unternehmerin bis heute.  (mos)

Es hieß, Sie mussten Hartz IV beantragen.

Ich hätte es machen müssen, habe mich aber die ganze Zeit davor gedrückt. Nicht aus Angst vor sozialem Stigma. Mich hat die Bürokratie gegraust. Die Schikanen, die es teilweise mit Hartz IV gibt, sind krass. Keine alleinerziehende Mutter beispielsweise sollte sich wegen 11,50 Euro auf dem Amt herumstreiten müssen.

Wie haben Sie es ohne geschafft?

Wir können nähen, was haben wir also gemacht? Wir haben natürlich Masken genäht – so wie alle, die nähen können. Und das hat uns über die Runden gebracht. Aber ich sehe einfach, wie etwa die Solo-Selbständigen in so einer Krise zu Bittstellern werden. Die Krise, die wir haben, ist keine selbstverschuldete. Und Deutschland könnte sich das bedingungslose Grundeinkommen leisten. Ich war vorher absolut kein Grundeinkommens-Aktivist. Ich war lediglich Sympathisant der Idee. Irgendwer hat kurz nach der Petition zu mir gesagt: Tonia hat über Nacht ein Kind gekriegt! Und so hat es sich auch angefühlt.

Ein politisches Kind.

Genau. Aber die Diskrepanz zwischen dem, was der Bevölkerung wichtig ist, und dem, mit was sich die Politik beschäftigen will, ist anscheinend doch so groß, dass bestimmte Dinge einfach unter den Teppich gekehrt werden. Und das nervt mich. Der Ruf nach Veränderung ist – zumindest in allen westlichen Industrienationen – sehr laut, vor allem jetzt. Die Menschen wollen raus aus diesem Super-Kapitalismus, raus aus diesem Mega-Wachstum, raus aus diesem System.

Keine Antwort, keine ernsthafte politische Diskussion: Fühlt sich das nach Verlieren an?

Ja. Es ist ein bisschen wie gegen eine Wand laufen. Die Krise jetzt wäre die Chance gewesen, es einfach mal auszuprobieren. Nur für ein halbes Jahr, begrenzt. Während der Krise habe ich schon auch gedacht: Jetzt ist nicht der beste Zeitpunkt, weitreichende Entscheidungen für immer zu treffen. Aber es wäre die beste Möglichkeit gewesen, zu sagen: Jetzt probieren wir wirklich mal was komplett anderes aus. Es wäre die beste Chance gewesen, mal einen großen, flächendeckenden Test zu machen. Vielleicht würde es den Bürgern auch zu viel Macht geben. Zu viel Selbstbestimmtheit. Vielleicht soll der Bürger auch abhängig sein vom Staat. Oder vielleicht traut man den Bürgern zu wenig zu.

Sie unterstellen also Kalkül?

Ja, ganz klar. Es war schlicht keine Option. Die Petition war landauf, landab in Podcasts, den "Tagesthemen", im "Spiegel", der "Zeit". Egal wo, auf einmal wurde ein Krisen-Grundeinkommen als Option diskutiert. Plötzlich auch von Wirtschaftsökonomen, die vorher keine Grundeinkommens-Freunde waren. Da hast du fast eine halbe Million Menschen hinter dir – und es wird einfach zugemacht, auf Durchzug geschaltet.

Gab es denn gar keine Reaktionen aus der Politik?

Nein. Ich weiß inzwischen, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kein Freund des Grundeinkommens ist. Er ignoriert einfach alles. Es gab mittlerweile sechs E-Mails. Über seine Pressestelle weiß ich, dass die Mails auf jeden Fall im Ministerium auf dem Tisch liegen.

Grundeinkommen: Die unendliche Geschichte

Jede und jeder bekommt monatlich einen festen Geldbetrag – egal, ob gearbeitet wird oder nicht, ob bedürftig oder nicht. So simpel das Konzept ist, so sehr polarisiert der Gedanke an eine Umsetzung. Mehr Freiheit, Schutz vor Armut und weniger Zukunftsängste versprechen sich Befürworter. Auf der Kritiker-Seite hält man Faulheit, Ungerechtigkeit und mangelnde Finanzierbarkeit entgegen. Mittlerweile gibt es verschiedene Modelle eines Grundeinkommens. Geht es nach Götz Werner, Gründer der DM-Drogeriemärkte und ein bekannter Verfechter, so sollte das Steuersystem umgestaltet und Ausgaben, nicht Einkommen besteuert werden. Dabei ist Grundeinkommen nicht gleich Grundeinkommen: In Spanien etwa gibt es seit Kurzem eine neue Grundsicherung, die 450 bis etwa 1.000 Euro im Monat an BürgerInnen bereitstellt. Der Betrag ist jedoch an Einkommen und Alter gekoppelt – also nicht bedingungslos. Auch das zweijährige Grundeinkommens-Experiment in Finnland ist umstritten: Dort bekamen 2.000 Arbeitslose monatlich 560 Euro und damit weniger, als in gängigen Modellen für eine würdevolle Existenz vorgeschlagen wird.  (mos)


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4 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 18.07.2020
    Antworten
    Die PolitikerInnen verweigern sich immer noch der Erkenntnis, dass ein Grundeinkommen die Basis für eine funktionierende Infrastruktur ist. Auto´s kaufen keine Auto´s hieß es einmal und wo es an einem Grundeinkommen fehlt, schließen auch Aldi oder Lidl ihre Filialen. Aber darum allein geht es auch…
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